»Schau, ich streue das hier noch darüber«, sagte ich und verteilte eine Handvoll schimmernden Puder über den Schnitten, »dadurch bleibt die Narbe nur ganz schwach sichtbar. Wie diese hier.« Ich zeigte ihm die auf meinem Arm.
Jamie lachte. »Aber mit Narben kann man doch Mädchen beeindrucken, oder? Wo hast du das Zeug her, Wanda? Das ist ja wie Magie.«
»Ich war mit Jared auf Tour.«
»Im Ernst? Das ist ja der Wahnsinn.«
Doc berührte den glitzernden Puderrest in meiner Hand und hielt sich dann die Finger unter die Nase.
»Du hättest sie sehen sollen«, sagte Jared. »Sie war unglaublich.«
Ich war überrascht, seine Stimme so dicht hinter mir zu hören. Automatisch blickte ich mich nach Sharon um und sah gerade noch, wie ihr flammendes Haar durch die Tür verschwand. Maggie folgte ihr.
Wie traurig. Wie beängstigend. Wie konnte man nur so voller Hass sein, dass man sich nicht einmal über die Heilung eines Kindes freuen konnte? Wie war es möglich, dass es so weit kommen konnte?
»Sie ist einfach in ein Krankenhaus hineinmarschiert, direkt zu den Aliens da, und hat sie ganz cool gebeten, ihre Wunden zu behandeln. Und als sie ihr nur einmal kurz den Rücken zugedreht haben, hat sie sie eiskalt ausgeraubt!« Jared machte es spannend. Jamie hatte Spaß daran; er hatte ein breites Grinsen aufgesetzt.
»Sie ist mit so vielen Medikamenten da wieder herausgekommen, dass es für uns alle lange reichen wird. Sie hat sogar beim Wegfahren noch dem Parasiten am Empfang zugewunken.« Jared lachte.
Ich hätte das nicht für sie tun können, sagte Melanie plötzlich bekümmert. Du bist wertvoller für sie als ich.
Schsch, sagte ich. Jetzt war nicht die Zeit für Trübsal oder Eifersucht. Nur für Freude. Ohne dich wäre ich gar nicht hier und könnte ihnen nicht helfen. Du hast ihn auch gerettet.
Jamie sah mich mit großen Augen an.
»So aufregend war es in Wirklichkeit gar nicht«, erklärte ich ihm. Er nahm meine Hand in seine und ich drückte sie, das Herz zum Bersten voll mit Dankbarkeit und Liebe. »Es war ganz einfach. Ich bin schließlich auch ein Parasit.«
»Ich wollte nicht ...«, begann sich Jared zu entschuldigen.
Ich winkte lächelnd ab.
»Wie hast du denen die Narbe in deinem Gesicht erklärt?«,
fragte Doc. »Haben sie sich nicht gewundert, dass ...«
»Ich brauchte natürlich neue Wunden. Ich habe darauf geachtet, dass es nichts gab, was Verdacht erregen könnte. Ich habe ihnen gesagt, ich wäre mit einem Messer in der Hand gestürzt.« Ich stieß Jamie mit dem Ellbogen an. »Das kann schließlich jedem mal passieren.«
Ich war jetzt in Hochstimmung. Alles schien von innen her zu leuchten - die Stoffe, die Gesichter, sogar die Wände. Die Menge im Zimmer und vor der Tür hatte angefangen zu murmeln und Fragen zu stellen, aber das war nur ein Klingeln in meinem Ohr - wie der Hall nach einem Glockenschlag. Ein Schimmern in der Luft. Mir kam alles unwirklich vor außer diesem kleinen Kreis von Leuten, die ich liebte. Jamie und Jared und Ian und Jeb. Sogar Doc gehörte zu diesem vollkommenen Augenblick.
„Neue Wunden?«., fragte Ian mit leiser Stimme.
Ich sah ihn an. Sein wütender Blick überraschte mich.
»Es war notwendig. Ich musste meine Narbe verbergen. Und herausfinden, wie Jamie geheilt werden kann.«
Jared nahm mein Handgelenk und strich mit dem Finger über die hellrosa Linie auf meinem Arm. »Es war schrecklich«, sagte er und seine Stimme war plötzlich ganz ernst. »Sie hat sich fast die Hand abgehackt. Ich dachte schon, sie würde sie nie wieder benutzen können.«
Jamie riss entsetzt die Augen auf. »Du hast dich selbst geschnitten?«
Ich drückte seine Hand. »Keine Angst - es war gar nicht so schlimm. Ich wusste ja, dass es schnell geheilt werden würde.«
»Du hättest sie sehen sollen«, wiederholte Jared leise und streichelte immer noch meinen Arm.
Ians Finger strichen mir über die Wange. Es fühlte sich gut an und ich schmiegte mein Gesicht in seine Handfläche, als er sie dort liegen ließ. Ich fragte mich, ob es das Schmerzlos war oder einfach die Freude darüber, Jamie gerettet zu haben, dass mir alles so warm und leuchtend vorkam.
»Keine Touren mehr für dich«, murmelte Ian.
»Natürlich wird sie wieder hinausgehen«, sagte Jared jetzt mit vor Überraschung lauterer Stimme. »Ian, sie war phänomenal. Du müsstest es sehen, um es wirklich verstehen zu können. Ich fange gerade erst an, mir all die Möglichkeiten auszumalen ...«
»Möglichkeiten? « Ians Hand glitt an meinem Hals hinunter bis auf meine Schulter. Er zog mich näher an sich, von Jared weg. »Zu welchem Preis? Du hast zugelassen, dass sie sich beinahe die Hand abgehackt hat?« Seine Finger zogen sich bei jeder Betonung um meinem Oberarm zusammen.
Seine Wut passte nicht zu dem Leuchten in mir. »Nein, Ian, so war es nicht«, sagte ich. »Es war meine Idee. Ich musste es tun.«
»Natürlich war es deine Idee«, knurrte Ian. »Du würdest alles tun ... du kennst keine Grenzen, wenn es um diese beiden geht. Aber Jared hätte nicht zulassen dürfen ...«
»Was hätte es sonst für eine Möglichkeit gegeben, Ian?«, erwiderte Jared. »Hattest du einen besseren Plan? Glaubst du, sie wäre glücklicher, wenn sie unverletzt wäre und Jamie tot?«
Ich zuckte bei dem entsetzlichen Gedanken zusammen.
Ians Stimme klang weniger feindselig, als er antwortete. »Nein. Aber ich verstehe nicht, wie du dasitzen und ihr dabei zusehen konntest, wie sie sich das angetan hat.« Ian schüttelte angewidert den Kopf und Jared zog die Schultern hoch. »Was für ein Mann ...«
»Ein praktisch veranlagter«, unterbrach ihn Jeb.
Wir sahen alle auf. Jeb stand über uns, einen großen Karton in den Händen.
»Deshalb ist Jared der Beste, wenn es darum geht, zu besorgen, was wir brauchen. Weil er tun kann, was getan werden muss. Oder dabei zusehen. Selbst wenn das Zusehen manchmal noch schwieriger ist.«
Dann wechselte Jeb ohne Umschweife das Thema.
»Okay, ich weiß, wir sind dem Frühstück näher als dem Abendessen, aber ich habe mir gedacht, dass ein paar von euch seit einer ganzen Weile nichts gegessen haben. Hast du Hunger, Junge?«
»Äh ... ich weiß nicht genau«, gab Jamie zu. »Mein Magen ist ziemlich leer, aber das fühlt sich nicht schlecht an.«
»Das ist das Schmerzlos«, sagte ich. »Du solltest etwas essen.«
»Und trinken«, sagte Doc. »Du brauchst Flüssigkeit.«
Jeb ließ den sperrigen Karton auf die Matratze fallen. »Ich dachte, wir könnten mal ein bisschen feiern. Greift zu.«
»Lecker!«, sagte Jamie, als er den Karton mit getrockneten Trecking-Mahlzeiten durchwühlte. »Spaghetti! Super!«
»Ich will das Knoblauchhuhn«, sagte Jeb. »Knoblauch vermisse ich schon ziemlich - auch wenn ich mal annehme, dass niemand ihn in meinem Atem vermisst.« Er gluckste.
Jeb war vorbereitet, mit Wasserflaschen und mehreren kleinen Campingkochern. Die Leute begannen sich in dem kleinen Raum zusammenzudrängen. Ich war zwischen Jared und Ian eingequetscht und hatte Jamie auf meinen Schoß gezogen. Obwohl er viel zu alt dafür war, protestierte er nicht. Er musste spüren, wie sehr wir beide das brauchten - Mel und ich mussten ihn einfach lebendig und gesund in unseren Armen halten.