»Sie wird die Erste sein, der Testlauf. Solange ich noch hier bin, möchte ich sichergehen, dass ihr meine Bedingungen einhaltet. Ich werde die Trennung selbst vornehmen. Wenn sie in Sicherheit ist, werde ich dir beibringen, wie es geht.«
»An wem?«
»An Geiseln. Genau wie bisher. Ich kann dir nicht garantieren, dass die Menschenseelen zurückkommen. Ich weiß nicht, ob die, die ausgelöscht wurden, zurückkehren können. Wir werden es an der Sucherin ausprobieren.«
Doc blinzelte nachdenklich. »Was meinst du damit, >solange ich noch hier bin<? Verlässt du uns?«
Ich starrte ihn lange an und wartete darauf, dass er begriff. Er starrte verständnislos zurück.
»Begreifst du nicht, was ich dir gebe?«, flüsterte ich.
Endlich breitete sich Verstehen auf seinem Gesicht aus.
Ich sprach schnell weiter, bevor er etwas sagen konnte. »Da ist noch etwas, worum ich dich bitten möchte, Doc. Ich möchte nicht... will nicht auf einen anderen Planeten verfrachtet werden. Das hier ist mein Planet, davon bin ich überzeugt. Und doch ist hier kein Platz für mich. Ich weiß, dass es einige der anderen ... kränken könnte. Verschweig es ihnen, wenn du glaubst, dass sie es nicht zulassen würden. Lüge, wenn es nötig ist. Aber ich würde gern neben Walt und Wes beerdigt werden. Kannst du das für mich tun? Ich werde nicht viel Platz beanspruchen.« Ich lächelte erneut schwach.
Nein!, schrie Melanie. Nein, nein, nein!
»Nein, Wanda«, widersprach auch Doc mit entsetztem Gesicht.
»Bitte, Doc«, flüsterte ich, während ich angesichts des immer lauter werdenden Protests in meinem Kopf zusammenzuckte. »Ich glaube nicht, dass es Wes oder Walt etwas ausmacht.«
»Das habe ich nicht gemeint! Ich kann dich nicht töten, Wanda. Ich habe den Tod so satt, habe es so satt, meine Freunde umzubringen ...« Docs Stimme versiegte in einem Schluchzen.
Ich legte ihm die Hand auf seinen dünnen Arm, streichelte ihn. »Hier wird nun mal gestorben. Das passiert einfach.« Kyle hatte das gesagt. Lustig, dass ich schon zum zweiten Mal in dieser Nacht ausgerechnet Kyle zitierte.
»Was ist mit Jared und Jamie?«, fragte Doc mit erstickter Stimme.
»Sie werden Melanie haben. Sie werden glücklich darüber sein.«
»Und Ian?«
»Der ist ohne mich besser dran«, stieß ich hervor.
Doc schüttelte den Kopf und wischte sich über die Augen.
»Ich muss darüber nachdenken, Wanda.«
»Wir haben nicht viel Zeit. Sie werden nicht ewig warten, bis sie die Sucherin umbringen.«
»Den Teil meine ich nicht. Mit den Bedingungen dafür bin ich einverstanden. Aber ich glaube nicht, dass ich dich töten kann.«
»Alles oder nichts, Doc. Du musst dich jetzt sofort entscheiden. Und ...« Mir ging auf, dass ich noch eine Forderung hatte. »Und du darfst niemandem sonst etwas vom letzten Feil unserer Abmachung sagen. Niemandem. Das sind meine Bedingungen, entscheide dich dafür oder dagegen. Willst du wissen, wie man Seelen von ihrem Körper trennt?«
Doc schüttelte erneut den Kopf. »Lass mich nachdenken.« »Du kennst die Antwort bereits, Doc. Das ist das, wonach du immer gesucht hast.«
Er schüttelte nur weiterhin langsam mit dem Kopf.
Ich ignorierte diese verneinende Geste, denn wir wussten beide, dass die Entscheidung bereits gefallen war.
»Ich hole Jared«, sagte ich. »Wir gehen auf eine schnelle Tour, um Tiefkühlbehälter zu besorgen. Halt die anderen hin. Sag ihnen ... sag ihnen die Wahrheit. Sag ihnen, ich werde dir helfen, die Sucherin aus diesem Körper zu holen.«
Vorbereitet
Ich fand Jared und Jamie in unserem Zimmer, wo sie mit besorgten Gesichtern auf mich warteten. Jared musste Jeb getroffen haben.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte mich Jared, während Jamie aufsprang und die Arme um mich schlang.
Ich wusste nicht genau, wie ich seine Frage beantworten sollte. Ich kannte die Antwort nicht. »Jared, ich brauche deine Hilfe.«
Als ich den Satz beendet hatte, war Jared bereits auf den Beinen. Jamie beugte sich zurück, um mein Gesicht anzusehen. Ich wich seinem Blick aus. Ich war mir nicht sicher, wie viel ich im Moment ertragen konnte.
»Was soll ich tun?«, fragte Jared.
»Ich gehe auf Beutetour. Und ich könnte ... Unterstützung gebrauchen.«
»Was müssen wir besorgen?« Er war ganz da, bereits wieder im Missionsmodus.
»Ich erkläre es dir unterwegs. Wir haben nicht viel Zeit.«
»Kann ich mitkommen?«, fragte Jamie. »Nein!«, sagten Jared und ich gleichzeitig.
Jamie runzelte die Stirn und ließ mich los. Er ließ sich auf die Matratze sinken und kreuzte die Beine. Dann legte er das Gesicht in die Hände und schmollte. Ich konnte ihn nicht direkt ansehen, als ich aus dem Zimmer glitt. Ich sehnte mich ohnehin schon danach, mich neben ihn zu setzen, ihn zu umarmen und die ganze Angelegenheit zu vergessen.
Jared folgte mir, als ich den Weg zurück zum südlichen Tunnel einschlug.
»Warum hier lang?«, fragte er.
»Ich ...« Er würde es merken, wenn ich versuchte zu lügen oder eine ausweichende Antwort zu geben. »Ich möchte niemandem begegnen. Vor allem nicht Jeb, Aaron oder Brandt.«
»Warum nicht?«
»Ich möchte ihnen keine Erklärungen geben müssen. Noch nicht.«
Er schwieg und versuchte zu verstehen, was das zu bedeuten hatte.
Ich wechselte das Thema. »Weißt du, wo Lily ist? Ich glaube, sie sollte besser nicht allein bleiben. Sie scheint ...«
»Ian ist bei ihr.«
»Das ist gut. Er ist der Beste dafür.«
Ian würde Lily helfen - er war genau der, den sie jetzt brauchte. Wer würde Ian helfen, wenn ...? Ich schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben.
»Was müssen wir denn so Eiliges besorgen?«, fragte Jared mich.
Ich holte tief Luft, bevor ich ihm antwortete.
»Tiefkühlbehälter.«
Der südliche Tunnel war schwarz. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen. Seine Schritte neben mir wurden nicht langsamer und er sagte eine ganze Weile lang nichts. Als er wieder sprach, konnte ich hören, dass er sich auf den Beutezug konzentrierte - zielstrebig ließ er jede Neugier beiseite, bis die Mission zu seiner Zufriedenheit geplant war.
»Wo kriegen wir die her?«
»Leere Tiefkühlbehälter werden vor Heileinrichtungen aufbewahrt, bis sie gebraucht werden. Da mehr Seelen auf die Erde kommen als sie verlassen, gibt es immer reichlich davon. Niemand wird sie bewachen, niemand wird bemerken, wenn ein paar fehlen.«
»Bist du sicher? Wo hast du diese Information her?«
»Ich habe sie stapelweise in Chicago gesehen. Sogar die kleine Einrichtung in Tucson, bei der wir waren, hatte einen Vorrat davon; sie standen in Kisten verpackt vor dem Lieferanteneingang...«
»Wenn sie in Kisten verpackt waren, wie kannst du dann sicher sein ...«
»Hast du unsere Vorliebe für Etiketten noch nicht bemerkt?« »Ich zweifle nicht an dem, was du sagst«, sagte er. »Ich will nur sichergehen, dass du alles gut durchdacht hast.«
Ich hörte die Doppeldeutigkeit aus seinen Worten heraus.
»Habe ich.«
»Dann lass uns loslegen.«
Doc war nicht da - er musste schon bei Jeb sein, da wir ihm unterwegs nicht begegnet waren. Offenbar war er direkt nach mir losgegangen. Ich fragte mich, wie sie seine Neuigkeit wohl auffassen würden. Hoffentlich waren sie nicht so dumm, das vor der Sucherin zu besprechen. Würde sie das Gehirn ihres menschlichen Wirts zerstückeln, wenn sie erriet, was ich vorhatte? Würde sie annehmen, dass ich vollständig zur Verräterin geworden wäre? Dass ich den Menschen bedingungslos das geben würde, was sie brauchten?
Und würde ich das nicht auch tun? Wenn ich weg war, würde Doc dann noch sein Wort halten?
Ja, er würde es versuchen. Daran glaubte ich. Ich musste einfach daran glauben. Aber allein konnte er es nicht. Und wer würde ihm helfen?