„Falls das Alienschiff aus technischen oder physiologischen Gründen die Form eines Rads gehabt haben mußte“, entgegnete Conway nachdenklich, „dann könnte es wie einige unserer ersten Raumstationen aus einer ganzen Reihe konzentrischer Kreise gebaut worden sei, also aus mehreren Rädern, die zur Mitte hin immer kleiner werden.“
Nelson schüttelte den Kopf. „Nein, denn die Längskrümmung ist bei allen Segmenten gleich. Aber könnten vielleicht zwei Räder, also zwei einzelne, aber identische Schiffe zusammengestoßen sein?“
„Mit dieser Zusammenstoßtheorie bin ich nicht einverstanden“, meldete sich erstmals Fletcher zu Wort. „Zumindest nicht zwischen zwei oder mehreren Rädern. Dafür gibt es meines Erachtens viel zu viele Überlebende und vor allem völlig unbeschädigte Segmente. Vielmehr scheint mir das Alienschiff auseinandergefallen zu sein. Ich glaube, es hat bei hoher Geschwindigkeit eine Kollision mit einem Himmelskörper gegeben, durch deren Wucht die zentrale Stützkonstruktion von der Radnabe abgerissen ist.“
Conway versuchte, sich die endgültige Form dieses Alien-Puzzles bildlich vorzustellen. „Aber Sie glauben trotzdem, daß es mehr als ein Rad gegeben hat?“ fragte er.
„Nicht ganz“, antwortete Fletcher. „Ich denke an zwei Räder, direkt übereinander liegend angebracht, jedes mit je einem oder mehreren Aliens besetzt. Bis jetzt wissen wir ja noch gar nicht, ob wir einzelne, für die Reise chirurgisch veränderte Aliens oder nur Stücke von viel größeren Kreaturen bergen. Außerdem tappen wir so lange über die Anzahl der Aliens im dunkeln, bis die Aufklärungsschiffe endlich Köpfe und Schwänze bringen. Ich nehme an, daß sich sämtliche Insassen in einem scheintoten Zustand befunden haben, wobei ihr Schiff von alleine geflogen ist und die Geschwindigkeit entlang der Vertikalachse selbsttätig gesteigert oder verringert hat. Wenn meine Vermutung zutrifft, dürfte es nur eine einzelne havarierte Radnabe geben, in der sich vermutlich die Überreste der Antriebseinheit und ein Abschnitt mit der automatischen Navigation und der Sensorenanlage befinden.“
Conway nickte. „Eine tolle Idee, Captain! Aber kann man Ihre Theorie auch überprüfen?“
Fletcher lächelte und antwortete: „Sicher. Schließlich sind sämtliche Wrackteile da draußen. Obwohl einige in sämtliche Einzelteile zersprengt worden sein dürften und entsprechend schwer zu identifizieren sein werden. Aber wenn man uns genügend Zeit und die notwendige Hilfe gewährt, könnten wir die Teile wieder zusammensetzen.“ „Sie meinen, die ursprüngliche Zusammensetzung rekonstruieren?“
„Vielleicht“, erwiderte Fletcher in merkwürdig neutralem Ton. „Aber ist das wirklich noch unsere Angelegenheit?“
Conway öffnete bereits den Mund, um dem Captain einmal genau zu sagen, was er von solch einer dämlichen Frage hielt, schloß ihn aber wieder schnell, als er die Mienen der beiden Captains bemerkte.
Denn die Wahrheit war, daß die sich hier allmählich entwickelnde Lage wirklich nicht mehr ihre Angelegenheit war. Schließlich war die Rhabwar ein Ambulanzschiff, konstruiert und ausgestattet für kurze Einsätze, deren einziges Ziel es war, Opfer eines Unfalls oder einer Krankheit im Weltraum zu bergen, die Überlebenden soweit wie möglich zu behandeln und zum Orbit Hospital zu transportieren. Doch die Überlebenden, mit denen man es hier zu tun hatte, brauchten weder behandelt noch schleunigst ins Hospital eingeliefert zu werden. Sie waren schon seit langem scheintot und konnten wahrscheinlich auch noch lange Zeit in diesem Zustand bleiben. Sämtliche Aliens wiederzubeleben und, noch wichtiger, sie auf einen geeigneten Planeten umzusiedeln, wäre ein gewaltiges Vorhaben.
Für Conway würde es das vernünftigste sein, sich mit einer eleganten Verbeugung zu verabschieden und das Problem den Spezialisten für Erstkontakte zu überlassen. Dann könnte die Rhabwar ins Dock zurückkehren und das medizinische Team sich wieder an die Behandlung der skurrilen und oft exotisch anmutenden Patienten im Orbit Hospital machen und dort auf den nächsten Notruf für ihr spezielles Ambulanzschiff warten.
Doch bei den beiden Männer, die ihn so aufmerksam musterten, handelte es sich zum einen um den Kommandanten eines Aufklärungsschiffs, das sich im Vermessungseinsatz befand, der schon über die Entdeckung eines einzigen bewohnten Sonnensystems in zehn Jahren ständiger Suche froh wäre, und zum anderen um Major Fletcher, Captain der Rhabwar und anerkannte Kapazität auf dem Gebiet vergleichender ET-Technologie. Die Bergung dieses unter Lichtgeschwindigkeit geflogenen ET-Kolonisierungstransporters könnte sich für die Föderation ohne weiteres zum größten Problem entwickeln, vor dem sie seit der Entdeckung und Behandlung des Schichtwesens auf dem Planeten Drambo stand, das einen ganzen Kontinent bedeckte.
Conway blickte von Nelson zu Fletcher und sagte dann ruhig: „Sie haben recht, Captain, das fällt nicht mehr in unseren Verantwortungsbereich. Das ist ein Problem der Kontaktspezialisten, und die würden auch nicht schlechter von uns denken, wenn wir es ihnen überantworten. In Wirklichkeit erwarten die das sogar von uns. Aber wenn ich mir Sie so ansehe, gewinne ich allmählich den Eindruck, Sie beide wollen das gar nicht.“
Fletcher schüttelte bestimmt den Kopf, und Nelson entgegnete: „Doktor, falls Sie irgendwelche einflußreichen Freunde haben, dann sagen Sie denen, daß ich liebend gerne einen Arm oder ein Bein opfern würde, nur um weiterhin dabeisein zu dürfen.“
Der abgeklärt und logisch denkende Anteil seines Verstands drängte Conway, vernünftig zu bleiben, zu überlegen, worauf er sich da einließ, und vor allem nicht zu vergessen, wer schließlich die Schuld bekommen würde, wenn etwas schiefging. Aber die Vernunft hatte von Anfang an keine Chance gehabt, in diesem Gewissenskonflikt zu siegen.
„Gut“, sagte Conway, „damit ist die Entscheidung einstimmig.“
Beide Captains grinsten ihn auf eine Weise an, die für ihren Rang und der damit verbundenen Verantwortung völlig unpassend war — so, als hätte er ihnen gerade einen großen Gefallen getan, anstatt sie zu Monaten unaufhörlicher geistiger und körperlicher Schwerstarbeit zu verdonnern.
„Als das Schiff, das für die ursprüngliche Entdeckung des Alienwracks verantwortlich ist, wäre das Bleiben der Tyrell gerechtfertigt. Dasselbe gilt für die Rhabwar, da ihr medizinisches Team die Behandlung durchführt“, fuhr Conway fort. „Aber wir werden reichlich Hilfe brauchen. Und wenn wir auch nur ein Fünkchen Hoffnung haben wollen, diese Unterstützung zu erhalten, dann werden Sie mir detaillierte Informationen über sämtliche Aspekte dieses Problems — und damit meine ich nicht nur die medizinische Seite — geben müssen und auch die Antworten auf die Fragen, die man mir stellen wird.
Zuerst einmal muß ich eine ganze Menge mehr über die Physiologie der Überlebenden wissen, deshalb müssen Sie noch ein paar Leichen für Thornnastor ausfindig machen, den leitenden Diagnostiker der Pathologie im Orbit Hospital. Sie müssen wissen, er hat sechs Füße und wiegt eine halbe Tonne, und wenn Murchison und ich keine vernünftigen Ergebnisse vorlegen können und für Thorny keine Sezierobjekte zur unabhängigen Untersuchung parat haben, steigt er mir glatt aufs Dach. Und was die beiden Monitorkorpsoffiziere O’Mara und Skempton mit mir machen werden, daran möchte ich lieber gar nicht erst denken.“
„Die beiden sind doch nur Staatsbeamte“, unterbrach ihn Nelson grinsend. „Oder andersherum betrachtet, besitzen Sie als Mitglied dieser Gesellschaft die absolute Befehlsgewalt über solche Leute.“
Conway stand auf und sagte in ernstem Ton: „Hier geht es nicht einfach darum, noch eine Flottille Aufklärungsschiffe herzubeordern, meine Herren, und diesmal wird etwas mehr als nur ein Hyperraumfunkspruch notwendig sein. Um die erforderliche Hilfe zu erhalten, muß ich zum Orbit Hospital zurückkehren und werde dort Diskussionen führen, als Bittsteller auftreten und vielleicht auch ein wenig mit der Faust auf den Tisch hauen müssen.“