Die für Wes bestimmte Kugel hatte besser getroffen. Sie hatte seine hohe, olivbraune Stirn durchschlagen und war aus seinem Hinterkopf wieder ausgetreten. Doc hätte nichts mehr für ihn tun können, selbst wenn er direkt dabei gewesen wäre und literweise Heilung zur Verfügung gehabt hätte.
Brandt, der jetzt in einem Halfter an seiner Hüfte eine kantige, schwere Trophäe dieser Begegnung trug, war bei Aaron. Sie waren in dem Tunnel, wo wir unsere Vorräte gelagert hätten, wenn er nicht besetzt gewesen wäre. Wenn er nicht wieder als Gefängnis gedient hätte.
Als ob es nicht genug gewesen wäre, Wes zu verlieren.
Es kam mir einfach nicht richtig vor, dass die Anzahl der Anwesenden immer noch die gleiche war. Fünfunddreißig lebendige Körper, genau wie vor meiner Ankunft in den Höhlen. Wes und Walter waren fort, aber ich war hier.
Und jetzt auch die Sucherin.
Meine Sucherin.
Wenn ich nur direkt bis nach Tucson weitergefahren wäre. Wenn ich nur in San Diego geblieben wäre. Wenn ich doch diesen Planeten einfach übersprungen hätte und irgendwo ganz anders hingegangen wäre. Wenn ich mich doch als Mutter zur Verfügung gestellt hätte, wie jede andere es nach fünf oder sechs Planeten tat. Wenn, wenn, wenn ... Wenn ich nicht hierhergekommen wäre, wenn ich die Sucherin nicht auf diese Spur gebracht hätte, dann wäre Wes noch am Leben. Sie hatte länger gebraucht als ich, um die Angaben zu entschlüsseln, aber als sie so weit war, musste sie nicht mehr vorsichtig sein. Sie war in einem Geländewagen durch die Wüste gebrettert und hatte neue Narben in der empfindlichen Wüstenlandschaft
hinterlassen, war immer näher gekommen ...
Sie mussten etwas unternehmen. Sie mussten sie stoppen.
Ich hatte Wes getötet.
Ich bin die, die sie erwischt haben, Wanda. Ich habe sie hergeführt, nicht du.
Mir war zu elend zumute, um ihr zu antworten.
Außerdem wäre Jamie tot, wenn wir nicht hergekommen wären. Und Jared vielleicht auch. Heute Nacht wäre er ohne dich umgekommen.
Tod auf allen Seiten. Tod, egal wo ich hinsah.
Warum musste sie mir auch folgen?, stöhnte ich. Ich schade den anderen Seelen hier doch nicht. Ich rette einigen von ihnen durch meine Anwesenheit hier sogar das Leben, indem ich Doc von seinen verhängnisvollen Versuchen abhalte. Warum musste sie mir folgen?
Warum haben sie sie hierbehalten?, fauchte Melanie. Warum haben sie sie nicht sofort umgebracht? Oder auch langsam umgebracht - ist mir ganz egal, wie! Warum ist sie noch am Leben?
Mein Magen zog sich vor Angst zusammen. Die Sucherin war am Leben, die Sucherin war hier.
Ich sollte eigentlich keine Angst vor ihr haben.
Natürlich war die Angst berechtigt, dass ihr Verschwinden die anderen Sucher auf unsere Spur bringen könnte. Alle hatten davor Angst. Als die Menschen ihre Suche nach mir beobachtet hatten, hatten sie gesehen, wie lautstark sie ihre Überzeugung vertrat. Sie hatte versucht, die anderen Sucher davon zu überzeugen, dass sich hier in dieser trostlosen Wüste Menschen versteckten. Niemand schien sie damals ernst genommen zu haben. Sie hatten sich zurückgezogen; sie war die Einzige, die weitergesucht hatte.
Aber jetzt war sie mitten in ihrer Suche verschwunden. Das änderte alles.
Ihr Auto war weit weggebracht und jenseits von Tucson in der Wüste abgestellt worden. Es sah so aus, als wäre sie auf die gleiche Weise verschwunden, wie man es bei mir angenommen hatte: Stücke ihrer zerfetzten Tasche lagen in der Nähe herum, die Verpflegung, die sie dabeigehabt hatte, war aufgerissen und angefressen. Würden die anderen Seelen einen solchen Zufall schlucken?
Wir wussten bereits, dass sie das nicht getan hatten. Zumindest nicht ganz. Sie suchten. Würden sie die Suche noch intensivieren?
Aber Angst vor der Sucherin selbst zu haben ... das ergab keinen Sinn. Ihre Körperkraft war zu vernachlässigen, sie war wahrscheinlich sogar kleiner als Jamie und ich war stärker und schneller als sie. Ich war von Freunden und Verbündeten umgehen und sie war allein, zumindest innerhalb dieser Höhlen hier. Zwei Waffen, das Gewehr und ihre eigene Glock - genau die Pistole, um die Ian sie damals beneidet hatte, die Pistole, die meinen Freund Wes umgebracht hatte -, waren ständig auf sie gerichtet. Nur eins hatte sie bisher am Leben erhalten und das konnte sie nicht mehr länger retten.
Jeb hatte gedacht, dass ich vielleicht mit ihr reden wollte. Das war alles.
Jetzt, wo ich zurück war, war sie dazu verurteilt, innerhalb der nächsten Stunden zu sterben, unabhängig davon, ob ich mit ihr sprach oder nicht.
Weshalb also hatte ich das Gefühl, im Nachteil zu sein? Warum diese eigenartige Ahnung, dass sie diejenige sein würde, die als Siegerin aus unserer Konfrontation hervorging?
Ich hatte mich noch nicht entschieden, ob ich mit ihr sprechen wollte. Zumindest war das die Antwort, die ich Jeb gegeben hatte. Aber ich wollte natürlich nicht mit ihr sprechen. Ich hatte schon Panik davor, nur ihr Gesicht wieder zu sehen - ein Gesicht, das ich mir, sosehr ich es auch versuchte, nicht verängstigt vorstellen konnte.
Wenn ich ihnen sagte, dass ich nicht mit ihr sprechen wollte, würde Aaron sie erschießen. Es wäre so, als würde ich ihm den Schießbefehl erteilen. Als würde ich abdrücken.
Oder schlimmer noch, vielleicht würde Doc versuchen, sie aus ihrem Menschenkörper zu schneiden. Die Erinnerung an das silberne Blut, das die Hände meines Freundes besudelt hatte, ließ mich zusammenzucken.
Melanie wand sich unbehaglich und versuchte den Qualen in meinem Kopf zu entkommen.
Wanda? Sie werden sie einfach nur erschießen. Keine Panik.