»Was führt Sie nach Byers?«
Ich achtete jedes Mal darauf, noch einen Blick auf die Karte zu werfen, bevor ich aus dem Lieferwagen stieg, damit mir der Name der Stadt vertraut war.
»Mein Lebensgefährte reist viel. Er ist Fotograf.«
»Das ist ja toll! Ein Künstler! Na, die Umgebung hier ist ja auch wirklich sehr schön ...«
Ursprünglich war ich selbst die Künstlerin gewesen. Aber ich hatte festgestellt, dass ich in Gesprächen mit Männern Zeit sparte, wenn ich einfließen ließ, dass ich bereits liiert war.
»Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
»Gern geschehen. Kommen Sie bald wieder.«
Ich musste nur einmal mit einem Apotheker sprechen, in Salt Lake City; anschließend wusste ich, wonach ich Ausschau halten musste.
Ein schüchternes Lächeln. »Ich bin nicht sicher, ob ich mich richtig ernähre. Ich kann mir einfach das Fast Food und den Süßkram nicht verkneifen. Dieser Körper ist so scharf auf Süßes ...«
»Sie müssen vernünftig sein, Thousand Petals. Ich weiß, wie leicht man da schwach wird, aber Sie müssen auf Ihre Ernährung achten. In der Zwischenzeit sollten Sie ein Nahrungsergänzungsmittel schlucken.«
Gesundheit. Als ich den so offensichtlichen Namen auf der Flasche las, kam ich mir blöd vor, dass ich überhaupt gefragt hatte. »Möchten Sie lieber Erdbeer-oder Schokoladengeschmack?« »Könnte ich beide ausprobieren?«
Und die freundliche Seele namens Earthborn gab mir zwei große Flaschen.
Keine besonders große Herausforderung. Ich verspürte nur Angst oder eine Ahnung von Gefahr, wenn ich an die kleine Blausäurekapsel dachte, die ich immer in einer gut zugänglichen Tasche bei mir trug. Nur für den Fall.
»In der nächsten Stadt solltest du dir neue Klamotten besorgen«, sagte Jared.
»Schon wieder?«
»Die hier sehen ein bisschen zerknittert aus.«
»Okay«, stimmte ich zu. Ich hatte etwas gegen Verschwendung, aber der stetig wachsende Stapel schmutziger Wäsche würde nicht verkommen. Lily und Heidi und Paige hatten alle ungefähr meine Größe und würden dankbar sein für etwas Neues zum Anziehen. Die Männer hatten selten so etwas wie Klamotten mitgebracht, wenn sie auf Tour gegangen waren. Bei jedem Raubzug war es um Leben und Tod gegangen - Kleidung hatte da nicht an erster Stelle gestanden. Genauso wenig wie die milden Seifen und Shampoos, die ich aus jedem Laden mitnahm.
»Du müsstest dich wahrscheinlich auch mal wieder waschen«, sagte Jared mit einem Seufzen. »Ich würde sagen, heute Nacht brauchen wir ein Hotel.«
Früher hatten sie sich nicht darum kümmern müssen, wie sie herumliefen. Natürlich musste nur ich auch aus der Nähe so aussehen, als wäre ich Teil der Zivilisation. Die Männer trugen jetzt Jeans und dunkle T-Shirts, Sachen, auf denen man den Dreck nicht so sah und die keine Aufmerksamkeit erregten, wenn sie vielleicht mal jemand kurz zu Gesicht bekam.
Sie hassten es alle drei, in den Motels am Highway zu übernachten - sich direkt in der Höhle des Löwen schlafen zu legen. Es machte ihnen mehr Angst als alles andere. Ian sagte, er wurde lieber einen bewaffneten Sucher angreifen.
Kyle weigerte sich ganz einfach. Er schlief meistens tagsüber im Lieferwagen und hielt dann nachts Wache.
Für mich war es genauso leicht wie das Einkaufen. Ich meldete uns an der Rezeption an und unterhielt mich mit dem Hotelangestellten. Erzählte die Geschichte von meinem Lebensgefährten, dem Fotografen, und dem Freund, der mit uns unterwegs war (nur für den Fall, dass jemand uns alle drei ins Zimmer gehen sah). Ich benutzte verbreitete Namen von unspektakulären Planeten. Manchmal waren wir alle
Fledermäuse: Word Keeper, Sings the Egg Song und Sky Roost. Manchmal waren wir Sehtang: Twisting Eyes, Sees to the Surface und Second Sunrise. Ich dachte mir jedes Mal neue Namen aus. Nicht, dass irgendjemand uns auf der Spur gewesen wäre. Aber dadurch fühlte sich Melanie sicherer. Bei alldem kam sie sich vor wie eine Figur aus einem Agentenfilm der Menschen.
Das Schwierigste, das, was mir wirklich etwas ausmachte, war, all diese Dinge zu nehmen, ohne irgendetwas zurückzugeben - nicht, dass ich das vor Kyle sagen würde, der immer bereit war, meine Absichten anzuzweifeln. Es hatte mich nie gestört, in San Diego einzukaufen. Ich hatte mir genommen, was ich brauchte, und sonst nichts. Dann verbrachte ich meine Tage an der Uni und gab der Gemeinschaft etwas zurück, indem ich andere an meinem Wissen teilhaben ließ. Keine anstrengende Berufung, aber eine, die ich ernst nahm. Ich übernahm auch meinen Anteil an den unangenehmeren Aufgaben. Ich leistete meinen Tag bei der Müllabfuhr und der Straßenreinigung ab. Das taten wir alle.
Und jetzt nahm ich so viel mehr und gab nichts zurück. Das kam mir selbstsüchtig und falsch vor.
Es ist nicht für dich. Es ist für andere, erinnerte mich Melanie, als ich darüber brütete.
Trotzdem fühlt es sich falsch an. Das kannst doch sogar du spüren, oder?
Denk einfach nicht darüber nach, war ihr Lösungsvorschlag.
Ich war froh, dass wir bereits auf dem Rückweg unserer langen Tour waren. Morgen würden wir bei unserem anwachsenden Zwischenlager vorbeifahren – einem Umzugswagen, der etwa eine Tagesreise von unserem Pfad entfernt versteckt war - und zum letzten Mal den Lieferwagen leeren. Nur noch ein paar Städte, ein paar Tage, durch Oklahoma Richtung Süden, dann New Mexico und schließlich, ohne anzuhalten, durch Arizona zurück.