„.und ein hudlarischer Ingenieur, physiologische Klassifikation PROB“, fuhr Krach-Yul fort. „Der Hudlarer hat eine tiefe Schnittwunde davongetragen, die er zwar rasch, aber nur unzulänglich selbst behandelt hat. Ich hab bei ihm den Verlust einer beträchtlichen Menge Körperflüssigkeit und das damit verbundene Absinken des Innendrucks festgestellt, sowie eine verminderte Sinneswahrnehmung und das.“
„Komme schon“, unterbrach ihn Conway, und an Murchison gewandt murmelte er: „Du brauchst wegen mir nicht aufzubleiben.“
Während ihn die Tyrell zum Unfallort brachte, ein Gebiet, in dem gerade drei Teile des Spulenschiffs zusammengebaut wurden, ließ Conway seine notgedrungen dürftigen chirurgischen Erfahrungen mit der hudlarischen Lebensform Revue passieren.
Die Spezies der Hudlarer wurde nur sehr selten krank und wenn doch, dann fast ausschließlich im vorpubertären Alter. Gegen äußere Verletzungen waren Hudlarer unglaublich unanfällig, denn ihre Augen wurden durch harte, transparente Membranen geschützt, und ihre Haut glich einer biegsamen Panzerplatte. Ihr Körper besaß praktisch überhaupt keine Öffnungen, mit Ausnahme derer, die zur Paarung und Geburt vorübergehend geöffnet wurden.
Deshalb eigneten sich FROBs hervorragend für Bauvorhaben im All. Ihr Heimatplanet Hudlar hatte die vierfache Erdanziehungskraft, und der atmosphärische Druck war siebenmal so hoch wie auf der Erde, falls man diese dichte, suppenartige Mischung aus Sauerstoff, Edelgasen und rauhen Mengen von Schwebeteilchen, die sich aus mikroskopisch kleinen tierischen und pflanzlichen Nährstoffen zusammensetzten, überhaupt als ’Atmosphäre’ bezeichnen konnte. Auf ihrem Heimatplaneten nahmen die Hudlarer die nahrhafte Luft direkt durch ihre robuste, aber dennoch poröse Haut auf, wohingegen sie sich an anderen Orten regelmäßig in kurzen Abständen mit einem konzentrierten Nahrungspräparat besprühen mußten. Ihre sechs biegsamen und enorm starken Gliedmaßen endeten in vierfingrigen Händen, die bei nach innen gebogenen Fingern und dem Boden zugewandten Knöcheln gleichzeitig als Füße dienten.
Hinsichtlich der Umweltbedingungen waren die Hudlarer eine sehr anpassungsfähige Spezies, denn die physiologischen Merkmale, die sie vor der zermalmenden Schwerkraft und dem Druck des eigenen Planeten schützten, ermöglichten es ihnen auch, in jeder nichtätzenden Atmosphäre mit geringerem Druck bis hin zum Vakuum des Weltraums zu arbeiten. Abgesehen von den Werkzeugen, benötigte ein hudlarischer Weltraumbauarbeiter als Ausrüstung lediglich Geräte zur Kommunikation — nämlich die Stimmembran des FROBs und ein Funkgerät —, die von einer kleinen, mit Luft gefüllten Blase umschlossen wurden.
Conway brauchte gar nicht erst zu fragen, ob sich ein hudlarischer Arzt auf dem Schiff von diesem Planeten aufhielt. Für diese wirklich unzerstörbare Spezies war die heilende Chirurgie vor ihrem Beitritt zur Föderation und der Bekanntschaft mit solchen Einrichtungen wie dem Orbit Hospital ein völlig unbekannter Begriff gewesen.
Deshalb waren medizinisch ausgebildete Hudlarer außerhalb des Hospitals ungefähr ebenso selten wie welche mit körperlichen Verletzungen im Innern des Krankenhauses.
Gleich nachdem Captain Nelson knapp fünfzig Meter vom Schauplatz des Unfalls entfernt mit der Tyrell in Position gegangen war, begab sich Conway in den Weltraum und steuerte auf den verwundeten Hudlarer zu. Krach-Yul war bereits bei den terrestrischen Unfallopfern angelangt, von denen sich einer in lauten und nicht druckreifen Worten die Schuld am Unfall gab und dadurch die Frequenz des Anzugfunks lahmlegte.
Aus diesen vehement vorgetragenen Selbstvorwürfen konnte Conway dennoch folgern, daß die beiden Terrestrier nur deshalb dem sicheren Tod durch Zerquetschen entronnen waren, weil sich der Hudlarer mit seinem enorm kräftigen Körper zwischen zwei Schiffssegmente geworfen hatte, die für den Ankopplungsvorgang langsam aufeinander zugetrieben waren. Der FROB hätte diesen Zwischenfall ohne Verletzungen überstanden, wenn ihm nicht der scharfkantige Stumpf eines Teils der Außenverstrebung eine seiner Gliedmaßen direkt unterhalb des Körperansatzes aufgeschlitzt hätte.
Als Conway bei ihm eintraf, hielt der Hudlarer das verletzte Glied mit dreien seiner Hände fest, die auf diese Weise als Aderpresse dienten, während er mit den beiden übrigen, noch freien Händen versuchte, die Ränder der Wunde zusammenzupressen, allerdings ohne Erfolg. Zwischen seinen Fingern bildeten sich kleine, häßliche Kügelchen aus Blut, die stark dampften und schwerelos davontrieben. Er konnte nicht sprechen, da er die Luftblase verloren hatte und seine Stimmembran vollkommen lautlos im luftleeren Raum vibrierte.
Conway zog den größten vorhandenen Schutzverband aus der speziell für Hudlarer ausgerüsteten Medizintasche und näherte sich dem Verletzten, um die Wunde freizulegen.
Daß es sich dabei um eine tiefe Wunde handelte, konnte er daran erkennen, wie die leuchtendgelben Blutstropfen abrupt anschwollen, bevor sie sich losrissen. Es gelang ihm aber, den Schutzverband anzulegen und die Wunde abzuschnüren, bevor der Blutverlust zu hoch wurde. Trotzdem trat noch an beiden Enden des Verbands eine Menge Blut aus, weil der hohe Innendruck des Hudlarerkörpers sämtliche Körperflüssigkeiten auszustoßen versuchte. Conway setzte an beiden Enden des Verbands sofort Verschlußklammern an, wobei die eine von ihm selbst und die andere vom Hudlarer festgezogen wurde. Nach und nach verringerte sichder Flüssigkeitsverlust. Als schließlich kein Blut mehr austrat, glitten die Hände des Verletzten von der Wunde, und seine Stimmembran vibrierte nicht mehr — der Hudlarer hatte das Bewußtsein verloren.
Schon wenige Minuten später befand er sich in der Frachtschleuse der Tyrell, und Conway suchte mit dem Scanner nach möglichen inneren Verletzungen, die durch die traumatische Dekompression hervorgerufen worden sein könnten. Je länger er nachsah, desto weniger gefiel ihm das, was er dabei erblickte, und als er die Untersuchung gerade beenden wollte, gesellte sich Krach-Yul zu ihm.
„Die Terrestrier haben nur einfache Frakturen, Doktor“, berichtete der Orligianer. „Bevor ich die Knochen schiene, wollte ich Sie, da Sie derselben Spezies angehören, lieber erst fragen, ob Sie nicht mitkommen wollen, um.“
„Um Ihnen die Chance zu nehmen, Ihr Wissen über andere Spezies zu erweitern?“ unterbrach Conway ihn. „Nein, Doktor, Sie behandeln die beiden allein. Ich nehme an, Sie haben Ihnen schmerzstillende Mittel gegeben, und es eilt nicht allzusehr, richtig?“
„Das stimmt, Doktor“, antwortete Krach-Yul.
„Gut“, erwiderte Conway, „ich hab nämlich noch eine andere Aufgabe für Sie. Kümmern Sie sich um den Hudlarer, bis Sie ihn zum Orbit Hospital bringen können. Erst mal müssen Sie sich eine Sprühdose mit Nahrungspräparat vom hudlarischen Schiff besorgen, und dann machen Sie mit Captain Nelson aus, daß er den Luftdruck und die künstliche Schwerkraft in der Frachtschleuse so weit erhöht, bis er den hudlarischen Normalwerten so nah wie möglich gekommen ist. Die eigentliche Behandlung besteht darin, den Verletzten in stündlichen Abständen mit dem Nahrungspräparat zu besprühen, die Herztätigkeit zu kontrollieren und periodisch den Verband zu lockern, sobald Ihr Scanner einen starken Rückgang der Blutzirkulation in dem verletzten Glied anzeigt. Während der Behandlung werden Sie zwei G-Gürtel tragen müssen. Wenn Sie nur einen anlegen und der bei einer Schwerkraft von vier Ge versagen sollte, hätten wir nämlich noch einen weiteren Schwerverletzten, und zwar Sie. Normalerweise würde ich ja diesen Patienten zum Orbit Hospital begleiten“, fuhr er fort, wobei er ein Gähnen unterdrückte, „aber ich muß sofort zur Stelle sein, falls beim CRLT irgendwelche schwerwiegenden Komplikationen auftreten. Der chirurgische Eingriff bei einem Hudlarer kann sich übrigens zu einer recht heiklen Angelegenheit entwickeln, deshalb werde ich dem OP-Team einige Anmerkungen über den Verletzten auf Band sprechen und gleichzeitig vorschlagen, Ihnen das Zuschauen bei der Operation zu erlauben, falls Sie das möchten.“