„Das war eine geniale Idee, Terrestrier“, sagte der Illensaner langsam. „Meine Druckhülle befindet sich jetzt in einer günstigen Atmosphäre, die es mir ermöglicht, den gerissenen Stoff zu reparieren und so lange zu überleben, bis ich Hilfe von anderen Illensanern erhalte. Vielen Dank!“
„Keine Ursache“, entgegnete MacEwan und bahnte sich durch die Trümmer hindurch einen Weg zu der noch immer wie wild gestikulierenden Gestalt des Colonels. Er war noch mehrere Meter von der Wand entfernt, als der Offizier auf ein Ohr deutete und dann mit dem Zeigefinger gegen die Innenfläche der Wand pochte. MacEwan löste gehorsam auf einer Seite die Maske und drückte ein Ohr gegen die transparente Wand. Obwohl die Gesichtsfarbe des Colonels verriet, daß er schrie, war seine Stimme nur leise und sehr undeutlich zu hören.
„Hören Sie zu, MacEwan, und versuchen Sie jetzt nicht zu antworten“, brüllte der Colonel. „Wir haben Sie in fünfzehn, höchstens zwanzig Minuten da rausgeholt, und schon in zehn Minuten bekommen sie frische Luft. Es ist bereits für sämtliche Verletzten aller Spezies ärztliche Hilfe unterwegs. Außerdem weiß auf diesem Planeten inzwischen jeder über den Unfall Bescheid, weil das Fernsehen auf allen Kanälen in den Nachrichten über Ihre Ausweisung berichtet hat. Das ist wirklich mal eine Nachricht, die einschlägt! Wegen der Kontaktmikrofone und der daran angeschlossenen Translatoren der Fernsehteams verstehen wir jedes einzelne Wort, das bei Ihnen da drinnen gesprochen wird. Die Regierung besteht darauf, daß alle erdenklichen Anstrengungen zur Beschleunigung der Rettungsaktion unternommen werden.“
Auf der anderen Seite der Halle schwenkte Grawlya-Ki gerade seine Maske und den Luftbehälter über dem Kopf. Als sich der Orligianer sicher war, daß MacEwan ihn gesehen hatte, warf er Maske und Behälter weg. Auch von den anderen Verwundeten trug keiner mehr eine Maske; offensichtlich waren die Geräte nutzlos geworden, da der Sauerstoffvorrat mittlerweile verbraucht war.
MacEwan fragte sich, wie lange sein eigener Sauerstoffvorrat noch reichen würde, zumal die Ausrüstung für die kleinen Nidianer konzipiert worden war, deren Lungen lediglich das halbe Volumen menschlicher Lungen hatten. Außerdem war während des ständigen Weitergebens der Masken von einem Verletzten zum anderen eine Menge Luft ungenutzt verloren gegangen. Bei Grawlya-Ki schließlich hatte die Luft wegen seines pelzigen Gesichts unter den Maskenrändern hindurch entweichen können, ganz besonders dann, wenn der Orligianer von Zeit zu Zeit den Druck erhöht hatte, um das Einströmen von Chlor zu verhindern.
Der Colonel hatte Grawlya-Kis Handlung auch gesehen und mußte zum selben Schluß gekommen sein. „Sagen Sie den Verletzten, sie brauchen nur noch ein paar Minuten lang durchzuhalten“, fuhr er fort. „Leider können wir nicht von der Haupthalle aus zu ihnen reinkommen, weil sich darin zu viele ungeschützte Wesen aufhalten. Abgesehen davon ist diese Kunststoffwand äußerst widerstandsfähig. Um die zu zerschneiden, braucht man ganz spezielle Schweißgeräte, die aber wiederum nicht schnell genug verfügbar wären. Obendrein würden durch die Einwirkung der Hitze auf den Kunststoff große Mengen hochgiftiger Dämpfe entstehen, und zwar mit solch verheerenden Auswirkungen, daß Ihnen Ihr gegenwärtiges Chlorproblem nur noch wie schlechter Geruch vorkommen würde.
Aus genau diesem Grund wird der Bergungstrupp durch das Loch hereinkommen, das von dem Transporter in die Wand gerissen worden ist. Zwischen dem Rumpf des Fahrzeugs und der Wand sind zwar nur ein paar Zentimeter Platz, aber das Team wird den Transporter einfach rückwärts herausziehen, damit man Sie dann durch das Loch an die frische Luft bringen kann. Dort werden Ärzte bereitstehen, die Sie mit.“
MacEwan hämmerte mit der Faust und einem Fuß gegen den Kunststoff, um den Colonel auf sich aufmerksam zu machen, und atmete so tief durch die Maske ein, wie er konnte. Jetzt war er an der Reihe zu brüllen.
„Nein!“ schrie er und hielt dabei den Mund so nahe an die Wand, wie es mit der Maske möglich war. „Bis auf eine Ausnahme befinden sich in dem Transporter sämtliche verwundeten Illensaner! Bei dem Zusammenstoß ist die gesamte Rumpfkonstruktion beschädigt worden. Aus sämtlichen Schweißnähten strömt Chlor. Wenn Sie den Transporter einfach rückwärts herausziehen, bricht er höchstwahrscheinlich auseinander, und die Verletzten sind dann schutzlos der Luft ausgeliefert. Ich hab mit eigenen Augen gesehen, was mit einem Chloratmer passiert, wenn er der Einwirkung von Sauerstoff frei ausgesetzt ist.“
„Aber wenn wir nicht schleunigst in die Halle reinkommen, sterben dieSauerstoffatmer“, antwortete der Colonel, dessen zuvor feuerrotes Gesicht mittlerweile kreidebleich geworden war.
MacEwan konnte fast sehen, wie die grauen Zellen des Colonels fieberhaft arbeiteten. Zog man den Transporter mit den verletzten Chloratmern an Bord rückwärts aus der Hallenwand heraus und verschuldete auf diese Weise das Auseinanderbrechen des Fahrzeugs, dann wäre die illensanische Regierung darüber nicht gerade erfreut. Auf der anderen Seite würden aber auch die Regierungen von Traltha, Kelgia, Melf, Orligia und der Erde keine Freudentänze aufführen, wenn nicht schleunigst etwas unternommen wurde, um ihre Leute zu retten.
So etwas konnte durchaus der Anlaß für einen interstellaren Krieg sein.
Angesichts der Medien, die sofort über jeden Zwischenfall berichteten, der empfindlichen Kontaktmikrofone, die jedes übersetzte Wort aufnahmen, kaum daß es über die Lippen gekommen war, hatte man keine Chance, den Zwischenfall zu vertuschen oder diplomatisch zu beschönigen. Außerdem verfolgten die Artgenossen der Opfer auf Nidia die Ereignisse und konnten sich ihr eigenes Urteil bilden. Sie waren emotional in die Sache verwickelt und würden schließlich entsprechend darauf reagieren. Der zu fassende Entschluß konnte nur sein, sich entweder für den sicheren Tod von sieben oder acht chloratmenden Illensanern zu entscheiden, um vielleicht die dreifache Menge Tralthaner, Hudlarer, Kelgianer und Melfaner zu retten — die allerdings nach dem derzeitigen Stand der Dinge so oder so in großer Zahl sterben würden —, oder den Tod der Sauerstoffatmer durch Chlorvergiftung in Kauf zu nehmen.
MacEwan konnte eine solche Entscheidung nicht fällen und wie er dem in seinem Büro gefangenen, kreidebleichen und schwitzenden Colonel ansah, war dieser ebensowenig dazu in der Lage. Er machte erneut durch Klopfen auf sich aufmerksam und brüllte: „Öffnen Sie den Bordtunnel! Wenn es sein muß, sprengen Sie ihn eben auf. Stellen Sie im Tunnel Ventilatoren auf, oder pumpen Sie frische Luft aus dem Schiff hinein, um den Druck zu erhöhen und das Eindringen von Chlor zu verhindern. Dann schicken Sie die Bergungstrupps zu unserem Tunnelende und lassen ihn von innen öffnen. Die elektrischen Leitungen des Sicherheitssystems lassen sich doch bestimmt kurzschließen und die.“
Beim Sprechen dachte er über die Entfernung zwischen dem Tunneleingang und dem Vorfeld nach. Falls das schnelle Rollband nicht funktionierte, würde die Tunneldurchquerung viel Zeit in Anspruch nehmen. Außerdem hatte man in einem Flug- oder Raumhafen möglicherweise nicht so schnell Sprengstoff zur Hand. Vielleicht konnte das Monitorkorpsschiff im Dock etwas Sprengstoff zur Verfügung stellen, wenn noch genügend Zeit blieb — dabei stand ihnen allerdings nur ein Zeitraum von wenigen Minuten zur Verfügung.
„Der Auslöser für das Sicherheitssystem ist auf Ihrer Seite“, unterbrach ihn der Colonel. „Im übrigen befindet sich das äußere Tunnelende viel zu nah am Schiff, um Sprengstoff einsetzen zu können. Das Schiff müßte also erst starten, und damit würde man nur noch mehr kostbare Minuten verlieren. Das Sicherheitssystem kann nur von Ihrer Seite aus abgeschaltet werden, und zwar mit einem Spezialschlüssel, den der Chef des diensthabenden nidianischen Bodenpersonals bei sich trägt. Mit diesem Schlüssel läßt sich die Abdeckhaube vor den Schaltern für den Tunnel entfernen. Die Haube selbst ist zwar durchsichtig, aber leider unzerbrechlich. Wissen Sie, in einem solch riesigen Komplex kann eine Verseuchung absolut tödlich sein, erst recht, wenn Sie bedenken, daß Chlor im Vergleich zu einigen anderen Substanzen, die Aliens einatmen, geradezu mild ist.“