Mein schimmernder Kreis schien sich zu erweitern, umfasste die gesamte nächtliche Essensgesellschaft und machte sie ebenfalls zum Teil meiner Familie. Alle warteten zufrieden und geduldig darauf, dass Jeb das unerwartete Festmahl zubereitete. Angst war durch Erleichterung und gute Neuigkeiten ersetzt worden. Sogar Kyle, der sich auf der anderen Seite neben seinen Bruder gezwängt hatte, war in diesem Kreis willkommen.
Melanie seufzte zufrieden. Sie war sich der Wärme des Jungen in unserem Schoß und der Berührung des Mannes, der immer noch meinen Arm streichelte, lebhaft bewusst. Sie regte sich nicht einmal darüber auf, dass Ian mir den Arm um die Schulter gelegt hatte.
Du stehst auch unter dem Einfluss des Schmerzlos, zog ich sie auf. Ich glaube nicht, dass es das Schmerzlos ist. Bei keiner von uns. Nein, du hast Recht. Das hier ist mehr, als ich je hatte. Das hier ist so viel von dem, was ich verloren habe.
Woran lag es, dass ich mir diese menschliche Liebe so viel heißer ersehnte als die Liebe meiner eigenen Spezies? Weil sie so Körper unter mir wegdrehte, als er sich anschickte, aufzustehen. Jebs Worte ließen sie innehalten.
»Du kannst es nicht ihr überlassen, Jeb«, widersprach Ian. »Warum nicht? Es sieht so aus, als hätte sie ihren eigenen Kopf. Ist es deine Aufgabe, für sie zu entscheiden?«
»Ich werde dir sagen, warum nicht«, knurrte Ian. »Wanda?« »Ja, Ian?«
»Willst du wieder auf Tour gehen?«
»Wenn ich euch eine Hilfe bin, gehe ich natürlich gern.«
»Das habe ich nicht gefragt, Wanda.«
Ich schwieg einen Moment und versuchte mich an seine Frage zu erinnern, um zu begreifen, inwiefern ich sie falsch verstanden hatte.
»Siehst du, Jeb? Sie hat nie ihre eigenen Wünsche im Blick — ihr eigenes Glück, geschweige denn ihre Gesundheit. Sie würde alles tun, worum wir sie bitten, sogar, wenn es sie umbringen würde. Es ist nicht fair, sie um Dinge zu bitten, so wie wir das untereinander tun. Wir denken auch an uns. Sie nicht.«
Es war still. Niemand antwortete ihm. Das Schweigen hielt an, bis ich das Gefühl hatte, für mich selbst sprechen zu müssen.
»Das stimmt nicht«, sagte ich. »Ich denke ständig an mich. Und ich ... ich will helfen. Zählt das nicht? Es hat mich so glücklich gemacht, Jamie heute Nacht zu helfen. Kann ich nicht auf meine Art glücklich werden?«
Ian seufzte. »Verstehst du jetzt, was ich meine?«
»Tja, ich kann ihr nicht verbieten zu gehen, wenn sie das gerne möchte«, sagte Jeb. »Sie ist keine Gefangene mehr.«
»Aber wir müssen sie nicht noch darum bitten.«
Jared war die ganze Zeit still. Jamie auch, aber ich war ziemlich sicher, dass er schlief. Dass Jared noch wach war, wusste ich; seine Hand malte wahllose Muster auf eine Seile meines Gesichts. Glühende, sengende Muster.
»Ihr müsst mich nicht bitten«, sagte ich. »Ich melde mich freiwillig. Es war wirklich nicht ... schlimm. Überhaupt nicht. Die anderen Seelen sind sehr freundlich. Ich habe keine Angst vor ihnen. Es war fast schon zu einfach.«
»Einfach? Dich zu schneiden ...?«
Ich unterbrach Ian schnell. »Das war ein Notfall. Das wird nicht noch einmal nötig sein.« Ich machte eine winzige Pause. »Stimmt's?«, erkundigte ich mich.
Ian grunzte. »Wenn sie geht, komme ich mit«, sagte er mit rauer Stimme. »Irgendjemand muss sie schließlich vor sich selbst schützen.«
»Und ich komme mit, um den Rest von uns vor ihr zu schützen«, sagte Kyle lachend. Dann stöhnte er auf und sagte »Au«.
Ich war zu müde, den Kopf zu heben, um zu sehen, wer Kyle diesmal geschlagen hatte.
»Und ich komme mit, um euch alle lebend zurückzubringen«, murmelte Jared.
Beschäftigt
»Das ist viel zu leicht. Es macht ja überhaupt keinen Spaß mehr«, beklagte sich Kyle.
»Du wolltest unbedingt mitkommen«, erinnerte ihn Ian.
Kyle und Ian saßen im fensterlosen Laderaum des Lieferwagens und sichteten die eingemachten Lebensmittel und Hygieneartikel, die ich gerade aus dem Laden geholt hatte. Es war helllichter Tag und die Sonne schien auf Wichita. Hier war es nicht so heiß wie in der Wüste von Arizona, aber feuchter. Die Luft war voll von Schwärmen kleiner fliegender Käfer.
Jared fuhr auf den Highway zu, der aus der Stadt führte, und gab sich Mühe, die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht zu überschreiten. Das machte ihn immer noch nervös.
»Bist du das Einkaufen schon leid, Wanda?«, fragte mich Ian. »Nein. Es macht mir nichts aus.«
»Das sagst du immer. Gibt es denn gar nichts, das dir was ausmacht?«
»Es macht mir was aus ... von Jamie getrennt zu sein. Und es macht mir ein bisschen was aus, draußen zu sein. Vor allem tagsüber. Es ist wie das Gegenteil von Klaustrophobie - alles ist so weit und offen. Stört euch das auch?«
»Manchmal. Wir sind tagsüber nicht viel draußen.«
»Sie kann sich wenigstens die Beine vertreten«, grummelte Kyle. »Ich weiß nicht, warum du ihre Klagen hören willst.«
»Weil sie so ungewöhnlich sind. Und damit eine angenehme Abwechslung zu deinen Klagen.«
Ich blendete sie aus. Wenn Ian und Kyle erst mal anfingen, ging das meistens eine ganze Weile so weiter. Ich sah auf die Karte.
»Als Nächstes nach Oklahoma City?«, fragte ich Jared.
»Mit Zwischenstopps in ein paar kleineren Städten auf dem Weg, wenn du noch kannst«, antwortete er, den Blick auf die Straße gerichtet.
»Ich kann noch.«
Jared verlor auf einer Beutetour selten das Ziel aus den Augen. Er entspannte sich nicht jedes Mal mit erleichtertem Herumblödeln, wenn ich wieder eine Mission erfolgreich beendet hatte, wie Ian und Kyle. Ich musste lächeln, wenn sie dieses Wort benutzten - »Mission«. Es klang so großartig. In Wirklichkeit war es nur ein Gang in den Supermarkt, genauso wie ich es Hunderte von Malen in San Diego gemacht hatte, als ich nur mich selbst ernährt hatte.
Kyle hatte Recht, es war zu leicht, um aufregend zu sein. Ich schob meinen Einkaufswagen durch die Gänge. Ich lächelte die Seelen an, die mich anlächelten, und füllte meinen Wagen mit Waren, die lange haltbar waren. Normalerweise griff ich auch nach ein paar verderblichen Sachen - für die Männer, die sich hinten im Lieferwagen versteckt hielten. Fertigsandwiches aus der Feinkostabteilung oder Ähnliches. Und dann vielleicht noch etwas Süßes. Ian stand auf Minz-Schoko-Eis. Kyle mochte am liebsten Karamellbonbons. Jared aß alles, was man ihm anbot; offenbar hatte er so etwas wie Lieblingsgerichte schon vor vielen Jahren aufgegeben, als er ein Leben führen musste, in dem Wünsche keinen Platz hatten und sogar Bedürfnisse sorgfältig abgewogen wurden, bevor man sie stillte. Ein weiterer Grund, weshalb er so gut geeignet war dieses Leben - er konnte Prioritäten unabhängig von persönlichen Vorlieben setzen.
Gelegentlich fiel ich jemandem in den kleineren Städten auf, sprach mich jemand an. Ich hatte meinen Text so gut gelernt, dass ich inzwischen wahrscheinlich sogar einen Menschen hätte täuschen können.
»Hallo. Sind Sie neu hier in der Stadt?« »Ja. Gerade erst angekommen.«