Conway lächelte und erwiderte: „Ich bin zwar nur ein einfacher Zivilist und nehme überhaupt keinen Rang ein, Captain, aber andersherum betrachtet, bin ich Mitglied dieser Gesellschaft, der Sie beide als Staatsbeamte dienen, und besitze letztendlich die Befehlsgewalt über Leute wie Sie.“
Fletcher räusperte sich geräuschvoll und sagte: „Bitte ersparen Sie uns Ihre politisch-philosophischen Ansichten, Doktor. Soll ich der Monitorkorpsbasis dieses Sektors über Subraumflink eine Nachricht übermitteln und um massive Unterstützung bitten, da wir es in einem unübersehbar großen Gebiet mit einer Menge potentiell Überlebender zu tun haben, die einer bisher unbekannten Spezies angehören?“
„Genau das“, antwortete Conway. „Würden Sie bitte auch die Zuteilung der zu durchsuchenden Abschnitte an die Aufklärungsschiffe übernehmen, wenn und falls die Schiffe eintreffen? In der Zwischenzeit werden wir Priliclas Vorschlag in die Tat umsetzen, nur mit der Abänderung, daß sich Murchison und ich auf die Tyrell begeben werden, falls Sie damit einverstanden sind, Captain.“
„Es ist mir ein Vergnügen“, entgegnete Nelson mit einem Blick auf Murchison. „Aber warum diese Abänderung?“
„Nun, schließlich ist Ihre Besatzung nicht daran gewöhnt, daß unser zerbrechlicher Freund überall an den Decken und Wänden entlangtrippelt, und die Gefahr, daß ihm etwas zustößt, ist viel zu groß. Aber jetzt brauchen wir erst einmal Ihre Hilfe, um Teile unserer transportablen Ausrüstung auf Ihr Schiff zu schaffen.“
Als die Gerätschaft kurz darauf auf das Aufklärungsschiff gebracht wurde, konnte Conway Murchison nur mit Mühe und Not davon abhalten, die gesamte Diagnose- und Behandlungsapparatur vom Unfalldeck auf die Tyrell mitzunehmen. Parallel wurde die transportable Luftschleuse vom Wrack abmontiert und wieder an Bord der Tyrell verstaut — bestimmt würde man sie bei einem der anderen weit im All verstreuten Objekte erneut einsetzen müssen. Im Verlauf dieser Tätigkeiten traten wegen kurzzeitiger Überlastung hin und wieder Schwankungen in der Beleuchtung und der Schwerkraftregulierung der Rhabwar auf — ein eindeutiges Indiz, daß die Nachricht an die Monitorkorpsbasis bereits über Subraumfunk gesendet wurde.
Conway wußte, daß Fletcher den Funkspruch so knapp wie möglich formulierte und Lieutenant Chen im Maschinenraum bestimmt schon nervös an den Nägeln kaute, da für das Senden einer Mitteilung durch das überaus schwer zu begreifende Medium des Hyperraums ungeheure Energiemengen benötigt wurden, was für ein Schiff mit der relativ geringen Größe der Rhabwar bedeutete, sämtliche vorhandenen Kapazitäten auszunutzen. Trotz des hohen Energieverbrauchs würde die Nachricht von interstellaren Störgeräuschen und vernehmlichen Löchern durchsetzt sein, die durch zwischen Sender und Empfänger liegende Wolken aus ionisiertem Gas, Sterne und sternähnliche Objekte verursacht wurden. Aus diesem Grund mußte die Nachricht oft beschleunigt und viele Male wiederholt werden, damit sich die Empfänger aus den bei ihnen eintreffenden Wortfetzen eine zusammenhängende Mitteilung in normalem Tempo wieder zusammensetzen konnten.
Die eigentliche Antwort des Monitorkorps auf diese Nachricht war natürlich noch einmal eine ganz andere Geschichte, dachte Conway betrübt. Und trotz seiner scheinbaren Zuversicht, die er den anderen gegenüber an den Tag gelegt hatte, war ihm völlig schleierhaft, wie das Korps reagieren würde, denn noch nie zuvor hatte er eine solche Anfrage gestellt.
Nelson hatte Murchison und Conway zu sich aufs Kommandodeck eingeladen, damit sie den Anflug der Tyrell auf das zweite Segment der Alienraumstation, das als nächstes untersucht werden sollte, genauer beobachten konnten — und um der Besatzung den Anblick der hübschen Pathologin zu ermöglichen. Seit Übermittlung der Nachricht über SübraumfUnk etwa sechs Stunden zuvor hatte der Captain den Chefarzt mit einer Mischung aus Sorge und Ehrfurcht betrachtet, als wüßte er nicht genau, ob sich Conway selbst etwas vormachte oder wirklich ein äußerst einflußreicher Mensch war.
Die kurz darauf aus dem Lautsprecher des Kontrollraums dringenden Mitteilungen, die sich den größten Teil der folgenden Stunde mit Unterbrechungen von nur wenigen Minuten fortsetzten, befreiten ihn zwar von allen Zweifeln, verwirrten ihn aber nur um so mehr.
„Aufklärungsschiff Tedlin an Rhabwar. Erbitten Instruktionen.“
„Aufklärungsschiff Tenelphi an Rhabwar. Bitten um erneute Zuteilung.“
„Hier Aufklärungsschiff Torrance, es spricht der stellvertretende Flottillenführer. Ich verfüge über sieben Einheiten, denen sich bald achtzehn weitere anschließen. Sie haben Arbeit für uns, Rhabwar?“
Schließlich schaltete Nelson den Lautsprecher und die Stimme von Captain Fletcher ab, der den neu eingetroffenen Aufklärungsschiffen die zu durchsuchenden Abschnitte zuteilte. Aufgabe der Aufklärungsschiffe war, nach Teilen der Raumstation zu suchen und sie zur Rhabwar zu bringen. Gemäß Fletchers Entscheidung sollte sich das Ambulanzschiff selbst an der Suche nicht beteiligen, sondern zur Koordinierung der Operation und zur medizinischen Versorgung beim ersten Überlebenden bleiben. In der Zuversicht, daß man die Lage unter Kontrolle hatte, entspannte sich Conway und wandte sich Captain Nelson zu, dessen Neugier inzwischen fast schon greifbar geworden war.
„Und Sie. Sie sind wirklich nur ein Arzt, Doktor?“ fragte er.
„So ist es, Captain“, bestätigte Murchison, bevor Conway antworten konnte. Sie lachte und fuhr fort: „Und hören Sie auf damit, ihn so anzusehen, sonst hält er sich womöglich tatsächlich noch für wichtiger als er in Wirklichkeit ist.“
„Wie Sie sehen, liegen meine Kollegen ständig auf der Lauer, damit so etwas nicht passieren kann“, sagte Conway trocken. „Aber Pathologin Murchison hat recht. Ich bin nicht wichtig, genausowenig wie die Offiziere des Monitorkorps oder die Mitarbeiter des medizinischen Teams auf der Rhabwar. Es ist nichts weiter als unsere Arbeit, die so wichtig ist, daß einem zu ihrer Unterstützung das Kommando über ein paar Flottillen Aufklärungsschiffe erteilt wird.“
„Aber um so etwas anzuordnen, muß man schon wenigstens den Rang eines Untergeschwaderkommandanten bekleiden.“, begann Nelson, brach aber auf Conways Kopfschütteln hin ab.
„Um das zu erklären, muß ich Ihnen schon ein paar Zusammenhänge genauer erläutern, Captain“, sagte er. „Einige dieser Informationen sind bereits allgemein bekannt, viele aber noch nicht. Einige relevante Entscheidungen des Föderationsrats, die sich insbesondere auf die Prioritätensetzung bei Monitorkorpseinsätzen ausgewirkt haben, sind nämlich erst vor kurzem getroffen worden und können noch gar nicht bis zu Ihnen durchgesickert sein. Falls einige meiner Ausführungen für den Captain eines Aufklärungsschiffs zu selbstverständlich sein sollten, werden Sie mir das hoffentlich verzeihen.“
Wie Conway erzählte, war bisher nur ein winziger Bruchteil der Galaxis von Terrestriern oder einer anderen der über sechzig Spezies der Föderation erforscht worden. Deshalb befanden sich die Mitgliedsspezies praktisch in der merkwürdigen Lage eines Terrestriers, der zwar Freunde in entfernten Ländern hatte, aber keine Ahnung davon, wer bei ihm um die Ecke wohnte. Der Grund dafür war, daß sich Reisende öfter trafen als Leute, die zu Hause blieben, besonders dann, wenn diese Reisenden ihre Adressen austauschten und sich regelmäßig trafen.
Diese gegenseitigen Besuche waren verhältnismäßig einfach zu bewerkstelligen. Vorausgesetzt, es traten unterwegs keine störenden Einflüsse auf, und die genauen Zielkoordinaten waren bekannt, dann war es wirklich genauso einfach, durch den Hyperraum zu einem benachbarten Sonnensystem zu reisen wie zu einem Planeten am anderen Ende der Galaxis. Aber man mußte erst einmal ein bewohntes Sonnensystem entdecken, bevor man dessen Koordinaten ins Logbuch eintragen konnte, und das erwies sich als eine nicht ganz leichte Aufgabe.
Es dauerte sehr lange, bis man wenigstens ein paar der kleineren weißen Flecken auf den Sternkarten erkundet und beschriftet hatte, allerdings mit nur wenig Erfolg.