„Meine Freundin“, entgegnete der Empath schüchtern, „meiner Ansicht nach würde aber der vom Kopfsegment oder irgendeinem anderen CRLT ausgehende Nervenreiz nicht stark genug sein, um über die gesamte Länge dieses riesigen Gruppenwesens die Bewegung sämtlicher Fortbewegungsmuskeln auszulösen.“
„Das ist richtig“, stimmte ihm die Pathologin zu. „Aber es gibt einen aus einem Ganglienbündel bestehenden organischen Verstärker direkt über der Gebärmutter, beziehungsweise bei den männlichen Wesen über der einstigen Gebärmutter, an einer Stelle also, wo das umliegende Zellgewebe einen hohen Mineralgehalt aufweist und besonders reich an Kupfersalzen ist. Dieser biologische Verstärker sorgt dafür, daß die Fortbewegungsmuskeln die Reize über die gesamte Länge der Schlange mit unverminderter Stärke empfangen.“
„Drittens“, fuhr Conway mit etwas lauterer Stimme fort, um weitere Unterbrechungen zu verhindern, „gibt es die vier Muskellappen, die mit ihren knöchernen Haken an der Spitze in die vier durch Knochen verstärkte Öffnungen des anderen Wesens passen. Das ist der eigentliche Andockmechanismus, durch den die Verbindungsflächen der einzelnen Segmente zusammengehalten werden, und in diesem Fall.“
„Gleichzeitig ist das auch die Methode, mit der das weibliche Segment am Ende der Schlange sein heranwachsendes Kind festhält“, unterbrach ihn Murchison erneut. „In dieser Entwicklungsphase bleibt dem Kind auch noch gar nichts anderes übrig. Aber wenn es erwachsen ist, ein eigenes Kind hat und in der Schlange weiter aufgerückt ist, dann wäre bestimmt eine freiwillige Trennung möglich, da bin ich mir sicher. Bei bestimmten Tätigkeiten, für die man nicht das ganze Gruppenwesen braucht, ist eine Trennung höchstwahrscheinlich sogar notwendig.“
„Das ist höchst interessant, meine Freundin“, erwiderte Prilicla. „Man sollte meinen, daß die erste freiwillige Trennung einen gewissen seelischen Schock hervorrufen würde. Möglicherweise wäre das so ähnlich wie eine Feier zur Volljährigkeit, obwohl diese Trennung möglicherweise nicht für immer.“
Bevor Conway den Empathen unterbrechen konnte, verstummte dieser bereits von selbst und begann wegen der von Conway ausgestrahlten Gefühle der Verärgerung und Ungeduld zu zittern. „Das ist ja alles hochinteressant, meine Freunde“, sagte Conway. „Aber im Moment haben wir für eine allgemeine Diskussion überhaupt keine Zeit. Jedenfalls würde sich nach der eben erwähnten vorübergehenden Trennung der junge Erwachsene ohnehin wieder mit seinem ursprünglichen Elternteil verbinden und nicht mit einem. ich glaube, man könnte ihn einen Vorfahren siebzehnten Grades nennen. Genau das ist nämlich das Problem, vor dem wir zur Zeit stehen. Und auf dieses Problem und die für seine Lösung notwendigen chirurgischen Schritte werden wir uns jetzt konzentrieren, wenn es niemandem etwas ausmacht.
Natürlich steht es jedem frei, die Operation durch irgendeinen klugen Kommentar jederzeit zu unterbrechen“, fügte er noch trocken hinzu.
Aber es gab nur wenige Kommentare, die dann allerdings für die Operation sehr hilfreich waren. Und schon sehr bald wurde sogar den zuschauenden Traktor- und Pressorstrahlentechnikern, dem befehlshabenden Offizier der Descartes und dem Flottenkommandanten Dermod, dessen Gesicht zwar nur kurz, aber immer häufiger auf dem schräg zwischen Wand und Decke hängenden Großbildschirm auftauchte, klar, daß auch das medizinische Team hart arbeitete.
Da das Orbit Hospital in erster Linie das führende Unfallkrankenhaus der Föderation war, handelte es sich bei den dort an terrestrischen oder extraterrestrischen Patienten durchgeführten Operationen eher um heilende als um plastische Chirurgie. Daher kam es Conway ziemlich seltsam vor — und wie er wußte, teilten alle Mitglieder seines Teams seine Gefühle —, einen kerngesunden ET mit dem einzigen Zweck zu operieren, die Größe und Konturen bestimmter physiologischer Merkmale zu verändern. Die Operation selbst war allerdings alles andere als leicht.
Der größere Teil des operativen Eingriffs mußte am zweiten Alien vorgenommen werden, dessen vordere kegelförmige Erhebung zur Verbindung der Ganglienketten an der Basis zu groß war, um in den Schließmuskel der entsprechenden Öffnung des ersten CRLTs zu passen. Bei dem halbstarren Zapfen und dem Schlitz, durch die das für die Koordination der Fortbewegung der beiden Wesen verantwortliche Nervengeflecht miteinander verbunden wurde, war die Lösung viel einfacher. Die tiefe Rille beim ersten Alien wurde operativ so weit vergrößert, bis Messungen erwiesen, daß der Zapfen bequem hineinpassen würde. Danach wurde der Schlitz mit Nähten verstärkt, um eine weitere unbeabsichtigte Vergrößerung zu verhindern. Aber die vier dreieckigen Muskellappen mit den hakenartigen Knochenspitzen warfen ein völlig anderes und schwierigeres Problem auf.
Die vier Muskellappen bildeten zusammen die organische Hauptverbindung, durch die die beträchtliche Körpermasse des hinteren CRLT am vorderen festgehalten wurde. Sie paßten nicht zusammen, weil die Haken nicht bis in die für sie bestimmten Öffnungen hineinreichten.
Eine Verlängerung der vier dreieckigen Lappen war nicht angezeigt, da ein solcher operativer Eingriff eine ernstliche Schwächung der Muskulatur zur Folge gehabt hätte. Obendrein konnte man nicht die Auswirkungen auf das Geflecht aus Blutgefäßen vorhersehen, die, sobald das Wesen sein Bewußtsein wiedererlangte, anschwollen und die Lappen zu vierfacher Größe anwachsen ließen. Statt dessen nahmen Conway und Murchison von den Haken Abdrücke und fertigten künstliche Haken an, wobei sie für die Spitze einen harten, biologisch neutralen Kunststoff und rund um die Basis einen breiten Streifen aus dünnerem und flexiblerem Material verwendeten. Das Ergebnis war eine Reihe hohler, hakenbesetzter Gebilde, die großen Handschuhen glichen. Nachdem die echten Haken passend zurechtgefeilt worden waren, stülpte man die handschuhähnlichen Prothesen darüber und befestigte sie mit Nieten und Nähten in der richtigen Position.
Plötzlich gab es nichts anderes mehr zu tun, als zu hoffen.
Der Großbildschirm über den beiden bewußtlosen CRLTs zeigte eine Gesamtansicht des Spulenschiffs, das mittlerweile bis auf die Zylinder, in denen sich noch zu operierende Insassen befanden, fertig zusammengebaut war. Außerdem sah man das undurchdringliche, aber methodische Gewimmel überall umherfliegender Schiffe.
So sehr sich Conway auch dagegen wehrte, quälte ihn doch immer wieder ein und derselbe Gedanke: Falls sich diese Operation als Fehlschlag herausstellen sollte, wäre der Einsatz der gewaltigen Flotte, die von den riesigen Großkampfschiffen samt ihren Hilfsgeräten bis hin zu den Schwärmen von Aufklärungsschiffen reichte, praktisch umsonst gewesen, und die Armee von Spezialisten für Schiffsbau und Kommunikation hätten hier nur ihre kostbare Zeit vergeudet.
Und für die alleinige Übernahme dieser Verantwortung hatte er damals lang und breit mit Thornnastor, O’Mara und Skempton im Orbit Hospital diskutiert — er mußte verrückt gewesen sein.
„Weckt sofort die CRLTs auf!“ ordnete er in einem ungewohnt rüden Ton an.
Alle beobachteten besorgt, wie die beiden CRLTs erneut aus dem Winterschlaf erwachten und sich aufeinander zubewegten. Die Aliens berührten sich einmal — eine kurze Berührung zur Probe —, dann verschmolzen sie miteinander. Wo sich vorher zwei große, zwanzig Meter lange, raupenähnliche Wesen befunden hatten, war jetzt nur noch eins von doppelter Länge.
Die Verbindungsstelle war natürlich zu sehen, aber man mußte schon sehr genau hinschauen. Conway zwang sich zu einer Wartezeit von zehn endlosen Sekunden, aber auch danach hatten sich die CRLTs noch nicht wieder getrennt.
„Prilicla?“
„Die Aliens haben Schmerzen, mein Freund“, antwortete der leicht zitternde Empath, „die sich aber in erträglichen Grenzen halten. Außerdem nehme ich Gefühle der gegenseitigen Akzeptanz und der Dankbarkeit wahr.“
Conway stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, der nahtlos in ein gewaltiges Gähnen überging, das ihm die Tränen in die Augen trieb. „Ich danke euch allen“, sagte er, wobei er sich angestrengt die Augen rieb. „Befördert die CRLTs wieder in ihren Winterschlaf, überprüft noch mal die Nähte und versiegelt die Zylinder. Die beiden brauchen sich erst nach der Landung wieder miteinander verbinden, und bis dahin müßten die Wunden weitgehend verheilt sein, was den Verschmelzungsvorgang bestimmt angenehmer gestalten wird. Und für uns selbst verschreibe ich hiermit acht Stunden festen Schlaf, bevor wir.“