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Die Sucherin unterbrach das Gespräch in meinem Innern. »Außer dem neuen Ort, den wir überprüfen sollen, haben Sie also keine weiteren Hinweise im Zusammenhang mit der Landkarte?«

Ich spürte, wie mein Körper auf ihren vorwurfsvollen Unterton mit Widerwillen reagierte. »Ich habe nie behauptet, dass es sich um Linien auf einer Landkarte handelt. Das haben Sie angenommen. Und nein, ich habe sonst nichts Neues für Sie.«

Sie schnalzte dreimal schnell mit der Zunge. »Aber Sie haben gesagt, es wären Richtungsangaben.«

»Ich glaube, dass es Richtungsangaben sind. Mehr kriege ich nicht raus.«

»Warum nicht? Haben Sie den Menschen immer noch nicht unterworfen?« Sie lachte laut. Lachte mich aus.

Ich drehte ihr den Rücken zu und versuchte mich zu beruhigen. Ich tat so, als wäre sie gar nicht da. Als wäre ich ganz allein in meiner spartanischen Küche, während ich aus dem Fenster starrte und den kleinen Ausschnitt des Nachthimmels betrachtete, mit den drei hellen Sternen, die ich dort sehen konnte.

Zumindest so allein wie möglich.

Während ich die drei winzigen Lichtpunkte in der Dunkelheit fixierte, blitzten die Linien vor meinem inneren Auge auf, die ich immer wieder gesehen hatte - in meinen Träumen und in meinen lückenhaften Erinnerungen - und die mir immer wieder unerwartet in den verschiedensten Augenblicken in den Sinn kamen.

Die erste: eine langsame, unregelmäßige Biegung, dann eine scharfe Kurve nach Norden, wieder eine scharfe Kurve zurück in die andere Richtung, dann wieder ein längerer Ausläufer nach Norden, dann fiel sie wieder steil Richtung Süden ab, um plötzlich in einer weiteren sanften Biegung auszulaufen.

Die zweite: eine ausgefranste Zickzacklinie, vier enge Serpentinen, der fünfte Scheitelpunkt leicht stumpf, als wäre die Spitze abgebrochen ...

Die dritte: eine sanfte Welle, die unvermittelt von einem Ausläufer unterbrochen wurde, der sich wie ein langer, dünner Finger nach Norden streckte.

Unverständlich, scheinbar bedeutungslos. Aber ich wusste, dass sie für Melanie wichtig waren. Ich hatte es von Anfang an gewusst. Sie hütete dieses Geheimnis hartnäckiger als alle anderen, genau wie den Jungen, ihren Bruder. Bis zu dem Traum letzte Nacht hatte ich keine Ahnung gehabt, dass es ihn gab. Ich fragte mich, was sie dazu gebracht hatte, ihn preiszugeben. Vielleicht würde sie immer mehr ihrer Geheimnisse verraten, je lauter sie in meinem Kopf wurde ...

Vielleicht würde sie einen Moment lang nicht aufpassen und ich könnte sehen, was diese seltsamen Linien bedeuteten. Ich wusste, dass sie etwas bedeuteten. Dass sie irgendwohin führten.

Und genau in diesem Augenblick, als das Gelächter der Sucherin noch in der Luft nachhallte, wurde mir plötzlich klar, warum sie so wichtig waren.

Sie führten natürlich zurück zu Jared. Zurück zu den beiden, zu Jared und Jamie. Wohin sonst? Welcher Ort könnte sonst irgendeine Bedeutung für sie haben? Aber erst jetzt erkannte ich, dass sie nicht wirklich zurückführten, denn keiner von ihnen war diesen Linien vorher je gefolgt. Linien, die für Melanie ebenso geheimnisvoll gewesen waren wie für mich, bis ...

Die Mauer, die den Zugang blockierte, war diesmal langsam. Melanie war abgelenkt, achtete mehr auf die Sucherin als ich. Als Reaktion auf ein Geräusch hinter mir zitterte sie in meinem Kopf und erst daran merkte ich, dass sich die Sucherin näherte.

Die Sucherin seufzte. »Ich hatte mehr von Ihnen erwartet. Ihr Lebenslauf klang so vielversprechend.«

»Es ist ein Jammer, dass Sie nicht selbst für die Aufgabe zur Verfügung standen. Ich bin sicher, es wäre ein Kinderspiel für Sie gewesen, mit einem aufständischen Wirt fertigzuwerden.« Ich drehte mich nicht zu ihr um. Meine Stimme war unbewegt.

Sie sog die Luft ein. »Die Anfangsphase der Besetzung war auch ohne aufständischen Wirt Herausforderung genug.«

»Ich weiß. Ich war selbst an ein paar Besiedlungen beteiligt.« Sie schnaubte. »War der Sehtang sehr schwer zu bezwingen?

Ist er geflohen?«

Meine Stimme blieb ruhig. »Am Südpol gab es keine Probleme. Im Norden war das jedoch anders. Da ist es missglückt. Wir haben den kompletten Wald verloren.« Die Trauer aus jener Zeit schwang in meiner Stimme mit. Tausende fühlende Lebewesen, die lieber ihre Augen für immer verschlossen hatten, als uns zu akzeptieren. Sie hatten ihre Blätter vor der Sonne verborgen und waren verhungert ...

Besser für sie, flüsterte Melanie. Da war kein Sarkasmus in ihrem Gedanken zu spüren, nur Zustimmung, als sie die Tragödie in meiner Erinnerung guthieß.

Es war eine solche Verschwendung. Ich ließ die Erinnerung an den Todeskampf dieses enormen Wissensschatzes, das Gefühl der sterbenden Gedanken, das uns mit dem Schmerz unseres verschwisterten Waldes gequält hatte, durch meinen Kopf strömen.

So oder so hätte es für sie den Tod bedeutet.

Die Sucherin sagte etwas und ich gab mir Mühe, mich auf nur ein Gespräch zu konzentrieren.

»Ja.« Ihre Stimme klang plötzlich belegt. »Das ging gründlich schief.«

»Man kann nicht vorsichtig genug sein, wenn es darum geht, jemandem Verantwortung zu übertragen. Manche sind nicht so sorgfältig, wie sie sein sollten.«

Sie antwortete nicht und ich hörte, wie sie sich ein paar Schritte entfernte. Es war allgemein bekannt, dass der Fehler, der zu diesem Massenselbstmord geführt hatte, den Suchern anzulasten war. Diese hatten, da der Sehtang ja nicht in der Lage war zu fliehen, seine Fähigkeit unterschätzt, sich ihnen zu entziehen. Sie hatten fahrlässigerweise die erste Besiedlungsphase gestartet, bevor genug Seelen für eine vollständige Übernahme vor Ort gewesen waren. Als sie gemerkt hatten, wozu sich der Sehtang entschlossen hatte, war es zu spät. Die nächste Schiffsladung von tiefgekühlten Seelen war noch zu weit weg und als sie eintraf, war der Wald im Norden bereits verloren.

Ich drehte mich zu der Sucherin um, neugierig, wie meine Worte auf sie gewirkt hatten. Ungerührt starrte sie geradeaus auf die nackte weiße Wand.

»Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht weiterhelfen kann«, sagte ich bestimmt, um ihr klarzumachen, dass ich sie loswerden wollte. Ich wollte meine Wohnung wieder für mich haben. Für uns, warf Melanie gehässig ein. Ich seufzte. Sie war sich ihrer Stärke inzwischen so sicher. »Sie hätten sich wirklich nicht die Mühe machen müssen, den weiten Weg hierherzukommen.«

»Das ist mein Job«, sagte die Sucherin und zuckte mit den Schultern. »Sie sind zurzeit mein einziges Projekt. Bis ich die üb- rigen Aufständischen gefunden habe, kann ich genauso gut in Ihrer Nähe bleiben. Vielleicht lohnt es sich ja.«

Aneinandergeraten

»Ja, Faces Sunward?«, fragte ich, dankbar für die erhobene Hand, die meine Vorlesung unterbrach. Ich fühlte mich nicht so wohl wie sonst hinter meinem Pult. Mein größter Pluspunkt - eigentlich sogar der einzige, den ich vorzuweisen hatte, da mein Wirtskörper ja seit früher Jugend immer auf der Flucht gewesen war und nicht viel Schulbildung erhalten hatte - war die persönliche Erfahrung, aus der ich für meinen Unterricht normalerweise schöpfte. Aber dieses Semester lehrte ich zum ersten Mal die Geschichte eines Planeten, auf dem ich nicht selbst gelebt hatte. Ich war sicher, dass meinen Studenten der Unterschied auffallen musste.

»Tut mir leid, dass ich Sie unterbreche, aber ...« Der weißhaarige Mann hielt kurz inne auf der Suche nach den passenden Worten. »Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich das richtig verstanden habe. Die Feuerschmecker ... verzehren also wirklich den Rauch, der beim Verbrennen der Wandelnden Blumen entsteht? Wie Essen?« Er versuchte, den entsetzten Unterton in seiner Stimme zu unterdrücken. Einer Seele stand es nicht zu, über eine andere Seele zu urteilen. Aber da er selbst vom Blumenplaneten kam, überraschte mich seine heftige Reaktion auf das Schicksal einer ähnlichen Lebensform in einer anderen Welt überhaupt nicht.