»Sie hat es wirklich getan«, sagte Jared mit leiser Stimme. »Ja«, gab Doc ihm Recht.
Ich hörte nicht, wie Jeb sich mir näherte. »Ziemlich genial, Mädchen«, murmelte er. Ich zuckte mit den Schultern.
»Na, jetzt hast du ein Problem, was?«
Ich antwortete nicht.
»Ich auch, Süße. Ich auch.«
Aaron und Brandt unterhielten sich hinter mir, ihre Stimmen wurden vor Aufregung immer lauter und sie antworteten bereits auf die Gedanken des anderen, bevor die Fragen überhaupt ausgesprochen waren.
Sie sahen keinerlei Probleme. »Wenn die anderen das erfahren!« »Denk nur, was für ...«
»Wir sollten losziehen, um ein paar ...« »Los, ich bin bereit...«
»Ihr bleibt hier«, schnitt Jeb Brandt das Wort ab. »Keine Geiseln, bevor dieser Tiefkühlbehälter sicher auf seinem Weg ins Weltall ist. Stimmt's, Wanda?«
»Stimmt«, gab ich ihm mit fester Stimme Recht und drückte den Behälter an mich.
Brandt und Aaron wechselten einen säuerlichen Blick.
Ich würde mehr Verbündete brauchen. Jared und Jeb und Doc waren nur drei, wenn auch sicherlich die einflussreichsten hier. Trotzdem brauchten sie Unterstützung.
Ich wusste, was das bedeutete.
Es bedeutete, dass ich mit Ian reden musste.
Natürlich auch mit anderen, aber Ian war der Wichtigste. Mein Herz sank. Seit ich bei den Menschen lebte, hatte ich schon viele Dinge getan, die ich eigentlich nicht tun wollte, aber ich konnte mich an nichts erinnern, was mir so ausgeprägte, auf einen Punkt konzentrierte Schmerzen verursacht hätte. Nicht einmal der Entschluss, mein Leben für das der Sucherin herzugeben - das war ein riesiger, ausgedehnter Schmerz, ein umfassendes Leid, das aber beinahe erträglich war, weil es so eng mit dem übergeordneten Ganzen verknüpft war. Mich von Ian zu verabschieden war ein messerscharfer Schmerz, der es mir schwer machte, das große Ganze zu erkennen. Ich wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, irgendeine Möglichkeit, ihm denselben Schmerz zu ersparen. Es gab keine.
Das Einzige, was noch schlimmer sein würde, war, mich von Jared zu verabschieden. Das würde brennen wie Feuer. Denn er würde keinen Schmerz empfinden. Seine Freude würde jegliches Bedauern, das er meinetwegen vielleicht verspürte, überwiegen.
Und was Jamie anging - ich hatte nicht vor, mich diesem Abschied überhaupt zu stellen.
»Wanda!« Docs Stimme klang schrill.
Ich eilte zu dem Bett, über das Doc sich beugte. Bevor ich dort ankam, konnte ich schon sehen, wie die kleine olivfarbene Hand, die über der Bettkante hing, sich zur Faust ballte und wieder öffnete.
»Ahh …«, stöhnte die vertraute Stimme der Sucherin aus dem menschlichen Körper. »Ahh …«
Es wurde still im Raum und alle sahen zu mir, als wäre ich die Expertin für Menschen.
Ich suchte Docs verzweifelten Blick und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. »Sprich mit ihr«, flüsterte ich ihm zu.
»Ähm … Hallo? Können sie mich hören, Miss? Sie sind jetzt in Sicherheit. Verstehen Sie mich?«
»Ahh…«, stöhnte sie. Sie blinzelte und ihr Blick richtete sich auf Docs Gesicht. Ihre Augen waren schwarz - wie Onyx –; sie irrten durch den Raum, bis sie mich entdeckte und dem Erkennen folgte sogleich ein Stirnrunzeln. Sie sah weg, zurück zu Doc.
»Also es fühlt sich gut an, meinen Kopf wieder zu haben«, sagte sie mit lauter Stimme.
Verurteilt
Der Wirtskörper der Sucherin hieß Lacey, ein zarter, femininer Name. Lacey. Meiner Meinung nach war er ebenso unpassend wie ihre Größe. Als würde man einen Pitbull Fluffy nennen.
Lacey war genauso laut wie die Sucherin - und beklagte sich ebenfalls über alles.
»Ihr müsst entschuldigen, dass ich ununterbrochen rede«, sagte sie mehrmals und ließ uns keine andere Wahl. »Ich habe mich jahrelang da drin sozusagen heiser geschrien und es nie geschafft, zu Wort zu kommen. Es hat sich vieles angestaut, was ich loswerden möchte.«
Wie schön! Da konnte ich beinahe von Glück sagen, dass ich nicht mehr lange bleiben würde.
Die Antwort auf die Frage, die ich mir vorher gestellt hatte, lautete Nein: Das Gesicht war nicht weniger abstoßend mit einem anderen Wesen dahinter. Denn dieses Wesen war letzten Endes gar nicht so anders.
»Weißt du, warum wir dich nicht mögen?«, fragte sie in jener ersten Nacht, weiterhin die Präsensform verwendend. »Als sie feststellte, dass du Melanie hören kannst, genau wie sie mich, machte ihr das Angst. Sie dachte, du könntest es herausfinden. Ich war ihr großes, dunkles Geheimnis.« Ein raues Lachen. »Es gelang ihr nicht, mich zum Schweigen zu bringen. Deshalb ist sie Sucherin geworden, weil sie hoffte, irgendeinen Weg zu finden, besser mit widerspenstigen Wirten klarzukommen. Und dann beantragte sie, dir zugeteilt zu werden, damit sie sehen konnte, wie du es schaffst. Sie war eifersüchtig auf dich, ist das nicht armselig? Sie wollte so stark sein wie du. Es hat uns ganz schön Genugtuung verschafft, als wir dachten, Melanie hätte die Oberhand gewonnen. Ich vermute allerdings, dass es gar nicht so war. Ich glaube, du hast die Oberhand behalten. Also, warum bist du hergekommen? Warum hilfst du den Rebellen?«
Ich erklärte ihr widerstrebend, dass Melanie und ich Freundinnen waren. Das gefiel ihr nicht.
»Warum?«, wollte sie wissen.
»Sie ist eine liebenswerte Person.«
»Aber warum mag sie dich?« Aus demselben Grund.
»Sie sagt, aus demselben Grund.«
Lacey schnaubte. »Du hast sie einer Gehirnwäsche unterzogen, was?«
Mann, die ist ja noch schlimmer ab die andere.
Allerdings, stimmte ich zu. Ich kann verstehen, warum die Sucherin so nervig war. Kannst du dir vorstellen, das ununterbrochen im Kopf zu haben?
Ich war nicht das Einzige, woran Lacey etwas auszusetzen hatte.
»Habt ihr nicht was Besseres zum Wohnen als diese Höhlen? Hier ist es so wahnsinnig dreckig. Gibt es hier nicht vielleicht irgendwo ein Haus ...? Was soll das heißen, wir müssen uns die Zimmer teilen? Arbeitszeiten? Ich verstehe nicht. Ich muss arbeiten? Ich glaube, du verstehst nicht...«
Jeb hatte am nächsten Tag mit ihr die übliche Führung gemacht und ihr mit zusammengebissenen Zähnen zu erklären versucht, wie wir hier alle lebten. Als sie an mir vorbeikamen - während ich in der Küche mit Ian und Jamie aß -, warf er mir einen Blick zu, der eindeutig fragte, warum ich nicht zugelassen hatte, dass Aaron sie erschoss, solange es noch möglich gewesen war.
Die Führung war besser besucht als meine. Alle wollten das Wunder mit eigenen Augen sehen. Den meisten von ihnen schien es noch nicht einmal etwas auszumachen, dass sie so ... schwierig war. Sie war willkommen. Mehr als willkommen. Wieder verspürt ich ein wenig dieser bitteren Eifersucht. Aber das war albern. Sie war ein Mensch. Sie gab Hoffnung. Sie gehörte hierher. Sie würde noch lange nach mir hier sein.
Du Glückliche, flüsterte Mel sarkastisch.
Mit Ian und Jamie darüber zu sprechen, was passiert war, war nicht so schwierig und schmerzhaft, wie ich erwartet hatte.
Das lag daran, dass sie aus unterschiedlichen Gründen vollkommen ahnungslos waren. Keiner von beiden begriff, dass dieses neue Wissen bedeutete, dass ich sie verlassen würde.