Schlau - genau wie die Richtungsangaben, die er Mel gegeben hatte, die Linien, die er in die Rückseite ihres Fotoalbums geritzt hatte. Sie führten überhaupt nicht zu seinem Höhlenversteck. Nein, stattdessen ließ er die Person, die ihnen folgte, vor seinem Geheimversteck hin- und hermarschieren und hatte so ausgiebig Gelegenheit zu entscheiden, ob er sie hereinbat oder nicht.
»Was, glaubst du, ist passiert?«, fragte Jared und unterbrach damit meine Gedanken.
»Was meinst du?«
»Der kürzlich Verschwundene, von dem der Sucher gesprochen hat.«
Ich starrte verständnislos vor mich hin. »Ich dachte, er meinte mich damit.«
»Ich glaube nicht, dass du noch als kürzlich verschwunden giltst, Wanda. Außerdem haben sie den Highway noch nicht beobachtet, als wir losgefahren sind. Das ist neu. Sie suchen nach uns. Hier.«
Seine Augen verengten sich, während meine groß wurden. »Was haben sie getan?«, explodierte Jared plötzlich und schlug mit der Hand auf das Armaturenbrett. Ich fuhr zusammen. »Du glaubst, Jeb und die anderen haben irgendetwas getan?« Er antwortete mir nicht, er starrte nur mit wütendem Blick hinaus in die sternenhelle Wüste.
Ich verstand das nicht. Warum sollten die Sucher nach Menschen suchen, nur weil irgendjemand in der Wüste verschwand? Es gab immer wieder Unfälle. Warum sollten sie ausgerechnet zu diesem Schluss kommen?
Und warum war Jared wütend? Unsere Familie in den Höhlen würde nichts tun, das Aufmerksamkeit erregte. Sie wussten es besser. Sie würden nicht hinausgehen, wenn es nicht irgendeine Art Notfall gab.
Oder etwas, das sie für dringend hielten. Für notwendig.
Hatten Doc und Jeb meine Abwesenheit ausgenutzt?
Jeb hatte nur zugestimmt, dass er damit aufhören würde, Menschen und Seelen abzuschlachten, während ich mich unter demselben Dach aufhielt. War das ihr Kompromiss?
»Alles okay mit dir?«, fragte Jared.
Meine Kehle war wie zugeschnürt, so dass ich nicht antworten konnte. Ich schüttelte den Kopf. Tränen strömten mir über die Wange und fielen mir vom Kinn in den Schoß.
»Vielleicht sollte ich besser weiterfahren.«
Ich schüttelte wieder den Kopf. Ich konnte gut genug sehen.
Er diskutierte nicht mit mir.
Ich weinte immer noch lautlos, als wir den kleinen Berg erreichten, der unser weitläufiges Höhlensystem beherbergte. Eigentlich war es nur ein Hügel - eine unbedeutende Anhäufung von Vulkangestein wie so viele andere, vereinzelt bewachsen mit dürrem Kreosot und plattohrigem Feigenkaktus. Die Tausende von winzigen Fensterchen waren unsichtbar, verborgen im Durcheinander loser purpurfarbener Felsen. Irgendwo würde Rauch aufsteigen, schwarz vor schwarzem Hintergrund.
Ich stieg aus dem Lieferwagen und lehnte mich an die Tür, wobei ich mir die Augen wischte. Jared stellte sich neben mich. Er zögerte, dann legte er mir eine Hand auf die Schulter.
»Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass sie das vorhatten. Ich hatte keine Ahnung. Sie hätten nicht ...«
Aber das dachte er nur, weil sie irgendwie erwischt worden waren.
Der Umzugswagen kam ruckelnd hinter uns zum Stehen. Zwei Türen wurden zugeknallt und dann kamen Schritte auf uns zugerannt.
»Was ist passiert?«, fragte Kyle, der zuerst bei uns war.
Ian war direkt hinter ihm. Er warf nur einen Blick auf meinen Gesichtsausdruck, auf die Tränen, die mir immer noch über die Wangen liefen, auf Jareds Hand auf meiner Schulter. Dann kam er zu mir gelaufen, schlang seine Arme um mich und zog mich an seine Brust. Ich wusste nicht, warum ich daraufhin nur noch mehr weinen musste. Ich klammerte mich an ihn, wahrend meine Tränen auf sein Hemd tropften.
»Es ist alles in Ordnung. Du hast das toll gemacht. Es ist vorbei.«
»Der Sucher ist nicht das Problem, Ian«, sagte Jared mit Anspannung in der Stimme. Seine Hand berührte mich immer noch, obwohl er sich vorbeugen musste, um den Kontakt nicht zu verlieren.
»Häh?«
»Sie haben die Straße aus einem bestimmten Grund beobachtet. Es scheint, als hätte Doc in unserer Abwesenheit ... gearbeitet.«
Ich schauderte und für einen Augenblick konnte ich das silberne Blut in meiner Kehle schmecken.
»Was, diese ...!« Ian war so wütend, dass ihm die Worte fehlten. Er konnte den Satz nicht zu Ende bringen.
»Super«, sagte Kyle angewidert. »Diese Idioten. Wir sind ein paar Wochen weg und sie schicken uns die Sucher auf den Hals. Sie hätten uns einfach bitten können ...«
»Halt's Maul, Kyle«, sagte Jared barsch. »Das ist jetzt nicht der Zeitpunkt. Wir müssen das alles hier schnell ausladen. Wer weiß, wie viele nach uns Ausschau halten? Jeder nimmt etwas mit hinein und dann holen wir Hilfe.«
Ich schüttelte Ian ab, um mithelfen zu können. Meine Tränen hörten nicht auf zu fließen. Ian blieb dicht neben mir, nahm mir die schwere Palette mit Dosensuppen ab, die ich hochgehoben hatte, und ersetzte sie durch einen großen, leichten Karton mit Nudeln.
Wir machten uns auf den abschüssigen Weg nach drinnen, Jared vorneweg. Die totale Schwärze machte mir nichts aus. Ich kannte diesen Weg immer noch nicht allzu gut, aber er war nicht schwierig. Geradeaus hinunter, dann geradeaus wieder hoch.
Wir waren ungefähr auf halbem Weg, als wir eine vertraute Stimme in der Entfernung rufen hörten. Sie hallte zersplitternd durch den Tunnel wider.
»Sie sind zurück ..rück ...ück!«, rief Jamie.
Ich versuchte mir die Tränen an der Schulter abzuwischen, aber es gelang nur zum Teil.
Ein blaues Licht näherte sich und begann zu hüpfen, als sein Träger rannte. Dann kam Jamie in Sicht. Sein Anblick haute mich um.
Ich versuchte mich zu fassen, um ihn zu begrüßen - er würde sich sicher freuen und ich wollte ihn nicht aufregen. Aber Jamie war bereits aufgeregt. Sein Gesicht war blass und angespannt, seine Augen rot. Auf seinen staubigen Wangen waren Tränenspuren zu sehen.
»Jamie?«, sagten Jared und ich gleichzeitig und ließen unsere Kartons auf den Boden fallen.
Jamie rannte direkt auf mich zu und schlang die Arme um mich.
»Oh, Wanda! Oh, Jared!«, schluchzte er. »Wes ist tot! Er ist tot!
Die Sucherin hat ihn umgebracht!«
Befragt
Ich hatte Wes umgebracht.
Meine Hände, die vom hektischen Entladen zerkratzt, aufgeschürft und mit rötlichem Staub verschmiert waren, hätten genauso gut rot von seinem Blut sein können.
Wes war tot und es war genauso sehr mein Fehler, als wenn ich selbst abgedrückt hätte.
Jetzt, wo der Lastwagen abgeladen war, saßen wir alle außer fünfen in der Küche beisammen. Wir aßen einige der verderblichen Lebensmittel, die wir von der Einkaufstour mitgebracht hatten - Käse und frisches Brot mit Milch -, und hörten Jeb und Doc zu, die Jared, Ian und Kyle alles erklärten.
Ich saß ein Stück von den anderen entfernt und hatte den Kopf in den Händen vergraben, vor Schmerz und Schuldgefühlen zu taub, um wie sie Fragen zu stellen. Jamie saß neben mir. Ab und zu tätschelte er mir den Rücken.
Wes war bereits in der dunklen Grotte neben Walter beigesetzt worden. Er war vor vier Tagen gestorben, an dem Abend, als Jared, Ian und ich die Familie im Park beobachtet hatten. Ich würde meinen Freund nie wiedersehen, nie wieder seine Stimme hören ...
Tränen tropften auf den Stein neben mir und Jamies Tätscheln wurde schneller.
Andy und Paige waren nicht hier.
Sie fuhren den Lieferwagen und den Laster zurück in ihr Versteck. Von dort würden sie den Jeep zurück in seine gewohnte behelfsmäßige Garage bringen und dann den Rest des Weges nach Hause laufen müssen. Vor Sonnenaufgang würden sie zurück sein.
Lily war nicht hier.
»Ihr ... geht es nicht so gut«, hatte Jamie gemurmelt, als er sah, wie ich den Raum nach ihr absuchte. Mehr wollte ich gar nicht wissen. Ich konnte es mir gut vorstellen.
Aaron und Brandt waren nicht hier.
Brandt hatte jetzt eine schwach sichtbare, rosafarbene, kreisförmige Narbe in der Vertiefung unterhalb seines linken Schlüsselbeins. Die Kugel hatte sein Herz und seine Lunge nur um Haaresbreite verfehlt und sich dann auf der Suche nach einem Ausgang halb in sein Schulterblatt gebohrt. Doc hatte fast das ganze Heilung aufgebraucht, um sie dort herauszukriegen. Brandt ging es jetzt wieder gut.