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Sollte mich das trösten? Das Bild in meinem Kopf verfolgte mich. Aaron, der die Pistole der Sucherin in der Hand hielt, der Körper der Sucherin, der langsam auf dem Steinboden zusammensackte, das rote Blut um sie herum ...

Du musst nicht dabei zusehen.

Das würde nicht verhindern, dass es geschah. Melanies Gedanken bekamen einen verzweifelten Unterton.

Aber wir wollen doch, dass sie stirbt, oder etwa nicht? Sie hat Wes umgebracht! Außerdem darf sie einfach nicht am Leben bleiben. Auf keinen Fall.

Sie hatte natürlich in allem Recht. Es stimmte, dass die Sucherin auf keinen Fall am Leben bleiben durfte. Wenn wir sie gefangen hielten, würde sie hartnäckig auf ihre Flucht hinarbeiten. Wenn es ihr gelang zu entkommen, würde das innerhalb kürzester Zeit den Tod meiner ganzen Familie bedeuten.

Es stimmte, dass die Sucherin Wes umgebracht hatte. Er war so jung gewesen und so sehr geliebt worden. Sein Tod hinterließ brennenden Schmerz. Ich konnte verstehen, dass die Menschen zum Ausgleich dafür ihr Leben forderten.

Und es stimmte, dass ich auch wollte, dass sie starb. »Wanda? Wanda?«

Jamie schüttelte mich am Arm. Es dauerte einen Moment, bis ich realisierte, dass jemand meinen Namen rief. Vielleicht schon viele Male.

»Wanda?«, fragte Jebs Stimme erneut.

Ich sah auf. Er stand über mir. Sein Gesicht war ausdruckslos, die undurchdringliche Fassade, die mir verriet, dass ihn starke Gefühle im Griff hatten. Sein Pokerface.

»Die Jungs wollen wissen, ob du noch Fragen an die Sucherin hast.«

Ich legte eine Hand an die Stirn und versuchte die Bilder dort auszublenden. »Und wenn nicht?«

»Sie haben genug davon, Wache zu halten. Es ist eine schwere Zeit für sie. Sie wären jetzt lieber bei ihren Freunden.«

Ich nickte. »Okay. Dann gehe ich wohl besser gleich ... und rede mit ihr.« Ich stieß mich von der Wand ab und kam auf die Füße. Meine Hände zitterten, weshalb ich sie zu Fäusten ballte.

Du hast keine Fragen.

Mir werden schon welche einfallen. Warum das Unvermeidliche aufschieben? Ich habe keine Ahnung.

Du versuchst sie zu retten, warf mir Melanie wütend vor. Das kann ich nicht.

Nein. Das kannst du nicht. Und außerdem willst du ihren Tod auch. Also erlaube ihnen, sie zu erschießen.

Ich zuckte zusammen.

»Ist alles okay mit dir?«, fragte Jamie.

Ich nickte, da ich meiner Stimme nicht genug traute, um zu sprechen.

»Du musst nicht«, sagte Jeb, der mich scharf ansah. »Schon okay«, flüsterte ich.

Jamies Hand umfasste die meine, aber ich schüttelte sie ab.

»Bleib hier, Jamie.«

»Ich komme mit.«

Meine Stimme war jetzt lauter. »O nein, das tust du nicht.« Wir starrten uns einen Moment lang an und ausnahmsweise gewann ich die Auseinandersetzung. Er streckte störrisch das Kinn vor, lehnte sich aber wieder an die Wand.

Ian sah ebenfalls so aus, als wollte er mir folgen, aber ein einziger Blick von mir hielt ihn davon ab. Jared sah mit unergründlicher Miene zu, wie ich die Küche verließ.

»Sie meckert die ganze Zeit«, erklärte mir Jeb leise, als wir zum Loch gingen. »Nicht so wie du. Fragt ständig nach mehr Essen, Wasser, Kissen ... Außerdem wirft sie mit Drohungen um sich. >Die Sucher werden euch alle kriegen!< Solche Sachen. Vor allem für Brandt ist es schwer. Sie bringt ihn an den Rand seiner Selbstbeherrschung.«

Ich nickte. Das überraschte mich nicht im Geringsten. »Allerdings hat sie nicht versucht zu fliehen. Viel Gerede und nichts dahinter. Sobald sie die Waffen auf sie richten, kuscht sie.«

Ich schauderte.

»Ich glaube, sie hat verdammt viel Schiss vor dem Tod«, murmelte Jeb vor sich hin.

»Glaubst du wirklich, das ist der ... sicherste Platz für sie?«,

fragte ich, als wir den schwarzen, gewundenen Tunnel hinuntergingen.

Jeb lachte. »Du hast den Weg nach draußen auch nicht gefunden«, erinnerte er mich. »Manchmal ist das beste Versteck eines, das man direkt vor Augen hat.«

»Ihre Motivation zu entkommen ist aber größer als meine«,

erwiderte ich rundheraus.

»Die Jungs lassen sie nicht aus den Augen. Keine Sorge.«

Wir waren fast da. Der Tunnel beschrieb einen scharfen Knick in Form eines V. Wie oft war ich um diese Kurve gebogen und mit der Hand über die Innenseite der spitzwinkligen Abbiegung gefahren, so wie jetzt? Ich hatte mich nie an der Außenwand entlang getastet. Sie war uneben, mit unvermittelt hervorspringenden Felsen, an denen man sich verletzen konnte oder die einen zum Stolpern brachten. Sich innen entlang zu tasten war schließlich auch der kürzere Weg ...

Als sie mir zum ersten Mal gezeigt hatten, dass das V kein V, sondern ein Y war - zwei Wege, die von einem anderen Tunnel abzweigten, von dem Tunnel -, war ich mir ziemlich blöd vorgekommen. Wie Jeb schon sagte, manchmal war es das Schlaueste, etwas vor aller Augen zu verstecken. Die wenigen Male, die ich verzweifelt genug gewesen war, über eine Flucht aus den Höhlen auch nur nachzudenken, hatte mein Gehirn diese Stelle in meinen Überlegungen schlichtweg übersprungen. Das hier war das Loch, das Gefängnis. In meiner Vorstellung war es der dunkelste, tiefste Schacht in den Höhlen. Deshalb hatten sie mich dort vergraben.

Sogar Mel, die gewiefter war als ich, hätte sich niemals träumen lassen, dass sie mich nur ein paar Schritte vom Ausgang entfernt gefangen gehalten hatten.

Es war noch nicht einmal der einzige Ausgang. Aber der andere war klein und eng, ein Spalt, durch den man hindurchkriechen musste. Ich hatte ihn nicht gefunden, weil ich aufrecht durch die Höhlen gelaufen war. Nach so einem Tunnel hatte ich nicht gesucht. Außerdem hatte ich nie die Winkel von Docs Krankenflügel erforscht. Ich hatte ihn von Anfang an gemieden.

Ihre Stimme - vertraut, obwohl sie Teil eines anderen Lebens zu sein schien - unterbrach meine Gedanken.

»Igitt! Ich frage mich, wie ihr bei diesem Fraß überleben könnt.«

Etwas aus Plastik klapperte gegen den Fels.

Ich konnte das blaue Licht um die letzte Ecke scheinen sehen. »Ich wusste nicht, dass Menschen ausreichend Geduld haben, um jemanden verhungern zu lassen. So ein Plan kommt mir irgendwie zu komplex vor für euch kurzsichtige Kreaturen.«

Jeb lachte. »Ich muss sagen, ich bin beeindruckt von den Jungs. Es wundert mich, dass sie das so lange ausgehalten haben.«