Der Tralthaner kam langsam wieder in eine aufrechte Position, taumelte unsicher auf seinen sechs weit auseinanderstehenden Füßen und wurdedann vom Orligianer zu den übrigen Verletzten geführt. MacEwan hatte mittlerweile nicht nur Chlor, sondern auch Schweiß in den Augen und wußte deshalb nicht, welcher der beiden Hudlarer ihn jetzt ansprach. Wahrscheinlich war es derjenige, den er damit betraut hatte, verletzte Illensaner in den beschädigten Transporter zu heben.
„Ich hab da Schwierigkeiten mit einem Chloratmer, Terrestrier“, sagte der Hudlarer. „Er ist mir gegenüber ausfallend und will mir nicht gestatten, ihn anzufassen. Die Umstände verlangen nach einer schnellen Entscheidung, die ich aber allein nicht fällen will. Könnten Sie vielleicht mit ihm sprechen?“
Die nähere Umgebung des Transporters war inzwischen von allen Verletzten geräumt worden. Die einzige Ausnahme bildete dieser Illensaner, der sich standhaft weigerte, fortgebracht zu werden. MacEwan gegenüber gab er als Begründung an, er selbst habe zwar keine ernsthaften Verletzungen erlitten, dafür aber hätte seine Druckhülle zwei kurze Risse bekommen. Den einen hatte er schlecht und recht abdichten können, indem er den Stoff der Hülle um das Leck herum mit beiden Greiforganen gepackt hatte und fest geschlossen hielt, den anderen Riß preßte er zusammen, indem er lediglich darauf lag. Diese Vorkehrungen hatten ihn gezwungen, den Innendruck der Hülle zeitweilig zu erhöhen, so daß er überhaupt keine klare Vorstellung mehr davon hatte, wie lange die Füllung seines Chlorbehälters noch reichte. Obwohl er womöglich kurz vor dem Erstickungstod stand, wollte er sich trotzdem nicht in den zwar ebenfalls leckgeschlagenen, aber dennoch relativ sicheren Transporter tragen lassen, weil dadurch die tödliche Hallenatmosphäre in seine Schutzhülle eindringen könnte.
„Lieber ersticke ich langsam an Chlormangel, als mir von Ihrem Sauerstoff in null Komma nichts meine Atemwege und Lunge zerfressen zu lassen. Fassen Sie mich bloß nicht an!“ bat er eindringlich.
MacEwan fluchte leise vor sich hin, näherte sich dem Illensaner aber nicht. Wo blieben nur die Bergungstrupps, die schon längst hätten eintreffen müssen? Die Uhr zeigte an, daß bereits mehr als fünfundzwanzigterrestrische Minuten seit dem Unfall vergangen waren. Er sah, daß zwar inzwischen die Schaulustigen von der inneren Hallenwand verjagt worden waren, dort aber mittlerweile ein nidianisches Fernsehteam in Position gegangen war und einige ahnungslose Mitglieder des Bodenpersonals anscheinend tatenlos herumstanden. Draußen fuhren schwere Fahrzeuge vor und Nidianer mit Rucksäcken und Helmen hasteten umher, aber wegen der ständig tränenden Augen und der allgegenwärtigen Plastikvorhänge konnte MacEwan keine Einzelheiten erkennen.
Plötzlich deutete er auf die Vorhänge und sagte zu den Hudlarern: „Würden Sie bitte ein großes Stück von dem Plastik herunterreißen und es über den Illensaner legen? Drücken Sie es überall fest an den Anzug und streichen Sie die Falten zu den Rändern hin glatt, damit dort soviel Luft wie möglich ausweicht. Ich bin in einer Minute wieder da.“
Um den Transporter herum eilte er zu dem ersten verletzten Illensaner, dessen Körper ein blasses, pulveriges Blau angenommen hatte und sich allmählich auflöste, und bemühte sich, nur auf die Verbindungspunkte des Chlorbehälters mit dem Gurt zu schauen. Er brauchte mehrere Minuten, um den Tank vom Körpergurt zu lösen, und mehrmals berührten dabei seine bloßen Hände das organische Gewebe des toten Illensaners, das wie verfaulendes Holz zerbröckelte. MacEwan wußte zwar, was für ein heimtückisches Gas Sauerstoff für Chloratmer war, aber erst jetzt konnte er richtig verstehen, daß allein der Gedanke, in einem undichten Anzug fortgetragen zu werden, bei dem zweiten Illensaner panische Angst ausgelöst haben mußte.
Als er zurückkehrte, strich Grawlya-Ki das Plastik um den Illensaner herum alleine glatt, während die beiden Hudlarer ein Stück zurückgetreten waren. Einer der beiden entschuldigte sich: „Unsere Bewegungen sind leider ein wenig unkoordiniert geworden, und deshalb hatte der Chloratmer Angst, wir könnten aus Versehen auf ihn fallen. Aber falls wir noch etwas anderes tun können.“
„Nein“, entgegnete MacEwan knapp. Dann drehte er den Gashahn des Chlorbehälters auf, schob ihn schnell unter die Plastikdecke und stieß ihn nah an den Illensaner heran. Seiner Meinung nach würde das zusätzliche Ausströmen von Chlor jetzt auch keinen großen Unterschied mehr machen — schließlich hatten sich Sauerstoffatmer im gesamten Umkreis des Transporters schon die ganze Zeit nicht mehr ohne Gefahr für Leib und Leben aufhalten können. Er drückte seine kleine Sauerstofffmaske fest gegen das Gesicht, atmete tief und gründlich durch die Nase ein, um mit den Hudlarern sprechen zu können.
„Ich bin ziemlich gedankenlos und anscheinend für die großartige Arbeit, die Sie hier geleistet haben, auch recht undankbar gewesen“, entschuldigte er sich. „Für Sie gibt es hier nichts mehr zu tun. Bitte gehen Sie jetzt, und besprühen Sie sich mit dem notwendigen Nahrungspräparat. Sie haben äußerst uneigennützig gehandelt, und dafür bin ich Ihnen, wie übrigens alle anderen auch, zu größtem Dank verpflichtet.“
Die beiden Hudlarer machten allerdings keinerlei Anstalten zu gehen. Ungeachtet dessen legte MacEwan einzelne Trümmerstücke auf die Ränder der Plastikplane, und Grawlya-Ki, der eine rasche Auffassungsgabe hatte, tat das gleiche. Kurz darauf wurden die Ränder so fest zu Boden gedrückt, daß das aus dem Behälter entweichende Gas die Plastikdecke langsam aufblies und sich der Illensaner somit in einem provisorischen Chlorzelt befand. Die Hudlarer hatten sich immer noch nicht von der Stelle gerührt.
„Der Colonel gibt dir schon wieder ein Zeichen“, sagte Grawlya-Ki. „So, wie er sich aufführt, scheint es ziemlich dringend zu sein.“
„Unglücklicherweise können wir hier unsere Sprühdosen nicht benutzen, Terrestrier“, erklärte einer der Hudlarer, bevor MacEwan Grawlya-Ki antworten konnte. „Der Absorptionsmechanismus in unserer Haut würde zusammen mit der Nahrung auch das giftige Gas aufnehmen, und für unsere Spezies sind schon winzige Mengen Chlor tödlich. Das Nahrungspräparat kann nur in einer günstigen Atmosphäre oder im luftleeren Raum eingenommen werden.“
„Verdammte Scheiße!“ fluchte MacEwan. Wenn er daran dachte, wie aufopferungsvoll die Hudlarer für die Befreiung der Verletzten geschuftet hatten, obwohl sie wußten, daß ihre Zeit und verfügbare Energie streng begrenzt waren, und ihn darüber hinaus im Glauben gelassen hatten, keinerlei Schwierigkeiten zu haben, dann hätte er eigentlich mehr zu sagen haben müssen — doch „Verdammte Scheiße!“ war alles, was er über die Lippen brachte. Er blickte Grawlya-Ki hilflos an, aber das Gesicht des Orligianers war fast vollständig von der pelzigen Hand bedeckt, die die lächerlich kleine Maske festhielt.
„Bei unserer Spezies ist Verhungern ein recht schneller Vorgang, ähnlich dem Ersticken bei Gasatmern“, fügte der andere Hudlarer ruhig hinzu. „Ich schätze mal, wir werden in knapp acht kurzen Einheiten unserer Zeitrechnung das Bewußtsein verlieren und sterben.“
MacEwans Augen richteten sich auf die konzentrischen Kreise der Hallenuhr. Der Hudlarer sprach von einer Zeitspanne, die ungefähr zwanzig irdischen Minuten entsprach. Irgendwie mußte dieser Bordtunnel doch zu öffnen sein!
„Gehen Sie zum Tunneleingang und versuchen Sie, bei Kräften zu bleiben“, sagte er. „Warten Sie bei den anderen, bis.“ Er brach verlegen ab und wandte sich dann an seinen Freund: „Ki, du gehst am besten auch mit rüber. Das Chlor hier in der Luft reicht aus, um dein Fell vollkommen auszureichen. Laß weiterhin die Masken herumgehen und.“
„Denk an den Colonel“, erinnerte ihn Grawlya-Ki, während er sich bereits umdrehte, um den Hudlarern zu folgen. MacEwan signalisierte ihm seinen Dank, doch bevor er selbst zur Innenwand gehen konnte, begann der Illensaner zu sprechen, dessen Stimme unter dem provisorischen Chlorzelt gedämpft klang.