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Ihr Gesicht verzog sich bei meinen Fragen; ihre Augen fixierten Kyle und füllten sich mit Tränen.

»Tut mir leid«, entschuldigte ich mich sofort und sah auf der Suche nach einer Erklärung ebenfalls Kyle an.

Er tätschelte ihren Arm. »Keine Angst. Dir tut keiner was. Ich hab es dir versprochen.«

Ich konnte ihre geflüsterte Antwort kaum verstehen. »Aber es gefällt mir hier. Ich möchte hierbleiben.«

Beim Klang ihrer Worte bekam ich plötzlich einen dicken Kloß im Hals.

»Ich weiß, Sunny. Ich weiß.« Kyle legte seine Hand auf ihren Hinterkopf und zog ihr Gesicht mit einer so zärtlichen Geste, dass mir die Augen brannten, an seine Brust.

Jeb räusperte sich und Sunny zuckte zusammen. Man konnte sich leicht vorstellen, wie angespannt ihre Nerven sein mussten. Seelen waren nicht dafür geschaffen, mit Gewalt und Schrecken umzugehen.

Ich erinnerte mich daran, wie mich Jared vor langer Zeit gefragt hatte, ob ich so war wie andere Seelen. Ich war nicht so, genauso wenig wie meine Sucherin - die andere Seele, mit der sie hier zu tun gehabt hatten. Sunny dagegen schien das Wesen meiner liebevollen, schüchternen Spezies vollauf zu verkörpern; wir waren nur mächtig, wenn viele von uns zusammenkamen.

»Entschuldige, Sunny«, sagte Jeb. »Ich wollte dich nicht erschrecken. Aber vielleicht sollten wir hier besser verschwinden.« Sein Blick schweifte durch die Höhle, an deren Ausgängen ein paar Leute herumlungerten und zu uns herüberschauten. Er starrte Reid und Lucina durchdringend an, die daraufhin in dem Gang verschwanden, der zur Küche führte. »Wahrscheinlich sollten wir zu Doc gehen«, fuhr Jeb seufzend fort und warf der verängstigten kleinen Frau einen wehmütigen Blick zu. Ich nahm an, dass er an die neuen Geschichten dachte, die er verpassen würde.

»Genau«, sagte Kyle. Er hatte seinen Arm fest um Sunnys schmale Taille geschlungen und zog sie mit sich auf den südlichen Tunnel zu.

Ich ging direkt hinter ihm, mit den anderen, die immer noch an mir hingen, im Schlepptau.

Jeb blieb stehen und wir anderen hielten ebenfalls alle an. Er stieß Jamie mit dem Gewehrkolben leicht in die Hüfte.

»Hast du eigentlich keine Schule, Junge?«

»Ach, Onkel Jeb, bitte. Ich will nicht verpassen, wie ...«

»Beweg deinen Hintern in den Unterricht.«

Jamie warf mir einen verletzten Blick zu, aber Jeb hatte völlig Recht. Ich wollte nicht, dass Jamie das zu sehen bekam. Also schüttelte ich den Kopf.

»Könntest du auf dem Weg Trudy herschicken?«, bat ich ihn. »Doc braucht sie.«

Jamies Schultern sackten herab und er ließ meine Hand los. Jareds Finger glitten mein Handgelenk hinunter, um ihren Platz einzunehmen.

»Ich verpasse immer alles«, murrte Jamie, als er in die andere Richtung davonging.

»Danke, Jeb«, flüsterte ich, als Jamie außer Hörweite war. »Schon gut.«

Der lange Tunnel wirkte schwärzer als sonst, da ich die Angst spüren konnte, die die Frau vor mir ausstrahlte.

»Ganz ruhig«, murmelte Kyle. »Nichts und niemand wird dir wehtun und ich bin hier bei dir.«

Ich fragte mich, wer dieser fremde Mann war, der statt Kyle zurückgekommen war. Hatten sie seine Augen überprüft? Ich konnte nicht glauben, dass er die ganze Zeit all diese Liebenswürdigkeit in seinem großen, wütenden Körper mit sich herumgetragen hatte.

Es musste damit zu tun haben, Jodi wiederzuhaben, so nah am Ziel zu sein. Aber obwohl ich wusste, dass dies der Körper seiner Jodi war, war ich überrascht, dass er so viel Freundlichkeit für die Seele darin aufbrachte. Ich hätte nicht gedacht, dass er zu so viel Mitleid fähig wäre.

»Wie geht es der Heilerin?«, fragte mich Jared.

»Sie ist aufgewacht, kurz bevor ich euch suchen gegangen bin«, sagte ich.

Ich hörte mehr als einen erleichterten Seufzer in der Dunkelheit.

»Sie ist allerdings orientierungslos und sehr verängstigt«, warnte ich sie. »Sie kann sich nicht an ihren Namen erinnern. Doc redet mit ihr. Sie wird noch mehr Angst bekommen, wenn sie euch alle sieht ... Versucht, leise zu sein und euch langsam zu bewegen, okay?«

»Ja, ja«, flüsterten die Stimmen in der Dunkelheit.

»Und, Jeb, glaubst du, du könntest dich von deinem Gewehr trennen? Sie hat noch ein bisschen Angst vor Menschen.«

»Äh ... okay«, antwortete Jeb.

»Angst vor Menschen?«, murmelte Kyle.

»Wir sind die Bösen«, erinnerte Ian ihn, wobei er meine Hand drückte.

Ich drückte zurück, froh über seine warme Berührung, den Druck seiner Finger.

Wie viel länger würde ich noch eine warme Hand in meiner spüren können? Wann würde ich zum letzten Mal diesen Tunnel entlanggehen? Oder tat ich es jetzt gerade?

Nein. Noch nicht, flüsterte Mel.

Ich zitterte plötzlich. Ian umfasste meine Hand erneut fester, genau wie Jared.

Wir gingen eine Weile schweigend weiter. »Kyle?«, fragte Sunnys schüchterne Stimme. »Ja?«

»Ich will nicht zurück zu den Bären.« »Das musst du auch nicht. Du kannst auch woandershin.« »Kann ich nicht hierbleiben?« »Nein. Tut mir leid, Sunny.«

Ihre Atmung stockte kurz. Ich war froh, dass es dunkel war; so konnte niemand die Tränen sehen, die mir über das Gesicht zu laufen begannen. Ich hatte keine Hand frei, um sie wegzuwischen, deshalb ließ ich sie auf mein T-Shirt tropfen.

Schließlich erreichten wir das Ende des Tunnels. Sonnenlicht strömte aus dem Eingang des Krankenflügels und beleuchtete die Staubkörner, die durch die Luft tanzten. Ich konnte Doc murmeln hören.

»Das ist sehr gut«, sagte er gerade. »Versuch dich weiter an Einzelheiten zu erinnern. Du kennst deine alte Adresse - dann kann dein Name nicht weit weg sein, hm? Wie fühlt sich das an? Ist das nicht schön?«

»Vorsichtig«, flüsterte ich.

Kyle blieb am Rand des Bogens stehen - Sunny klammerte sich immer noch an ihn - und machte mir ein Zeichen, vorzugehen.

Ich holte tief Luft und ging langsam zu Doc ins Zimmer. Mit leiser, ruhiger Stimme machte ich auf mich aufmerksam. »Hallo.«

Der Wirtskörper der Heilerin zuckte zusammen und stieß einen kleinen Schrei aus.

»Ich bin es nur«, sagte ich beruhigend. »Das ist Wanda«, erinnerte Doc sie.

Die Frau saß jetzt aufrecht und Doc stand neben ihr und hatte eine Hand auf ihren Arm gelegt.

»Das ist die Seele«, flüsterte die Frau Doc ängstlich zu. »Ja, aber sie ist eine Freundin.«

Die Frau beäugte mich zweifelnd.

»Doc? Hier kommen noch ein paar Besucher. Ist das in Ordnung?«

Doc sah auf die Frau hinunter. »Das sind alles Freunde, okay. Noch mehr Menschen, die hier mit mir leben. Keinem von ihnen würde es im Traum einfallen, dir etwas zu tun. Können sie reinkommen?«

Die Frau zögerte, dann nickte sie langsam. »Okay«, flüsterte sie.

»Das ist Ian«, sagte ich und zog ihn vorwärts. »Und das sind Jared und Jeb.« Einer nach dem anderen betraten sie den Raum und stellten sich neben mich. »Und das sind Kyle und ... äh, Sunny.«

Doc machte große Augen, als Kyle mit Sunny an seiner Seite hereinkam.

»Sind es noch mehr?«, flüsterte die Frau.

Doc räusperte sich und versuchte sich wieder zu fassen. »Ja. Hier leben eine Menge Leute. Alles ... na ja, fast alles Menschen«, fügte er hinzu, wobei er Sunny anstarrte.

»Trudy ist hierher unterwegs«, erklärte ich Doc. »Vielleicht könnte Trudy ...«, ich warf Sunny und Kyle einen Blick zu,»... ein Zimmer für ... sie finden, wo sie sich ausruhen kann?«

Doc nickte, die Augen immer noch weit aufgerissen. »Das ist wahrscheinlich eine gute Idee.«

»Wer ist Trudy?«, flüsterte die Frau.

»Sie ist sehr nett. Sie wird sich um dich kümmern.«

»Ist sie ein Mensch oder ist sie so wie die?« Sie nickte in meine Richtung.

»Sie ist ein Mensch.«

Das schien die Frau zu beruhigen.

»Oh«, keuchte Sunny hinter mir.

Ich drehte mich um und sah, wie sie die Tiefkühlbehälter anstarrte, in denen sich die Heiler befanden. Sie standen mitten auf Docs Schreibtisch und ihre Lämpchen leuchteten mattrot. Auf dem Boden vor dem Schreibtisch waren die sieben leeren Behälter unordentlich aufgestapelt.