MacEwans Bitte um Hilfe für den zu Anfang geborgenen kelgianischen Verletzten, dem er vorhin eine Behelfskompresse angelegt hatte, mußte die Raupe abweisen, da sie keine medizinische Ausbildung hatte und ihr auch ansonsten keine anderen Hilfsmaßnahmen einfielen.
Auf die stetig wachsende Menge von Verletzten am Tunneleingang gingen, krochen und schlängelten sich inzwischen noch mehr Verwundete zu, die aus den Trümmern geborgen worden waren oder sich selbst hatten befreien können. Einige konnten zwar sprechen, aber die meisten gaben nur laute und unübersetzbare Töne von sich, die vermutlich Schmerzenslaute waren. Die Verletzten, die noch immer zwischen den herabgestürzten Trümmerstücken eingeklemmt waren, gaben vergleichsweise schwache Geräusche von sich.
Die beiden Hudlarer arbeiteten zwar unermüdlich, wobei sie oft von einer Staubwolke umgeben waren, die sie dabei aufwirbelten, schienen aber nur noch organische Überbleibsel freizulegen, für die jede Hoffnung auf Rettung zu spät kam. So gab es einen weiteren Kelgianer, der auf schreckliche Weise völlig ausgeblutet war. Zwei, vielleicht auch drei Melfaner mit zerdrückten und zertrümmerten Rückenpanzern und gebrochenen Gliedern wurden freigelegt und ein von einem herabstürzenden Dachbalken völlig zerquetschter Tralthaner, der sichallerdings noch immer fortzubewegen versuchte.
MacEwan hatte zwar Angst, eins dieser Wesen zu berühren, weil der Körper womöglich zwischen seinen Händen auseinanderfallen würde, konnte sich aber nicht absolut sicher sein, ob den Schwerverletzten wirklich nicht mehr zu helfen war. Schließlich wußte er überhaupt nichts über ihre Überlebensfähigkeit bei schweren Verletzungen, und er hatte auch keine Ahnung, ob sie nicht durch eine rechtzeitige fachärztliche Behandlung gerettet werden könnten. Er war auf sich selbst wütend und fühlte sich zu nichts nutze, und nun drang auch noch zu allem Überfluß allmählich das Chlor in seine Gesichtsmaske ein.
„Dieses Wesen hier scheint fast unverletzt zu sein“, stellte der Hudlarer neben ihm fest. Er hatte einen schweren Tisch von einem auf der Seite liegenden Tralthaner gehoben, dessen sechs stämmige Beine noch schwach zuckten. Jedenfalls wiesen die kuppelartige Gehirnschale, der Rüssel mit den vier Augen und die dicke Lederhaut keinerlei Anzeichen von Verletzungen auf. „Vielleicht macht ihm nur das giftige Gas zu schaffen. Was meinen Sie?“
„Wahrscheinlich haben Sie recht“, antwortete MacEwan, und gleich darauf drückte er zusammen mit Grawlya-Ki nidianische Masken auf die Atemöffnungen des Tralthaners. Nach einigen Minuten hatte sich der Zustand des Tralthaners noch immer nicht gebessert. MacEwans Augen brannten, obwohl er genau wie Grawlya-Ki die Maske mit einer Hand fest gegen das Gesicht gepreßt hielt.
„Haben Sie noch eine andere Idee?“ fragte er schließlich den Hudlarer wütend.
In Wirklichkeit richtete sich seine Wut gegen seine eigene Hilflosigkeit, und er hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt, daß er sie an dem Hudlarer ausließ. Zu allem Überfluß konnte er die beiden Hudlarer äußerlich einfach nicht auseinanderhalten. Sie unterschieden sich nur dadurch, daß der eine eher gequält klang und alles sehr umständlich und allzu höflich formulierte, während sein Lebensgefährte wesentlich direkter zur Sache kam. Dieser hier war zum Glück der Erstgenannte. „Möglicherweise befinden sich die Verletzungen auf der Seite, die auf dem Boden liegt, und sind daher momentan für uns nicht sichtbar“, gab der Hudlarer auf seine schwerfällige Art zu bedenken. „Vielleicht bereitet dem Tralthaner auch das Liegen auf der Seite ernste Unannehmlichkeiten, zumal er ein gedrungenes Wesen ist, das unter hohen Schwerkraftverhältnissen lebt und gewisse körperliche Ähnlichkeiten mit mir selbst aufweist. Wir Hudlarer können zwar problemlos in der Schwerelosigkeit arbeiten, wenn aber Schwerkraft vorhanden ist, muß sie unbedingt nach unten wirken, andernfalls treten innerhalb kürzester Zeit ernsthafte Organverlagerungen auf, die eine vollkommene Arbeitsunfähigkeit zur Folge haben. Darüber hinaus ist es eine Tatsache, daß sämtliche tralthanischen Schiffe mit einem künstlichen Gravitationssystem ausgerüstet sind, das mehrere Ausfall Schutzsicherungen besitzt. Das ist übrigens nur einer der vielen Gründe für die Zuverlässigkeit der auf Traltha gebauten Schiffe und warum sie überall so beliebt sind. Jedenfalls läßt sich daraus folgern, daß die Tralthaner die seitliche Einwirkung der Gravitation auf den Körper um jeden Preis vermeiden müssen, und daß dieses Wesen hier unter.“
„Jetzt hör endlich auf, großartige Vorträge zu halten, und heb den Kerl hoch“, unterbrach ihn plötzlich der zweite Hudlarer, der sich zu der Gruppe gesellt hatte.
Der erste Hudlarer streckte seine beiden vorderen Tentakel aus, ließ sie über den Rücken des Tralthaners gleiten und schob sie unter die auf dem Boden liegende Seite des Körpers, wobei er sich mit den anderen vier vor den schwach zuckenden Füßen des Liegenden abstützte. MacEwan beobachtete, wie sich die Tentakel strafften, sich bis zum äußersten anspannten und schließlich zu zittern begannen. Doch der Körper des Tralthaners rührte sich keinen Millimeter, so daß der zweite Hudlarer in Position ging, um zu helfen.
MacEwan war überrascht und besorgt zugleich. Er hatte gesehen, daß diese Tentakel, die sowohl zum Gehen als auch zum Greifen dienten, Balken, riesige Bauteile und gewaltige Trümmermassen anscheinend mühelos hochheben konnten. Es handelte sich um eindrucksvoll undungeheuer stark entwickelte Gliedmaßen mit dicken, verhärteten Ballen, die eine Art Knöchel bildeten, auf dem der Hudlarer ging. Der Rest des Tentakels, die dünnere, flexiblere Hälfte mit einem Fingerbüschel an der Spitze, wurde beim Gehen nach innen gegen die Unterseite des Körpers zusammengerollt. Obwohl der Tralthaner, den die beiden Hudlarer jetzt zu bewegen versuchten, ungefähr nur die Größe eines terrestrischen Elefantenbabys hatte, reichten deren vereinte Kräfte lediglich dazu aus, den Körper leicht anzuheben.
„Warten Sie!“ rief MacEwan eindringlich. „Sie haben doch schon viel schwerere Gewichte hochgehoben. Ich glaube, der Tralthaner hängt an einem vorspringenden Bauteil fest oder ist womöglich darauf aufgespießt, und Sie können ihn nicht bewegen, weil er.“
„Wir können ihn nicht bewegen, weil wir nach einer ungenügenden Mahlzeit riesige Energiemengen verbraucht haben“, unterbrach ihn der höfliche Hudlarer. „Bei der Einnahme unserer letzten, sowieso schon überfälligen Mahlzeit sind wir vom Unfall unterbrochen worden, kaum daß wir mit ihr begonnen hatten. Wir sind schwach wie kleine Kinder, so schwach wie Sie oder Ihr orligianischer Freund. Aber wenn Sie beide auf die andere Seite des Tralthaners gehen und mithelfen würden, dann könnte Ihre vereinte Körperkraft, so jämmerlich diese auch ist, die Sache möglicherweise ändern.“
Vielleicht war das doch nicht der höfliche Hudlarer, dachte MacEwan, als er und Grawlya-Ki seinem Vorschlag nachkamen. Eigentlich wollte er sich bei den Hudlarern für die Unterstellung entschuldigen, sie seien lediglich organische Bergungsmaschinen, deren Fähigkeiten er für selbstverständlich gehalten hatte. Aber im Gegensatz zu den Hudlarern brauchte er Luft zum Sprechen und davon hatte er zur Zeit zuwenig, da er und Grawlya-Ki sich bereits mit den Schultern unter dem Schädeldach des Tralthaners befanden. Ihre jämmerliche vereinte Körperkraft änderte die Sache allerdings tatsächlich.