Während einer dieser Reisen waren die Eurilen auf ein Sternsystem gestoßen, dessen einziger bewohnter Planet sich auf einer äußerst exzentrischen Umlaufbahn um den Hauptplaneten befand, wodurch die heimische Flora und Fauna gezwungen war, sich den dort herrschenden Umweltbedingungen anzupassen, die so extrem waren, daß sie von dampfenden Polardschungeln im Sommer bis zu einer scheinbar leblosen Welt aus Eis im Winter reichten. Als die Eurilen den Planeten damals zum erstenmal in seinem kalten Winterkleid sahen und ihn bereits für unbewohnbar hielten, entdeckten ihre Sonden plötzlich Spuren einer hochtechnisierten Kultur, die im Eis eingeschlossen war. Nähere Untersuchungen enthüllten, daß es sich um eine noch bestehende Zivilisation handelte, die wie jedes Tier und alle pflanzlichen Lebensformen des Planeten auf den Frühling und das Ende des Winterschlafs wartete.
Erst als der polare Frühling schon weit fortgeschritten war, konnten die langen, baumstammähnlichen Gebilde, die in und rings um die Städte unter dem Eis gelegen hatten, als die Angehörigen dieser Winterschlaf haltenden Spezies identifiziert werden.
„Aus diesem Bericht ist klar ersichtlich, daß der gesamte Alien ein Gruppenwesen ist, das sich aus für uns noch unerfindlichen Gründen vor dem Winterschlaf in die einzelnen Wesen aufspalten muß“, fuhr Conway fort. „Da der Winterschlaf für diese Spezies etwas ganz Natürliches ist, war das Problem der künstlichen Verlängerung und der Umkehr dieses Vorgangs zum Zweck der interstellaren Auswanderung aus medizinischer Sicht relativ einfach zu lösen.
Im darauffolgenden Jahr wurde eine ganze Anzahl der Wesen von den Eurilen bei vollem Bewußtsein beobachtet“, fuhr Conway fort. „Die CRLTs verrichteten ihre Arbeit in geheizten Gewölben unter dem Eis, wozu sie sich zu kleinen Gruppenwesen zusammenschlossen. Daraus kann man entnehmen, daß sie erst dann in den Winterschlaf fallen, wenn sie dazu gezwungen sind. Deshalb ist es auch nicht notwendig, die extremen Temperaturen ihres alten Heimatplaneten auf einem neuen zu reproduzieren, da für sie jeder neue Planet geeignet ist, auf dem ein ähnliches Sommerklima herrscht, wie sie es gewohnt sind. Wäre das nicht so, hätte ihre Auswanderung von Anfang an keine Chancen auf Erfolg gehabt, da es praktisch unmöglich ist, einen anderen Planeten zu finden, auf dem dieselben Umweltbedingungen wie auf ihrem eigenen herrschen. Und die Gründe, warum sich die CRLT-Lebensform zu einem Gruppenwesen entwickelte, das anfangs nur sehr klein ist, werden aus diesem Bericht auch ersichtlich.“
Trotz ihrer fortschrittlichen Technologie lief selbst zu Zeiten des eurilischen Besuchs für die CRLTs noch lange nicht alles nach Wunsch. Sie lebten auf einem unglaublich grausamen Planeten, auf dem es keine klare Trennung zwischen tierischen und pflanzlichen Raubtieren gab. Um überhaupt eine Überlebenschance zu haben, mußten die jungen CRLTs schon bei der Geburt körperlich sehr weit entwickelt sein und so lange wie möglich unter elterlichem Schutz stehen. Deshalb wurde die Entbindung so lange hinausgezögert, bis aus dem Nachwuchs ein junger Erwachsener geworden war, der sein eigenes Überleben gelernt hatte und wußte, wie er das Fortleben seines Elternteils unterstützen mußte.
In jedem Winter, wenn alles schlief und keine körperliche Bedrohung bestand, fand die Abtrennung des Kindes vom Elternteil statt, und im Frühling vereinigten sich beide wieder, um den Überlebensunterricht fortzusetzen.
Das Kind, das in diesem Stadium immer weiblich war, erreichte früh die körperliche Reife und gebar ein eigenes Kind. So setzte es sich unentwegt fort, und der jeweilige Erwachsene, der sein anfänglich weibliches Geschlecht allmählich in ein männliches verwandelte, zog im Laufe der Jahre eine zunehmend längere Kette von Wesen hinter sich her, die nach hinten immer weniger Männlichkeit und ständig abnehmende Erfahrung aufwiesen. Zudem rückten durch das Absterben vorderer Kettenglieder diedahinterliegenden Segmente des Gruppenwesens langsam immer weiter zum Kopf vor.
„Das Gehirn des CRLT ist ein Teil des zentralen Nervenstrangs, der bei der Verschmelzung über die Schnittstellen an beiden Körperenden mit den Gehirnen der einzelnen Wesen verbunden wird“, fuhr Conway fort. „Deshalb lernt das Individuum im Gruppenwesen nicht nur durch eigene Erfahrung, sondern auch durch die seiner Vorfahren weiter vorne in der Schlange. Je größer also die Zahl der Individuen im Gruppenwesen ist, desto schlauer sind der männliche Kopf der Schlange und die vorderen Körpersegmente. Sollte der Kopfabschnitt, das älteste Wesen der Gruppe also und wahrscheinlich dasjenige, das die Entscheidungen trifft, aus natürlichem oder unnatürlichem Grund sterben, übernimmt das männliche Wesen dahinter dessen Position.“
Murchison räusperte sich vornehm und sagte: „Sollte irgend jemand zu diesem Zeitpunkt eine allgemeine Bemerkung über die körperliche oder geistige Überlegenheit des männlichen über das weibliche Geschlecht machen wollen, dann soll er oder sie wissen, daß sich er oder sie meiner Verachtung sicher sein darf.“
Conway lächelte und schüttelte den Kopf. Dann fuhr er in ernstem Ton fort: „Der männliche Kopf befruchtet natürlich eine Anzahl junger weiblicher Schwanzsegmente anderer Gruppenwesen, aber dabei gibt es ein Problem. Da so viele Individuen in der Mitte des Gruppenwesens weder vollkommen männlich noch weiblich sind, entstehen bestimmt ernstliche psychologische Schwierigkeiten, sexuelle Frustrationen, zumal sie nicht in der Lage sind, das.“
„Wenn aber alle Individuen einer Gruppe dasselbe denken und somit vermutlich auch schmerzvolle wie angenehme Empfindungen miteinander teilen, gibt es kein Problem“, unterbrach ihn Murchison.
„Natürlich, daran hab ich gar nicht gedacht“, entgegnete Conway. „Aber es gibt trotzdem noch ein Problem. Denkt mal an die Länge unseres Patienten. Wenn die Individuen tatsächlich allesamt dieselben Gedanken und Erfahrungen teilen, könnte es sich um ein wirklich langlebiges und hochintelligentes Gruppenwesen handeln, das.“
Die kurze Diskussion wurde an dieser Stelle vom Betriebssignal der Luftschleuse vorzeitig unterbrochen. Das dritte CRLT-Paar war eingetroffen.
Diese beiden Wesen stammten aus den am weitesten achtern liegenden Windungen des Spulenschiffs, wo die Opfer unter den ältesten und intelligentesten CRLTs am schwersten gewesen waren. Laut Angaben des taktischen Computers der Vespasian und der Erkenntnisse der Spezialisten für ET-Schriften und Zahlensysteme waren bei der Kollision insgesamt dreiundfünfzig Winterschlafcontainer samt Insassen vernichtet worden. Zwischen den beiden jetzt in den Laderaum gebrachten CRLTs hatten sich siebzehn Mitglieder des Gruppenwesens befunden, die umgekommen waren.
Die übrigen Lücken in der Spule waren allesamt sehr viel kleiner — in der größten fehlten fünf und in den restlichen jeweils drei bis vier Zylinder. Falls es ihnen gelingen würde, die größte Lücke erfolgreich zu schließen, dann dürften ihnen die kleineren weit geringere Schwierigkeiten bereiten, hoffte Conway.
Wie beim vorhergehenden CRLT-Paar sprach der Auslösemechanismus auf die Kombination von künstlicher Schwerkraft und atmosphärischem Druck sofort an, öffnete die Zylinder und weckte die CRLTs allmählich aus dem Winterschlaf Conway hatte bereits die Spritzen bereitgelegt, um die Aliens wieder in den Schlaf zu befördern, falls sie Ärger machen sollten. Laut Prilicla wachten sie jetzt langsam auf, und der emotionalen Ausstrahlung zufolge handelte es sich um körperlich voll entwickelte und hochintelligente Wesen. Nachdem die CRLTs wieder zu Bewußtsein gekommen waren, verließen sie langsam die Zylinder und bewegten sich aufeinander zu.