Ich werde ja da sein. Ich werde es selbst machen, genau wie du es tun würdest. Im unwahrscheinlichen Fall, dass du deinen Willen durchsetzt, meine ich.
Danke, Mel.
Ich musste mich zwingen, nicht ständig über die Schulter zur offenen Ladeluke hinüberzusehen, in der der Mann verschwunden war. Ich stellte den Behälter behutsam in den Lastwagen. Es würde nicht auffallen, dass einer unter Hunderten dazugekommen war.
»Leb wohl«, flüsterte ich. »Ich wünsche dir mit deinem nächsten Wirt mehr Glück.«
So langsam, wie ich es ertragen konnte, ging ich zu unserem Wagen zurück.
Niemand sprach, als ich unter dem großen Schiff zurücksetzte. Ich fuhr denselben Weg zurück, den wir gekommen waren, wobei mein Herz klopfte wie verrückt. In den Rückspiegeln konnte ich sehen, dass die Ladeluke leer blieb. Ich sah den Mann nicht wieder auftauchen, bis ich das Schiff aus den Augen verlor.
Ian kletterte auf den Beifahrersitz. »Sah nicht allzu schwierig aus.«
»Wir hatten Glück mit dem Timing. Vielleicht müsst ihr nächstes Mal länger auf eine gute Gelegenheit warten.«
Ian streckte den Arm aus und nahm meine Hand. »Du bringst uns Glück.«
Ich antwortete nicht.
»Fühlst du dich jetzt besser, wo sie in Sicherheit ist?«
»Ja.«
Ich sah, wie er mir abrupt den Kopf zuwandte, als er die unerwartete Lüge aus meiner Stimme heraushörte. Ich blickte ihn nicht an.
»Jetzt lass uns ein paar Heiler holen«, murmelte ich.
Während der kurzen Fahrt zu der kleinen Heileinrichtung war Ian schweigsam und nachdenklich.
Ich hatte gedacht, dass die zweite Aufgabe die Herausforderung, die Gefahr darstellen würde. Der Plan war, dass ich - wenn die Bedingungen und Zahlenverhältnisse stimmten - unter dem Vorwand, einen verletzten Freund im Lieferwagen zu haben, versuchen würde, einen oder zwei Heiler aus der Einrichtung zu locken. Ein alter Trick, der bei den arglosen, vertrauensvollen Heilern aber nur zu gut funktionieren würde.
Es stellte sich jedoch heraus, dass ich nicht einmal hineingehen musste. Als ich auf den Parkplatz fuhr, stiegen gerade zwei Heiler mittleren Alters, ein Mann und eine Frau in lilafarbener OP-Kleidung, in ein Auto. Sie hatten ihre Schicht beendet und waren auf dem Weg nach Hause. Das Auto war vom Eingang aus nicht zu sehen. Sonst war niemand in der Nähe.
Ian nickte nervös.
Ich hielt direkt hinter ihrem Wagen. Sie blickten überrascht auf. Ich öffnete die Tür und glitt hinaus. Meine Stimme war tränenschwer, mein Gesicht voller Schuldgefühle, und das half, ihnen etwas vorzumachen.
»Mein Freund ist hinten drin - ich weiß nicht, was mit ihm los ist.«
Sie reagierten augenblicklich so hilfsbereit, wie ich es erwartet hatte. Ich lief nach hinten, um die Türen für sie zu öffnen, und sie folgten mir dichtauf. Ian ging auf der anderen Seite um den Wagen herum. Jared wartete bereits mit dem Chloroform.
Ich sah nicht hin.
Es dauerte nur Sekunden. Jared hievte die bewusstlosen Körper auf die Ladefläche und Ian knallte die Türen zu. Er warf nur einen kurzen Blick auf mein tränenüberströmtes Gesicht und übernahm dann das Steuer.
Ich saß vorne. Er hielt erneut meine Hand.
»Tut mir leid, Wanda. Ich weiß, dass das hart für dich sein muss.«
»Ja.« Er hatte keine Ahnung, wie hart und aus wie vielen verschiedenen Gründen.
Er drückte meine Finger. »Aber zumindest lief es gut. Du bist ein hervorragender Glücksbringer.«
Zu gut. Beide Missionen waren zu perfekt verlaufen, zu schnell. Das Schicksal hatte es eilig mit mir.
Er fuhr zurück auf den Highway. Nach ein paar Minuten sah ich ein hell erleuchtetes, vertrautes Schild vor uns auftauchen. Ich holte tief Luft und wischte mir die Tränen ab.
»Ian, würdest du mir einen Gefallen tun?« »Was immer du willst.«
»Ich möchte Fast Food.« Er lachte. »Kein Problem.«
Auf dem Parkplatz tauschten wir die Plätze und ich fuhr weiter zum Schalter, an dem man die Bestellung aufgab.
»Was willst du?«, fragte ich Ian.
»Nichts. Mir reicht es, dir dabei zuzusehen, wie du zur Abwechslung was für dich tust. Das dürfte das erste Mal sein.«
Ich lächelte nicht über seinen Witz. Für mich war es eine Art Henkersmahlzeit - das letzte Geschenk für die Verurteilten. Ich würde die Höhlen nie wieder verlassen.
»Jared, wie ist es mit dir?«
»Das Doppelte von allem, was du bestellst.«
Also bestellte ich drei Cheeseburger, drei Portionen Pommes und drei Erdbeershakes.
Nachdem ich das Essen bekommen hatte, tauschten Ian und ich wieder die Plätze, damit ich essen konnte, während er fuhr.
»Igitt«, sagte er, als er sah, wie ich meine Pommes frites in den Milchshake tunkte.
»Probier mal. Das schmeckt gut.« Ich bot ihm eine getunkte Fritte an.
Er zuckte mit den Schultern und nahm sie. Dann steckte er sie in den Mund und kaute. »Interessant.«
Ich lachte. »Melanie findet es auch ekelhaft.« Deshalb hatte ich diese Gewohnheit zu Anfang auch gepflegt. Es war lustig, jetzt daran zurückzudenken, was für Verrenkungen ich gemacht hatte, um sie zu ärgern.
Ich hatte keinen großen Hunger. Ich wollte nur noch einmal ein paar Sachen schmecken, an deren Aromen ich mich besonders erinnerte. Ian aß die restliche Hälfte meines Burgers, als ich satt war.
Die Fahrt nach Hause verlief ohne Zwischenfälle. Wir fanden keine Anzeichen für die Überwachung durch die Sucher. Vielleicht hatten sie sich mit der Zufallstheorie abgefunden. Vielleicht hielten sie es für unvermeidlich ... wenn du lange genug alleine in der Wüste umherspazierst, wird dir früher oder später etwas passieren. Auf dem Nebelplaneten hatten wir ein ähnliches Sprichwort: Wenn du zu viele Eisfelder allein überquerst, endest du als Fressen für die Klauenbestie. So lautete die ungefähre Übersetzung; in Bärensprache klang es besser.
Uns erwartete ein großes Empfangskomitee.
Ich lächelte Trudy, Geoffrey, Heath und Heidi halbherzig an. Meine wahren Freunde wurden immer weniger. Kein Walter mehr, kein Wes. Ich wusste nicht, wo Lily war, das machte mich traurig. Vielleicht wollte ich auf diesem traurigen Planeten mit so viel Tod gar nicht weiterleben. Vielleicht war das Nichts besser.
Es machte mich ebenfalls traurig, so kleinlich es auch war, Lucina neben Lacey stehen zu sehen und Reid und Violetta auf der anderen Seite. Sie unterhielten sich angeregt, stellten Fragen, wie es schien. Lacey hatte Freedom auf dem Arm. Er sah nicht besonders begeistert aus, aber er war so glücklich, am Gespräch der Erwachsenen teilnehmen zu dürfen, dass er sich nicht sträubte.
Mich hatte man nie in die Nähe des Kindes gelassen, aber Lacey war bereits eine von ihnen. Ihr vertrauten sie.
Wir gingen auf direktem Weg zum südlichen Tunnel. Jared und Ian keuchten unter dem Gewicht der Heiler. Ian trug den schwereren, den Mann, und Schweiß strömte ihm übers Gesicht. Jeb scheuchte am Tunneleingang alle anderen weg und folgte uns.
Doc wartete in seinem Krankenflügel auf uns und rieb sich geistesabwesend die Hände, als würde er sie waschen.
Die Zeit lief immer schneller. Doc zündete die hellere Lampe an. Die Heiler bekamen Schmerzlos und wurden bäuchlings auf die Feldbetten gelegt. Jared zeigte Ian, wie man die Tiefkühlbehälter in Gang setzte. Sie hielten sie bereit, wobei Ian vor der Eiseskälte zurückfuhr. Doc beugte sich über die Frau, das Skalpell in der Hand und die Medikamente aufgereiht.