Wieder nach Hause. Endlich.
Wenn wir statt in dem engen Lieferwagen in einem Motel schliefen, checkten wir in der Regel erst nach Einbruch der Dunkelheit ein und reisten bereits vor Sonnenaufgang wieder ab, um zu vermeiden, dass uns die Seelen allzu genau zu Gesicht bekamen. Auch wenn das nicht wirklich nötig gewesen wäre.
Jared und Ian fingen an, das einzusehen. Weil der Tag heute so erfolgreich gewesen war - der Lieferwagen war bis oben hin voll und Kyle würde kaum Platz haben - und weil Ian fand, dass ich müde aussah, hielten wir an diesem Abend schon früher. Die Sonne war noch nicht untergegangen, als ich mit der Plastikkarte, die als Zimmerschlüssel diente, zum Lieferwagen zurückkam.
In dem kleinen Motel war nicht viel los. Wir parkten dicht vor unserem Zimmer und Jared und Ian gingen nur fünf oder sechs Schritte vom Lieferwagen zur Tür, den Blick zu Boden gerichtet. Dünne, blassrosa Linien in ihren Nacken sorgten für Tarnung. Jared trug einen halbleeren Koffer. Niemand sah sie oder mich an.
Die Vorhänge im Zimmer waren zugezogen und die Männer entspannten sich ein bisschen.
Ian ließ sich auf das Bett fallen, in dem er und Jared schlafen würden, und schaltete den Fernseher ein. Jared stellte den Koffer auf den Tisch, nahm unser Abendessen heraus - kalt gewordene fettige, panierte Hähnchenstreifen, die ich in der Feinkostabteilung des letzten Supermarkts bestellt hatte und reichte es herum. Ich saß am Fenster und blickte durch eine Ecke auf die untergehende Sonne, während ich aß.
»Du musst zugeben, dass das menschliche Unterhaltungsprogramm besser war, Wanda«, zog mich Ian auf.
Auf der Mattscheibe rezitierten zwei Seelen ihren Text, ihre Körper in perfekter Pose. Es war nicht schwer zu verstehen, wovon die Geschichte handelte; die Drehbücher der Seelen boten nicht besonders viel Abwechslung. Hier ging es um zwei Seelen, die sich nach langer Trennung wiederbegegneten. Der Aufenthalt des Mannes beim Sehtang hatte sie auseinandergerissen, aber dann hatte er beschlossen, ein Mensch zu werden, da er annahm, dass seine Freundin vom Nebelplaneten sich von diesen warmblütigen Wirten angezogen fühlen wurde. Und, Wunder über Wunder, er hatte sie hier wiedergefunden ...
Es gab immer ein Happy End.
»Denk dran, das ist ja auch für ein anderes Publikum gedacht.«
»Stimmt. Ich wünschte, sie würden die alten menschlichen Sendungen wieder zeigen.« Er zappte durch die Kanäle und runzelte die Stirn. »Früher gab es immer noch ein paar.«
»Sie waren zu verstörend. Sie mussten durch andere Sachen ersetzt werden, die nicht so ... gewalttätig waren.«
»Die Bradys?«
Ich lachte. Ich hatte diese Serie in San Diego gesehen und Melanie kannte sie aus ihrer Kindheit. »Die Serie verharmloste Gewalt. Ich erinnere mich an eine Folge, in der das kleine männliche Menschenkind in einer Auseinandersetzung
zurückschlägt und das so dargestellt wird, als würde es richtig handeln. Es floss sogar Blut...«
Ian schüttelte ungläubig den Kopf, schaltete dann aber wieder um zu der Sendung mit dem Sehtang. Er lachte an den falschen Stellen, denen, die eigentlich rührend sein sollten.
Ich sah aus dem Fenster und beobachtete etwas viel Interessanteres als die vorhersehbare Geschichte im Fernsehen.
Auf der anderen Seite der zweispurigen Straße vor dem Motel war ein kleiner Park, der auf der einen Seite von einer Schule begrenzt wurde und auf der anderen von einer Weide, auf der Kühe grasten. Es gab ein paar junge Bäume und einen altmodischen Spielplatz mit einem Sandkasten, einer Rutsche, einem Klettergerüst und einem dieser Karussells, die man von Hand anschubste. Natürlich gab es auch eine Schaukel und das war das einzige Spielgerät, das gerade benutzt wurde.
Eine kleine Familie genoss die kühlere Abendluft. Der Vater hatte schon ein paar silberne Strähnen an den Schläfen, während die Mutter so aussah, als sei sie deutlich jünger als er. Sie trug ihr rotbraunes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, der bei jeder ihrer Bewegungen hin und her schwang. Die beiden hatten einen kleinen Sohn, nicht älter als ein Jahr. Der Vater schubste den Jungen auf der Schaukel von hinten an, während die Mutter vor ihm stand und sich vorbeugte, um ihn auf die Stirn zu küssen, wenn er nach vorn schwang, wovon er so lachen musste, dass sein pausbäckiges kleines Gesicht leuchtend rot war. Das brachte sie auch zum Lachen - ich konnte sehen, wie ihr Körper bebte und ihre Haare tanzten.
»Was gibt es da zu Sehen, Wanda?«
Jareds Frage klang nicht ängstlich, denn ich lächelte angesichts der überraschenden Szene.
»Etwas, das ich in all meinen Leben noch nicht gesehen habe - Hoffnung.«
Jared stellte sich hinter mich und linste nach draußen. »Was meinst du damit?« Sein Blick schweifte über die Häuser und die Straße, blieb aber nicht an der spielenden Familie hängen.
Ich nahm sein Kinn in die Hand und drehte sein Gesicht in die richtige Richtung. Er zuckte nicht vor meiner unerwarteten Berührung zurück und das verursachte mir ein warmes Glücksgefühl im Bauch. »Schau, da«, sagte ich.
»Was soll da zu sehen sein?«
»Die einzige Hoffnung auf das Überleben einer Wirtsart, die mir je begegnet ist.«
»Wo?«, fragte er befremdet.
Mir war bewusst, dass Ian jetzt dicht hinter uns stand und uns schweigend zuhörte.
»Siehst du?« Ich zeigte auf die lachende Mutter. »Siehst du, wie sehr sie ihr Menschenkind liebt?«
In diesem Moment hob die Mutter ihren Sohn von der Schaukel, umarmte ihn und bedeckte sein Gesicht mit Küssen. Er gurrte und strampelte - einfach ein Baby. Nicht der Miniatur- Erwachsene, der er wäre, wenn er jemanden meiner Spezies beherbergte.
Jared schnappte nach Luft. »Das Baby ist ein Mensch? Wie? Warum? Wie lange?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich habe so etwas noch nie gesehen - ich weiß es nicht. Sie hat ihn nicht als Wirt zur Verfügung gestellt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man sie ... zwingen würde. Mutterschaft wird bei uns geradezu verehrt. Wenn sie nicht will ...« Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung, wie damit umgegangen wird. So etwas passiert sonst nirgendwo. Die Gefühle dieser Körper sind so viel stärker als jede Logik.«
Ich sah zu Jared und Ian auf. Sie starrten beide mit offenen Mündern die gemischte Familie im Park an.
»Nein«, murmelte ich vor mich hin. »Niemand würde die Eltern zwingen, wenn sie das Kind behalten wollen. Und seht sie euch doch bloß mal an.«
Der Vater hatte jetzt die Arme um die Mutter und das Kind geschlungen. Zärtlich sah er auf den biologischen Sohn seines Wirtskörpers hinab.
»Wenn wir uns selbst nicht einrechnen, ist das der erste Planet, den wir entdeckt haben, auf dem die Jungen lebendig geboren werden. Euer System ist sicher nicht das einfachste oder produktivste. Vielleicht hat es gerade damit was zu tun ... oder mit der Hilflosigkeit eurer Jungen. Überall sonst erfolgt die Reproduktion über irgendeine Art Eier oder Samen. Viele Eltern bekommen ihre Jungen nie zu Gesicht. Ich frage mich ...« Ich brach ab, meine Gedanken voller Spekulationen.
Die Mutter wandte ihrem Mann das Gesicht zu und er küsste sie auf die Lippen. Das Menschenkind krähte vor Vergnügen.
»Hmmm. Vielleicht wird meine Spezies eines Tages friedlich mit einem Teil der euren zusammenleben. Wäre das nicht ... seltsam?«
Keiner der beiden Männer konnte den Blick von dem Wunder vor ihnen abwenden.
Die Familie ging. Der Vater nahm den Jungen, und die Mutter klopfte den Sand von ihrer Jeans. Dann schlenderten die Seelen händchenhaltend mit ihrem Menschenkind zurück in ihre Wohnung.
Ian schluckte laut.
Den Rest des Abends sprachen wir nicht - wir waren alle durch das, was wir gesehen hatten, nachdenklich geworden. Wir gingen früh schlafen, damit wir früh aufstehen und uns wieder an die Arbeit machen konnten.