„Zu lange“, entgegnete Conway. „Bis dahin haben sich die Aliens schon längst die Schläuche herausgezogen. Aber wir können die Dosis berechnen, die für das Einschläfern benötigt wird. Wäre es denkbar, daß Sie einfach die Sensoren und Auslösemechanismen vergessen und ein Loch in die Zylinderwand bohren, damit wir die benötigte Medikamentenmenge direkt aus den Behältern entnehmen können?“
Einen Moment lang herrschte Stille, während der Fletchers Gesicht einen verärgerten ’Warum-bin-ich-bloß-nicht-selbst-darauf-gekommen?’-Ausdruck annahm. Schließlich antwortete er: „Klar, Doktor!“
Aber selbst als die Spritzen mit der spezieseigenen Winterschlafmedizin der CRLTs bereitlagen, waren die Schwierigkeiten damit noch lange nicht vorbei. Denn die Pressorstrahlentechniker, die für die Ruhigstellung der Wesen sorgten, konnten die beiden verschmolzenen ETs nicht festhalten, ohne dabei gleichzeitig die Ärzte zu Boden zu drücken, die sich mit den Aliens zu befassen versuchten. Der beste Kompromiß bestand noch darin, auf jeder Seite des Einsatzfelds eine freie Zone von zwei Metern zu lassen, innerhalb der das medizinische Team nicht durch Pressorstrahlen behindert wurde. Natürlich wurde dadurch den Körperbewegungen des Aliens in dieser insgesamt vier Meter breiten Zone überhaupt nichts entgegengesetzt, und der CRLT wand sich an dieser Stelle dementsprechend hin und her, machte einen Buckel, schlug mit den Rückengliedmaßen wild um sich und gab ganz allgemein zu verstehen, daß er es überhaupt nicht mochte, wenn überall seltsame Wesen auf ihm herumkletterten und ihn mit Nadeln stachen.
Conway wurde mehrere Male von dem Patienten abgeworfen, und wenn er von Fletcher nicht rechtzeitig gewarnt worden wäre, hätte er dabei einmal beinahe seinen Helm verloren und wahrscheinlich auch den Kopf darunter. Murchison stellte verärgert fest, der große Vorteil bei der Beschäftigung mit Leichen bestehe — ganz unabhängig von ihrer physiologischen Klassifikation — schlicht und ergreifend darin, daß diese sie nicht angreifen und ihre normalerweise pfirsichfarbene Haut auch nicht mit blauen Flecken übersäen würden. Aber als sich schließlich Naydrads langer, raupenähnlicher Körper um ein Glied des Aliens wand, Fletcher und Okaussie sich an das zweite Glied hängten, weil es eine Bedrohung für das Einsatzfeld darstellte, und Murchison den Scanner für Conway hielt, während er wie ein Reiter auf einem ungesattelten Pferd rittlings auf dem Alien saß, gelang es ihm, die Spritze in die richtige Ader zu stechen und den Inhalt zu verabreichen, bevor die Nadel durch eine besonders heftige Bewegung des CRLTs wieder herausrutschte.
Nur wenige Sekunden später berichtete Prilicla, dessen zerbrechlicher Körper in der Nähe solch heftiger Muskeltätigkeit nichts zu suchen hatte, von seinem Platz an der Decke aus, daß der Alien langsam wieder einschlief. Als sie sich schließlich vom ersten Alien zurückzogen und sich mit dem zweiten befassen wollten, waren dessen Bewegungen ebenfalls bereits schwächer geworden.
Nachdem sie mit dem zweiten CRLT auf die gleiche Weise verfahren waren, trennten sich die beiden Wesen wieder voneinander. Die Vertiefungen, Beulen und Muskellappen glätteten sich, und die wunden Verschmelzungsflächen sonderten die klare Flüssigkeit ab, die sogleich zu einer dünnen, transparenten Schutzschicht erstarrte. Schließlich hoben und schoben die Traktor- und Pressorstrahlentechniker die beiden Wesen sanft in ihren jeweiligen Winterschlafcontainer zurück.
Conway ordnete durch ein Zeichen die Reduzierung der künstlichen Schwerkraft auf null an, woraufhin man die Abschlußplatten erwartungsgemäß ohne Schwierigkeiten wieder in die Zylinder hineinschieben konnte. Der Luftdruck des Laderaums wurde langsam herabgesetzt, um zu überprüfen, ob durch das vorzeitige Öffnen der Zylinder ein Leck entstanden sein könnte, was aber nicht der Fall war.
„So weit, so gut“, sagte Conway. „Bringen Sie die beiden an ihren Platz in der Spule zurück, und holen Sie die nächsten beiden herein.“
Bei den ersten beiden Wesen hatte es sich um die Insassen benachbarter Zylinder gehandelt, und ihre Verschmelzung war vollkommen automatisch abgelaufen — also als ein in jeder Hinsicht natürlicher Vorgang. Das zweite Paar war hingegen durch einen Container voneinander getrennt gewesen, der von einem herumfliegenden Trümmerteil zerrissen worden war und dessen Insasse dabei ums Leben gekommen war. Conway glaubte nun, daß die Verbundenheit zwischen diesen beiden Aliens möglicherweise nicht so stark ausgeprägt war wie bei dem vorhergehenden Paar.
Aber trotz des fehlenden Zylinders schmolz auch dieses Paar genauso unwiderstehlich und natürlich zusammen wie das erste. Dieses Mal kehrte man den Wiederbelebungsprozeß bereits um, bevor die beiden Aliens zu vollem Bewußtsein gekommen waren, weil man sich einen erneuten Ringkampf zwischen den verschiedenen Spezies ersparen wollte, der sonst für das Einschläfern unumgänglich gewesen wäre. Zwar berichtete Prilicla von einer geringfügigen Abweichung der emotionalen Ausstrahlung bei der ersten Berührung der Körper, einem sehr schwachen und kurzen Gefühl der Enttäuschung, aber die beiden Mitglieder des Gruppenwesens paßten trotzdem zusammen, und diese bestimmte Lücke in der fortlaufenden Spule ließ sich also schließen.
Conway fühlte sich unbehaglich — zu viel Glück beunruhigte ihn einfach. Wie er merkte, störte auch Prilicla irgend etwas, denn er hatte längst gelernt, den Unterschied zwischen der Reaktion des Empathen auf seine eigenen Gefühle und die der Wesen in seiner Umgebung zu erkennen.
„Freund Conway“, sagte Prilicla, während sie auf das Eintreffen des dritten CRLT-Paares warteten. „Die ersten beiden Wesen waren noch relativ unreif und stammten aus dem vorderen Teil der Spule, das heißt, sie gehören zum Schwanzteil dieses Gruppenwesens. Der Platz des zweiten Paares befindet sich ein beträchtliches Stück hinter dem Mittelschiff. Unsere von uns selbst aufgestellten Schlußfolgerungen sind durch die Informationen über den mutmaßlichen Heimatplaneten dieser Spezies, die mit der Tyrell eintrafen, erhärtet worden. Demnach müßte es sich bei den Wesen im Schwanzteil um unreife Aliens, vielleicht sehr junge Erwachsene handeln, wohingegen sich der Kopfabschnitt weiter achtern aus den älteren, erfahreneren und intelligentesten Aliens zusammensetzt. Schließlich sind sie diejenigen, die sowohl die Verantwortung für die Schiffsführung als auch für das Aussteigen nach der Hecklandung haben.“
„Richtig“, stimmte Conway ihm zu und wünschte sich, Prilicla käme endlich zur Sache, egal, wie unangenehm das auch immer werden würde, anstatt um den heißen Brei herumzureden.
„Achtern vom Mittelschiff müßten die CRLTs also älter sein, mein Freund“, fuhr Prilicla fort. „Aber die beiden, die man gerade wieder abtransportiert hat, waren noch unreifer als das erste Paar, jedenfalls nach ihrer emotionalen Ausstrahlung zu urteilen.“
Conway blickte Murchison an, die in verteidigendem Ton sagte: „Tut mir leid, ich hab keine Ahnung, warum das so ist. Deuten vielleicht die Informationen über den Heimatplaneten der Aliens, falls es überhaupt ihr Heimatplanet war, auf eine Antwort hin?“
„Ich bin mir ziemlich sicher, daß es sich dabei um ihren Heimatplaneten gehandelt hat“, entgegnete Conway nachdenklich, „weil es dort unmöglich noch solch einen Planeten geben kann. Aber all diese Informationen sind schon alt und nur recht dürftig. Zudem stammen die Daten aus einer Zeit, die noch vor dem Bau des Spulenschiffs und dessen Start aus der Umlaufbahn lag. Seit uns die von der Tyrell mitgebrachten Informationen vorliegen, waren wir außerdem viel zu beschäftigt, um uns richtig mit ihnen auseinanderzusetzen.“
„Wir haben noch eine halbe Stunde Zeit, bevor die nächsten beiden CRLTs eintreffen“, stellte Murchison dazu lakonisch fest.
Schon viele Jahrhunderte vor der Gründung der galaktischen Föderation waren die Eurilen durch den interstellaren Raum gereist, getrieben von so riesiger Neugier und gleichzeitig behindert durch so extreme Vorsicht, daß im Vergleich dazu selbst die Spezies der Cinrussker, der Prilicla angehörte, als unerschrocken, ja geradezu als tollkühn galt. Physiologisch gehörten die Eurilen der Klassifikation MSVK an — eine dreibeinige und entfernt an Störche erinnernde Lebensform, die unter äußerst geringen Schwerkraftverhältnissen lebte. Ihre Zwillingsflügel waren verkümmert und hatten sich zu zwei Paaren mehrfingriger Greiforgane entwickelt. Die MSVKs waren schon immer die wichtigsten Beobachter der Galaxis. Bis zum heutigen Zeitpunkt gaben sie sich damit zufrieden, mit Hilfe weitreichender Sonden und Sensoren zu beobachten und zu lernen und ihre Forschungsergebnisse aufzuzeichnen, ohne dabei jemals den großen und gefährlich kräftig wirkenden Wesen, die sie gerade studierten, ihre Gegenwart zu verraten.