»Sicherheitsgurt«, befahl ich kurz angebunden. »Mach die Augen zu. Dreh deinen Kopf weg.«
Er tat, was ich ihm gesagt hatte. Es war zu dunkel, um sie sehen zu können, aber seine neue, schwache rosa Narbe würde in dieser Stellung sichtbar sein.
Ich schnallte mich an und lehnte meinen Kopf zurück.
Der Trick war, mit meinem Körper zu lügen. Es war einfach eine Sache der richtigen Bewegungen. Imitation. Wie die Schauspieler im Fernsehen, nur besser. Wie ein Mensch.
»Hilf mir, Mel«, murmelte ich.
Ich kann dir nicht dabei helfen, eine bessere Seele zu sein,
Wanda. Aber du schaffst das. Rette ihn. Ich weiß, dass du es kannst. Eine bessere Seele. Ich musste nur ich selbst sein.
Es war spät. Ich war müde. Den Teil würde ich nicht spielen müssen.
Ich schloss halb die Augen und sackte auf dem Sitz zusammen.
Verlegenheit. Ich konnte Verlegenheit vortäuschen. Das konnte ich jetzt spüren.
Mein Mund verzog sich schuldbewusst.
Der Wagen der Sucher hielt nicht hinter uns, wie Melanie es offenbar erwartet hatte. Er hielt auf der anderen Straßenseite, ungefähr auf unserer Höhe, entgegen der Fahrtrichtung. Ein helles, blendendes Licht erstrahlte plötzlich durch das Fenster des anderen Wagens. Ich blinzelte und hob absichtlich langsam die Hand um mein Gesicht abzuschirmen. Über das Leuchten des Scheinwerfers hinweg konnte ich schwach den Lichtstrahl meiner Augen wahrnehmen, der auf der Straße sichtbar wurde, als ich zu Boden sah.
Eine Wagentür wurde zugeschlagen. Ein Paar Füße kam in einem dumpfen Rhythmus über den Asphalt näher. Es klang nicht nach Staub oder Steinen, also musste der Sucher auf der Beifahrerseite ausgestiegen sein. Es waren demnach mindestens zwei, aber nur einer kam her, um mich zu befragen. Das war ein gutes Zeichen, ein Zeichen, dass er sich sicher fühlte und Vertrauen zu mir hatte.
Meine leuchtenden Augen waren ein Talisman. Ein Kompass, der nicht versagte - wie der Polarstern, unfehlbar.
Der Trick war nicht, mit meinem Körper zu lügen. Mit ihm die Wahrheit zu sagen, genügte. Ich hatte etwas mit dem Menschenbaby im Park gemeinsam: So etwas wie mich hatte es bisher noch nie gegeben.
Der Körper des Suchers stand jetzt im Licht und ich konnte wieder sehen.
Es war ein Mann. Wahrscheinlich mittelalt - sein Aussehen erweckte einen widersprüchlichen Eindruck, daher war das schwer zu sagen; sein Haar war vollständig weiß, aber sein Gesicht war glatt und faltenlos. Er trug ein T-Shirt und Shorts und an der Hüfte deutlich sichtbar eine kantige Pistole. Eine Hand ruhte auf dem Kolben der Waffe. In der anderen Hand hielt er eine Taschenlampe. Er knipste sie nicht an.
»Gibt es ein Problem, Miss?«, fragte er, als er noch ein Stück entfernt war. »Sie sind viel zu schnell gefahren. Das ist gefährlich.«
Sein Blick war ruhelos. Er taxierte schnell meinen - hoffentlich schläfrigen - Gesichtsausdruck und schweifte dann den Lieferwagen entlang, verlor sich in der Dunkelheit hinter uns, schwenkte nach vorn zu dem Stück Highway, das sich vor uns erstreckte und von unseren Scheinwerfern angestrahlt wurde, und kehrte dann zu meinem Gesicht zurück. Dann wiederholte er dasselbe noch einmal.
Er war beunruhigt. Dieses Wissen ließ meine Handflächen feucht werden, aber ich versuchte, die Panik in meiner Stimme zu unterdrücken.
»Es tut mir so leid«, entschuldigte ich mich laut flüsternd. Ich warf Jared einen Blick zu, als wollte ich nachsehen, ob unser Gespräch ihn geweckt hatte. »Ich glaube ... na ja, ich glaube, ich bin kurz eingeschlafen. Mir war nicht bewusst, dass ich so müde war.«
Ich versuchte reuevoll zu lächeln. Ich merkte, dass ich steif klang, wie die zu gewissenhaften Schauspieler im Fernsehen.
Der Blick des Suchers wanderte weiter, diesmal verweilte er auf Jared. Mein Herz hämmerte schmerzhaft von innen gegen meine Rippen. Ich nahm die Kapsel fester zwischen meine Finger.
»Es war unverantwortlich von mir, so lange zu fahren, ohne auszuruhen«, sagte ich schnell und versuchte erneut, ein bisschen zu lächeln. »Ich dachte, wir würden es bis Phoenix schaffen, bevor ich eine Pause brauche. Es tut mir wirklich leid.«
»Wie heißen Sie, Miss?«
Seine Stimme war nicht unfreundlich, aber auch nicht besonders herzlich. Er sprach jedoch leise und folgte damit meinem Wink.
»Leaves Above«, sagte ich. Das war der Name, den ich im letzten Motel benutzt hatte. Würde er meine Angaben überprüfen? Ich musste vielleicht einen Wohnort angeben.
»Die Blumen, die auf dem Kopf stehen?«, vermutete er. Sein Blick machte wieder seine Runde.
»Ja, so eine war ich.«
»Meine Lebensgefährtin auch. Waren Sie auf der Insel?«
»Nein«, sagte ich schnell. »Auf dem Festland. Zwischen den großen Flüssen.«
Er nickte, vielleicht ein wenig enttäuscht.
»Soll ich nach Tucson zurückfahren?«, fragte ich. »Ich glaube, ich bin jetzt wach genug. Oder vielleicht sollte ich erst hier ein Nickerchen machen ...«
»Nein!«, unterbrach er mich mit lauterer Stimme.
Ich zuckte erschrocken zusammen und die kleine Kapsel rutschte mir aus den Fingern. Sie fiel mit einem schwach hörbaren Klacken auf den Metallboden. Ich spürte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich, als hätte man einen Stöpsel gezogen.
»Ich wollte Sie nicht erschrecken«, entschuldigte er sich schnell, während sein Blick seine unruhige Runde wiederholte. »Aber sie sollten nicht hierbleiben ...«
»Warum?«, gelang es mir zu flüstern. Meine Finger griffen nervös in die Luft.
»Vor Kurzem ist jemand ... verschwunden.«
»Ich verstehe nicht. Verschwunden?«
»Vielleicht war es nur ein Unfall ... aber es könnte auch ...«, er zögerte, sprach das Wort nur ungern aus, »... Menschen in der Gegend geben.«
»Menschen?«, quiekte ich zu laut. Er hörte die Angst in meiner Stimme und interpretierte sie auf die einzige ihm mögliche Art.
»Es gibt keine Beweise, Leaves Above. Niemand hat etwas gesehen oder so. Sie müssen keine Angst haben. Aber Sie sollten nach Phoenix weiterfahren, ohne sich unnötig aufzuhalten.«
»Natürlich. Oder nach Tucson vielleicht? Das ist näher ...«
»Es besteht keine Gefahr. Sie können weiterfahren wie geplant.«
»Wenn Sie sicher sind, Sucher ...«
»Ich bin sicher. Sie sollten nur einfach nicht in der Wüste herumspazieren, Blume.« Er lächelte. Das Lächeln ließ sein Gesicht herzlich und freundlich wirken, wie bei allen anderen Seelen, mit denen ich zu tun gehabt hatte. Er hatte keine Angst vor mir, sondern um mich. Er versuchte nicht, eine Lüge herauszuhören. Und wenn doch, würde er sie vermutlich nicht als Lüge erkennen. Einfach eine andere Seele.
»Das hatte ich auch nicht vor.« Ich lächelte zurück. »Ich werde besser aufpassen. Jetzt schlafe ich bestimmt nicht mehr ein.« Ich warf einen besorgten Blick durch Jareds Fenster auf die Wüste, damit er glaubte, die Angst mache mich wachsam. Der Ausdruck auf meinem Gesicht erstarrte, als ich zwei Scheinwerfer im Rückspiegel auftauchen sah.
Jareds Rücken wurde gleichzeitig steif, aber er behielt seine Haltung bei. Er sah zu angespannt aus.
Mein Blick huschte zurück zum Gesicht des Suchers.
»Da habe ich was für Sie«, sagte er immer noch lächelnd, aber gesenktem Blick, während er in seiner Tasche wühlte.
Er hatte die Veränderung in meinem Gesicht nicht bemerkt. Ich versuchte, meine Wangenmuskeln unter Kontrolle zu bringen und sie zu entspannen, aber ich konnte mich nicht genug konzentrieren.
Die Scheinwerfer im Rückspiegel kamen immer näher.
»Sie sollten das nicht zu oft anwenden«, fuhr der Sucher fort und kramte jetzt in der anderen Tasche. »Es ist natürlich nicht schädlich, sonst hätten die Heiler es nicht ausgegeben. Aber wenn Sie es regelmäßig benutzen, kann es Ihren Schlaf-wach- Rhythmus durcheinanderbringen ... Ah, hier ist es ja. Hellwach.«