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Ich holte tief Luft und Tränen quollen mir aus den Augenwinkeln und liefen mir über die Schläfen in die Haare.

Ich spannte meine Beinmuskeln an, spürte ihre Kraft und Schnelligkeit. Ich wollte laufen, ein offenes Feld vor mir haben, über das ich laufen konnte, nur um zu sehen, wie schnell ich war. Ich wollte barfuß rennen, um die Erde unter meinen Füßen zu spüren. Ich wollte den Wind in meinem Haar spüren. Ich wollte, das es regnete, damit ich den Regen in der Luft riechen konnte, während ich rannte.

Ich streckte meine Füße aus und zog sie wieder an, im Rhythmus meiner Atmung. Ausstrecken und anziehen. Es fühlte sich gut an.

Ich strich mir mit den Fingerspitzen übers Gesicht. Sie fühlten sich warm an auf meiner Haut, einer Haut, die zart und schön war. Ich war froh, dass ich Melanie ihr Gesicht in seinem ursprünglichen Zustand zurückgab. Ich schloss die Augen und streichelte meine Augenlider.

Ich hatte schon in so vielen Körpern gelebt, aber in keinem, den ich so geliebt hatte wie diesen. In keinem, den ich so sehr begehrt hatte. Und genau das war der Körper, den ich aufgeben musste.

Die Ironie brachte mich zum Lachen und ich konzentrierte mich auf das Gefühl, wie die Luft in kleinen Blasen aus meiner Brust durch meine Kehle aufstieg. Gelächter war wie eine frische Brise - es reinigte den Körper auf seinem Weg, sorgte überall für ein gutes Gefühl. Hatten andere Spezies auch ein so einfaches Heilmittel? Mir fiel keins ein.

Ich berührte meine Lippen und dachte daran, wie es sich anfühlte, Jared zu küssen, und wie es sich anfühlte, Ian zu küssen. Nicht jeder hatte das Glück, so viele andere schöne Körper zu küssen. Ich hatte es gehabt, sogar in dieser kurzen Zeit.

Es war so kurz gewesen! Vielleicht ein Jahr, ich war mir nicht ganz sicher. Nur eine kurze Umdrehung eines blau-grünen Planeten um einen gewöhnlichen hellen Stern. Das kürzeste Leben von allen, die ich je gelebt hatte.

Das kürzeste, wichtigste, herzzerreißendste aller Leben. Das Leben, das mich am meisten geprägt hatte. Das Leben, das mich schließlich mit einem Stern, einem Planeten, einer kleinen Familie von Fremden verbunden hatte.

Ein bisschen mehr Zeit... wäre das so falsch?

Nein, flüsterte Mel. Nimm dir noch ein bisschen mehr Zeit.

Du weißt nie, wie viel Zeit dir noch bleibt, flüsterte ich zurück. Aber ich wusste es. Ich wusste genau, wie viel Zeit mir noch

blieb. Ich konnte mir nicht noch mehr Zeit nehmen. Meine Zeit war um.

Ich würde sowieso gehen. Ich musste das Richtige tun, ich selbst sein, egal wie viel Zeit mir noch blieb.

Mit einem Seufzer, der von ganz tief unten, aus meinen Fußsohlen und Handflächen, zu kommen schien, stand ich auf.

Aaron und Brandt würden nicht ewig warten. Und jetzt hatte ich noch ein paar neue Fragen, auf die ich Antworten suchte. Und diesmal waren es Fragen an Doc.

In den Höhlen sah ich überall traurige, gesenkte Blicke. Es war kein Problem, unbehelligt an allen vorbeizukommen. Niemand interessierte sich dafür, was ich gerade tat, außer vielleicht Jeb, Brandt und Aaron, und die waren nicht hier.

Ich hatte kein offenes, regnerisches Feld vor mir, aber immerhin gab es den langen südlichen Tunnel. Es war zu dunkel, um in vollem Tempo zu laufen, wie ich es gern getan hätte, aber ich fiel in einen gleichmäßigen Laufschritt. Es fühlte sich gut an, als meine Muskeln warm wurden.

Ich nahm an, dass ich Doc hier antreffen würde, aber wenn es nötig war, würde ich auch warten. Er würde allein sein. Armer Doc, das war jetzt meistens so.

Doc schlief seit der Nacht, in der wir Jamie das Leben gerettet hatten, in seinem Krankenflügel. Sharon hatte ihre Sachen aus ihrem gemeinsamen Zimmer in das ihrer Mutter geräumt und Doc wollte nicht allein in dem leeren Raum schlafen.

So viel Hass. Sharon gab lieber ihr eigenes Glück auf und Docs dazu, als ihm zu verzeihen, dass er mir geholfen hatte, Jamie zu heilen.

Sharon und Maggie traten in den Höhlen kaum mehr in Erscheinung. Sie sahen an jedem vorbei, so wie sie anfangs nur an mir vorbeigeschaut hatten. Ich fragte mich, ob das anders werden würde, wenn ich weg war, oder ob die beiden so in ihren Groll verbohrt waren, dass es zu spät für sie war, sich noch zu ändern.

Was für eine unglaublich dumme Art, wertvolle Lebenszeit zu verschwenden.

Zum ersten Mal kam mir der südliche Tunnel kurz vor. Ich hatte das Gefühl, noch nicht mal die Hälfte des Weges zurückgelegt zu haben, als ich Docs Licht schwach durch den unregelmäßigen Bogen leuchten sah. Er war zu Hause.

Ich verlangsamte meine Schritte. Ich wollte ihm keinen Schreck einjagen, ihn nicht glauben machen, es handle sich um einen Notfall.

Er erschrak trotzdem, als ich leicht atemlos unter dem steinernen Torbogen auftauchte, und sprang hinter seinem Schreibtisch auf. Das Buch, in dem er gelesen hatte, fiel ihm aus der Hand.

»Wanda? Ist irgendwas passiert?«

»Nein, Doc«, versicherte ich ihm. »Alles in Ordnung.« »Braucht mich jemand?«

»Nur ich.« Ich lächelte ihn schwach an.

Er kam neugierig um seinen Schreibtisch herum auf mich zu. Einen halben Schritt von mir entfernt blieb er stehen und hob eine Augenbraue. Sein langes Gesicht war freundlich, alles andere als angsteinflößend. Es fiel mir schwer, mir vorzustellen, dass er auf mich einst wie ein Monster gewirkt hatte.

»Du bist jemand, der sein Wort hält«, begann ich.

Er nickte und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber ich hob eine Hand.

»Niemand wird diese Eigenschaft jemals stärker auf die Probe stellen als ich jetzt«, warnte ich ihn.

Mit verwirrtem und wachsamem Blick wartete er ab.

Ich holte tief Luft, spürte, wie sich meine Lungen ausdehnten .

»Ich weiß, wie es geht. Das, wofür du so viele Leben geopfert hast. Ich weiß, wie man Seelen von ihren Körpern trennt, ohne einem von ihnen Schaden zuzufügen. Natürlich weiß ich das. Wir alle müssen das für den Notfall wissen. Ich habe diese Notfallaktion sogar einmal selbst durchgeführt, als ich ein Bär war.«

Ich sah ihn an und wartete auf eine Reaktion. Es dauerte eine ganze Weile und seine Augen wurden mit jeder Sekunde ungläubiger.

»Warum erzählst du mir das?«, brachte er schließlich hervor.

»Weil ich ... weil ich das Wissen, das du brauchst, an dich weitergeben werde.« Ich hob erneut meine Hand. »Aber nur, wenn du mir im Gegenzug das gibst, was ich will. Ich sage dir gleich, dass es dir genauso schwerfallen wird, mir das zu geben, was ich will, wie mir, dir das zu geben, was du willst.«

Sein Gesicht war entschlossener, als ich es je zuvor gesehen hatte. »Nenn mir deine Bedingungen.«

»Du darfst sie nicht töten - die Seelen, die du entnimmst. Du musst mir dein Wort geben, dass du sie sicher in ein anderes Leben geleiten wirst. Das birgt eine gewisse Gefahr in sich - ihr braucht Tiefkühlbehälter und ihr müsst die Seelen auf Raumschiffe verladen, die den Planeten verlassen. Ihr müsst sie zum Weiterleben in eine andere Welt schicken. Aber sie werden euch nichts tun können. Sobald sie auf ihrem nächsten Planeten ankommen, werden eure Enkel schon nicht mehr leben.«

Würden diese Bedingungen meine Schuldgefühle, was diese Sache anging, lindern? Nur, wenn ich Doc vertrauen konnte.

Er dachte scharf nach, während ich ihm alles erklärte. Ich beobachtete sein Gesicht, um zu sehen, was er auf meine Forderung antworten würde. Er sah nicht wütend aus, aber seine Augen waren immer noch ungläubig.

»Du willst nicht, dass wir die Sucherin umbringen?«, vermutete er.

Ich beantwortete seine Frage nicht, weil er die Antwort nicht verstehen würde; ich wollte, dass sie sie umbrachten. Genau das war das Problem. Stattdessen erklärte ich weiter.