„Ja“, entgegnete MacEwan mit grimmiger Miene. „Kurz vor dem Unfall hat er an der Ausstiegsluke gestanden. Ich glaube, er liegt irgendwo unter dem Transporter.“
Grawlya-Ki gab einen unübersetzten, jammerenden Laut von sich und fuhr dann fort: „Der Colonel will sich über ein monitorkorpseigenes Funkgerät mit einem angedockten Schiff des Korps in Verbindung setzen, um auf diesem Weg in das Funknetz des Flughafens zu gelangen. Bisher hatte er damit allerdings keinen Erfolg. Die nidianischen Bergungsmannschaften reden und reden und hören überhaupt keinem Außenstehenden zu.
Auf jeden Fall will der Colonel wissen, was er denen sagen muß, falls er durchkommen sollte. Vor allen Dingen muß er von der Anzahl, der körperlichen Verfassung und dem Verseuchungsgrad der Opfer Kenntnis haben und auch von den Stellen, an denen die Rettungsmannschaften am besten in die Halle hereinkommen können. Er will dringend mit dir sprechen.“
„Aber ich will allenfalls erst später mit ihm sprechen“, erwiderte MacEwan. Für einen brauchbaren Lagebericht wußte er noch nicht genug, und bis es soweit war, konnten sie ihre Zeit viel besser nutzen, als sich dem Colonel gegenüber auszuweinen. Er deutete auf einen zuckenden Gegenstand, der wie ein grauer, blutbefleckter Sack aussah und unübersetzbare Laute von sich gab, und sagte: „Der da zuerst.“
Wie MacEwan feststellen mußte, war der verletzte Kelgianer nur unter großen Schwierigkeiten zu bewegen, zumal das gesamte Gewicht auf lediglich einem orligianischen und zwei terrestrischen Armen lastete: Grawlya-Kis Maske paßte nämlich so schlecht, daß er sie ständig festhalten mußte. Der Verletzte war ein raupenähnliches Wesen mit mehr als zwanzig Beinen, das am ganzen Körper von einem silbrigen, jetzt allerdings stark blutbeflecktem Fell bedeckt war. Der Körper, etwa von der Größe und dem Gewicht eines Terrestriers, war völlig schlaff. Mit Ausnahme des Kopfabschnitts schien er kein Skelett oder irgendwelche anderen Knochen zu haben. Aber es fühlte sich so an, als würden statt dessen direkt unter dem Fell breite, konzentrische Muskelbänder über die gesamte Körperlänge verlaufen.
Als MacEwan und Grawlya-Ki den Kelgianer endlich vom Boden hochgehoben hatten — wobei MacEwan Kopf und Mittelteil mit seiner Brust beziehungsweise mit den ausgestreckten Armen stützte und Grawlya-Ki den Schwanz zwischen Oberarm und Brustkorb einklemmte — schaukelte der vollkommen schlaff durchhängende Körper so stark hin und her, daß eine der Wunden zu bluten begann. Weil sich MacEwan beim Transport zum Eingang des Bordtunnels darauf konzentrierte, den Körper bewegungslos zu halten, und nicht auf den Weg achtete, verfing er sich mit den Füßen in einem Stück des Dekorationsvorhangs. Er fiel auf die Knie, und die Blutungen des Kelgianers wurden immer schlimmer.
„Wir müssen sofort etwas dagegen unternehmen“, brüllte der Orligianer, dessen Stimme von der kleinen Maske gedämpft wurde. „Hast du irgendeine Idee?“
Da bei einem Krieg im Weltraum die meisten Verletzungen durch abrupten Druckabfall entstanden und man diese sowieso nur selten oder überhaupt nicht behandeln konnte, hatte MacEwan beim Militär lediglich die Grundlagen Erster Hilfe gelernt. Darüber hinaus ließen sich seinegeringen Kenntnisse nur auf Mitglieder der eigenen Spezies anwenden. So stillte man zum Beispiel ernsthafte Blutungen, indem man die Blutzufuhr zur Wunde mit einer Aderpresse oder durch Druck auf eine ganz bestimmte Körperstelle unterbrach. Das Blutkreislaufsystem des Kelgianers schien sehr nah unter der Haut zu liegen; wahrscheinlich deshalb, weil die breiten, kreisförmigen Muskelbänder mit Unmengen von Blut versorgt werden mußten. Unglücklicherweise wurde jedoch der genaue Verlauf der Adern vom dichten Fell des Wesens verdeckt. Nach MacEwans Ansicht kamen als Behandlungsmethode nur eine Kompresse und feste Bandagen in Frage. Er hatte zwar keine Kompressen und auch keine Zeit, danach zu suchen, aber an seinem linken Fußgelenk hatte sich so etwas ähnliches wie Verbandstoffersatz verfangen: nämlich Reste des Plastikvorhangs.
Er schüttelte den Vorhangstoff vom Fuß und zog dann ungefähr zwei Meter davon unter den Trümmern hervor, die zusammen mit dem Vorhang von der Decke heruntergekommen waren. Das Material war äußerst robust, und deshalb mußte er all seine Kraft aufwenden, um es quer durchzureißen. Glücklicherweise war der Vorhang aber so breit, daß er die gesamte Wunde bedeckte und sogar noch einige Zentimeter übrigblieben. Mit Hilfe des Orligianers hielt MacEwan den synthetischen Stoff über der Wunde fest. Dann führte er die beiden Enden um den zylindrischen Körper herum, zog sie fest zusammen und machte einen Knoten.
Wahrscheinlich war die Behelfsbandage zu fest geraten und dort, wo sie unterhalb des Kelgianerkörpers entlanglief, preßte sie zwei Beinpaare in einer womöglich falschen Richtung gegen den Bauch. Außerdem mochte MacEwan gar nicht daran denken, welche Folgen der überall an dem Plastikstoff haftende Staub und Schmutz auf die offene Wunde haben könnte.
Der gleiche Gedanke mußte auch Grawlya-Ki durch den Kopf gegangen sein, denn er sagte: „Vielleicht können wir einen anderen Kelgianer auftreiben, der nicht so stark verletzt ist und weiß, was zu tun ist.“
Es dauerte jedoch eine ganze Weile, bis sie endlich einen anderen Kelgianer gefunden hatten. Es kam ihnen vor, als sei bereits mehr als eineStunde vergangen, obwohl erst zehn Minuten verstrichen sein konnten, wenn man der großen und merkwürdigerweise noch immer funktionierenden Hallenuhr glauben wollte, die in konzentrische Ringe unterteilt war, in denen die Zeiteinheiten der Hauptplaneten der Föderation angezeigt wurden.
Einer der beiden Hudlarer hatte zwei der krabbenähnlichen Melfaner aus den Trümmern des Wracks befreit, und zumindest ein Melfaner war noch ansprechbar und anscheinend sogar unverletzt, konnte aber wegen des Chlors oder Staubs nichts sehen. Grawlya-Ki sprach beruhigend auf ihn ein und führte ihn weg, indem er ihn an einem dicken, fleischigen Fortsatz festhielt, der dem Wesen aus dem Kopf wuchs und dessen eigentlichen Zweck er nicht kannte. Der andere Melfaner gab nur laute und unübersetzbare Geräusche von sich. Sein Rückenpanzer war an mehreren Stellen gebrochen und von den drei Beinen, die ihn auf der einen Seite hätten tragen sollen, waren zwei schlaff und nicht mehr zu gebrauchen, und das dritte fehlte sogar völlig.
MacEwan bückte sich schnell und schob seine Hände und Unterarme zwischen den beiden unbrauchbaren Beinen unter den Rand des Rückenpanzers. Dann hob er den Körper bis zur normalen Stehhöhe hoch. Kurz darauf setzten sich die Beine auf der anderen Seite langsam in Bewegung. Er hielt im selben Tempo Schritt, während er die verletzte Seite des Körpers abstützte und den Melfaner um die Trümmerteile herumführte, die überall im Weg lagen, bis er schließlich den Schwerverletzten neben seinen erblindeten Gefährten legen konnte.
MacEwan wußte nicht, was er für den Melfaner noch hätte tun können, deshalb begab er sich wieder zu den Hudlarern, die gerade inmitten der größeren Trümmerstücke herumgruben.
Gemeinsam legten sie drei weitere Melfaner frei, die trotz ihrer schweren Verletzungen gehfähig waren, und führten sie zum Eingang des Bordtunnels. Danach bargen sie zwei Tralthaner aus den Trümmern. Diese riesenhaften, sechsbeinigen Wesen schienen zwar unverletzt, von dem unverändert aus dem Transporter entweichenden Gas jedoch stark in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein. MacEwan und Grawlya-Ki drückten den Tralthanern je eine nidianische Sauerstoffmaske auf eine ihrer beiden Atemöffnungen und riefen ihnen zu, die andere zu schließen. Dann führten sie die beiden zum Sammelpunkt der Verwundeten, wobei sie höllisch aufpassen mußten, daß sie nicht unter eines der elefantenartigen Beine gerieten, das ihnen mit Leichtigkeit einen Fuß zermalmt hätte. Anschließend gruben sie noch zwei der kelgianischen Raupen aus. Eine war offensichtlich an einer seitlichen, tiefen Rißwunde bereits verblutet. Die andere hatte sich fünf der hinteren Beinpaare verletzt und konnte sich deshalb nicht mehr bewegen. Jedoch war sie bei vollem Bewußtsein und konnte so MacEwan und Grawlya-Ki beim Transport zu den anderen Verwundeten mithelfen, indem sie ihren Körper versteifte.