»Ja. Und dann wartest du dort, bis ich die anderen geholt habe.« »Warum?« Das war verrückt. Wollte er ein Spiel spielen? Um mal wieder die Anspannung zu lösen?
»Weil wir darüber diskutieren werden. Ich berufe eine Ratssitzung ein, Wanderer, und du wirst dich an unseren Beschluss halten.«
Abgeschlossen
Diesmal war es eine kleine Runde, nicht wie damals, als es um Kyles Leben gegangen war. Ian brachte nur Jeb, Doc und Jared mit. Er wusste, ohne dass man es ihm hätte sagen müssen, dass Jamie bei dieser Angelegenheit nichts zu suchen hatte.
Den Abschied von Jamie würde Melanie für mich übernehmen müssen. Das brachte ich nicht über mich, nicht bei ihm. Es war mir egal, ob das feige von mir war. Ich würde es einfach nicht tun.
Nur eine blaue Lampe, ein schwacher Lichtkreis auf dem Steinboden. Wir setzten uns an den Rand des Lichtrings; ich war allein, die vier Männer saßen mir gegenüber. Jeb hatte sogar sein Gewehr mitgebracht - als wäre es ein erichtshammer, der der Sache einen offiziellen Anstrich verleihen könnte.
Der Schwefelgeruch rief mir wieder die schmerzhaften Tage meiner Trauer in Erinnerung; es gab ein paar Erinnerungen, deren Verlust ich nicht bedauern würde, wenn ich nicht mehr da war.
»Wie geht es ihr?«, fragte ich Doc beim Hinsetzen, bevor sie anfangen konnten. Diese Sitzung war Zeitverschwendung und Zeit hatte ich nicht mehr viel. Ich hatte jetzt wichtigere Dinge im Kopf.
»Welcher?«, erwiderte er müde.
Ich starrte ihn ein paar Sekunden lang an, dann bekam ich große Augen. »Sunny ist weg? Jetzt schon?«
»Kyle fand es grausam, sie noch länger leiden zu lassen. Sie war ... unglücklich.«
»Ich wünschte, ich hätte mich von ihr verabschieden können«, murmelte ich vor mich hin. »Und ihr viel Glück wünschen können. Wie geht es Jodi?«
»Sie hat bisher nicht reagiert.« »Und der Körper der Heilerin?«
»Trudy hat sie mitgenommen. Ich glaube, sie wollten ihr was zu essen besorgen. Sie versuchen, einen vorläufigen Namen für sie zu finden, der ihr gefällt, damit wir sie nicht immer der Körper nennen müssen.« Er lächelte trocken.
»Es wird alles in Ordnung kommen mit ihr. Ich bin sicher«, sagte ich und versuchte selbst daran zu glauben. »Und mit Jodi auch. Es wird alles gut.«
Niemand hinterfragte meine Lügen. Sie wussten, dass ich mich vor allem selbst davon zu überzeugen versuchte.
Doc seufzte. »Ich will Jodi nicht allzu lange allein lassen. Falls sie irgendwas braucht.«
»Richtig«, pflichtete ich ihm bei. »Bringen wir es hinter uns.« Je schneller, desto besser. Denn es spielte keine Rolle, was hier entschieden wurde; Doc hatte sich mit meinen Bedingungen einverstanden erklärt. Und trotzdem hoffte ein dummer Teil von mir ... hoffte, dass es eine Möglichkeit gab, alle Probleme zu lösen, so dass ich bei Ian bleiben konnte und Mel bei Jared, ohne dass irgendjemand auch nur im Geringsten leiden musste. Es war das Beste, diese unsinnige Hoffnung schnell zunichtezumachen.
»Okay«, sagte Jeb. »Wanda, was ist deine Position?«
»Ich gebe Melanie zurück.« Entschlossen, kurz - kein Grund, etwas dagegen einzuwenden.
»Und deine, Ian?«
»Wir brauchen Wanda hier.«
Entschlossen, kurz - er machte es mir nach.
Jeb nickte vor sich hin. »Das ist ganz schon knifflig. Wanda warum sollte ich mich auf deine Seite schlagen?«
»Wenn du an ihrer Stelle wärst, würdest du deinen Körper zurückwollen. Das kannst du Melanie nicht verwehren.«
»Ian?«, fragte Jeb.
»Wir müssen das große Ganze im Auge behalten. Wanda hat hier für mehr Gesundheit und Sicherheit gesorgt, als wir je hatten. Sie ist unerlässlich für das Überleben unserer Gemeinschaft - das der gesamten menschlichen Spezies. Eine
Einzelperson darf dem nicht im Wege stehen.«
Er hat Recht.
Dich hat keiner gefragt.
Jared meldete sich zu Wort. »Wanda, was sagt Mel dazu?«
Ha, sagte Mel.
Ich blickte Jared in die Augen und etwas überaus Seltsames geschah. Das ganze Verschmelzen und Zusammenschweißen, das ich gerade durchlebt hatte, wurde beiseite gewischt - in einen winzigen Teil meines Körpers, die kleine Ecke, die ich physisch belegte. Der Rest von mir sehnte sich nach Jared, mit demselben verzweifelten, fast schon wahnsinnigen Verlangen, das ich verspürte, seit ich ihm hier zum ersten Mal begegnet war. Dieser Körper gehörte weder mir noch Melanie - er gehörte ihm.
Hier drin war wirklich nicht genug Platz für uns zwei. »Melanie will ihren Körper zurückhaben. Sie will ihr eigenes Leben zurück.«
Du lügst. Sag ihnen die Wahrheit. Nein.
»Du lügst«, sagte Ian. »Ich sehe doch, dass du mit ihr streitest. Ich bin sicher, dass sie mit mir einer Meinung ist. Sie ist ein guter Mensch. Sie weiß, wie sehr wir dich brauchen.«
»Mel weiß alles, was ich weiß. Sie wird euch helfen können. Und der Wirtskörper der Heilerin auch. Sie weiß mehr, als ich je gewusst habe. Ihr werdet klarkommen. Ihr seid auch klargekommen, bevor ich hier aufgetaucht bin. Ihr werdet
überleben, genau wie früher.«
Jeb seufzte und runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht, Wanda.
Ians Argument ist schon sehr überzeugend.«
Ich warf dem alten Mann einen finsteren Blick zu und sah, dass Jared das Gleiche tat. Ich zog mich aus diesem Kräftemessen zurück, um auch Doc grimmig anzufunkeln.
Unsere Blicke begegneten sich und sein Gesicht verzog sich schmerzlich. Er verstand, woran ich ihn erinnerte. Er hatte mir sein Wort gegeben. Diese Ratssitzung änderte daran nichts.
Ian beobachtete Jared - er nahm unseren schweigenden Blickwechsel nicht wahr.
»Jeb«, protestierte Jared. »Es gibt nur eine mögliche Entscheidung hier. Das weißt du auch.«
»Ist das so, Junge? Ich habe eher den Eindruck, es gibt ein ganzes Fass davon.«
»Das ist Melanies Körper!« »Und Wandas.«
Jared blieb die Antwort im Hals stecken und er musste noch mal neu ansetzen. »Du kannst Mel nicht da drin gefangen lassen - das wäre das Gleiche wie Mord, Jeb.«
Ian beugte sich in den Lichtkreis vor, sein Gesicht war plötzlich wieder wütend. »Und was bitte tust du Wanda damit an, Jared? Und uns anderen, wenn du sie uns wegnimmst?«
»Die anderen sind dir doch scheißegal! Du willst Wanda doch bloß auf Melanies Kosten für dich behalten - alles andere interessiert dich doch gar nicht.«
»Und du willst Melanie auf Wandas Kosten für dich behalten - alles andere interessiert dich nicht! Und weil wir da eine Pattsituation haben, geht es darum, was das Beste für alle anderen ist.«
»Nein! Es geht darum, was Melanie will! Es ist ihr Körper!« Sie hatten beide wütend die Fäuste geballt und sich halb aufgerichtet.
»Immer mit der Ruhe, Jungs! Immer mit der Ruhe«, befahl Jeb. »Das hier ist eine Ratssitzung und wir werden ruhig bleiben und nicht den Kopf verlieren. Wir müssen beide Seiten durchdenken.«
»Jeb ...«, setzte Jared an.
»Sei still.« Jeb kaute eine ganze Weile an seiner Unterlippe herum. »Okay, jetzt kommt meine Sicht der Dinge. Wanda hat Recht ...«
Ian sprang auf.
»Ganz ruhig! Setz dich wieder hin und lass mich ausreden.« Jeb wartete, bis Ian sich wieder hingesetzt hatte.
»Wanda hat Recht«, sagte Jeb. »Mel muss ihren Körper zurückbekommen. Aber«, fügte er schnell hinzu, als Ian sich wieder anspannte, »aber mit dem Rest bin ich nicht einverstanden, Wanda. Ich glaube, dass wir dich ziemlich dringend brauchen. Da draußen sind Sucher, die hinter uns her sind, und du kannst mit ihnen reden. Wir anderen können das nicht. Du rettest Leben. Ich muss das Wohlergehen meiner Leute im Blick behalten.«