»Also beschaffen wir ihr einen anderen Körper«, knurrte Jared. »Das ist ja wohl klar.«
Doc hob sein sorgenzerfurchtes Gesicht. Jebs weiße, raupenartige Augenbrauen berührten seinen Haaransatz. Ian bekam große Augen und kräuselte die Lippen. Er sah mich nachdenklich an ...
»Nein! Nein!« Ich schüttelte energisch den Kopf.
»Warum nicht, Wanda?«, fragte Jeb. »Für mich hört sich das nach keiner schlechten Idee an.«
Ich schluckte und holte tief Luft, damit meine Stimme nicht überschnappte. »Jeb. Hör mir gut zu, Jeb. Ich bin es leid, ein Parasit zu sein. Verstehst du? Glaubst du, ich will in einen anderen Körper eingesetzt werden und wieder von vorne anfangen? Muss ich mich ewig schuldig fühlen, weil ich jemandem sein Leben wegnehme? Muss ich damit leben, dass mich jemand hasst? Ich bin ja kaum noch eine Seele - ich mag euch brutale Menschen viel zu sehr. Es ist nicht richtig, dass ich hier bin, und ich finde es furchtbar, dieses Gefühl zu haben.«
Ich holte erneut Luft und sprach durch die Tränen hindurch, die mir über das Gesicht liefen. »Und was, wenn sich die Dinge verändern? Was, wenn ihr mich in jemand anderen einsetzt, ein anderes Leben stehlt und es schiefgeht? Was, wenn es diesen Körper zu einer anderen Liebe zieht, zurück zu den Seelen? Was, wenn ihr mir nicht mehr vertrauen könnt? Was, wenn ich euch dann verrate? Ich will euch nicht verletzen!«
Der erste Teil war die reine und ungeschminkte Wahrheit, aber der zweite Teil waren wilde Lügengespinste. Ich hoffte, sie hörten das nicht. Es war ganz hilfreich, dass die Worte kaum mehr zu verstehen waren, nachdem ich angefangen hatte zu schluchzen. Ich würde sie niemals verletzen. Was hier mit mir passiert war, würde sich nie wieder verändern, war zu einem Teil der winzigsten Atome, aus denen mein kleiner Körper bestand, geworden. Aber wenn ich ihnen einen Grund lieferte, Angst vor mir zu haben, würden sie vielleicht das Unausweichliche leichter akzeptieren.
Und ausnahmsweise hatte ich mit meinen Lügen Erfolg. Ich sah den besorgten Blick, den Jared und Jeb wechselten. Daran hatten sie nicht gedacht - dass ich unzuverlässig werden konnte, eine Gefahr. Ian rutschte bereits näher, um mich in den Arm zu nehmen. Er trocknete meine Tränen an seiner Brust.
»Schon gut, Liebes. Du musst niemand anders werden. Nichts wird sich ändern.«
»Warte mal, Wanda«, sagte Jeb und seine gewitzten Augen durchbohrten mich plötzlich. »Was nützt es dir eigentlich, auf einen anderen Planeten zu fliegen? Auch da wirst du weiter ein Parasit sein.«
Ian fuhr bei dem unfreundlichen Wort zusammen.
Und ich zuckte ebenfalls zusammen, weil Jeb mich wie immer zu gut durchschaute.
Sie warteten auf meine Antwort, alle außer Doc, der die wahre Antwort kannte. Die, die ich nicht geben würde.
Ich versuchte, nur Wahres zu sagen. »Auf anderen Planeten ist das etwas anderes, Jeb. Da gibt es keinerlei Widerstand ... Und die Wirte selbst sind auch anders. Sie sind nicht so ausgeprägte Individuen wie die Menschen, ihre Emotionen sind so viel gemäßigter. Es fühlt sich nicht so an, als würde man jemandem sein Leben wegnehmen. Nicht so wie hier. Niemand wird mich hassen. Und ich bin zu weit weg, um euch zu schaden, ihr seid sicherer ...«
Der letzte Teil klang zu sehr nach der Lüge, die es war, so dass ich abbrach.
Jeb sah mich mit zusammengekniffenen Augen an und ich wandte den Blick ab.
Ich versuchte Doc nicht anzuschauen, aber einen kurzen Blick konnte ich mir nicht verkneifen, um sicherzugehen, dass er verstanden hatte. Er sah mich mit traurigen Augen durchdringend an und ich war sicher, dass dem so war.
Als ich schnell meinen Blick senkte, sah ich, dass Jared Doc ebenfalls anstarrte. Hatte er unsere stumme Kommunikation bemerkt?
Jeb seufzte. »Schöne Scheiße.« Er schnitt eine Grimasse, als er einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden versuchte.
»Jeb ...«, sagten Ian und Jared gleichzeitig. Sie hielten beide inne und funkelten sich böse an.
Das war alles Zeitverschwendung und mir blieben nur noch ein paar Stunden. Nur noch ein paar wenige Stunden, das war mir jetzt klar.
»Jeb«, sagte ich sanft und meine Stimme war über dem Rauschen der Quelle kaum zu hören. Alle sahen mich an. »Ihr müsst es ja nicht jetzt sofort entscheiden. Doc muss nach Jodi sehen und ich würde sie auch gern besuchen. Außerdem habe ich heute den ganzen Tag noch nichts gegessen. Warum schlaft ihr nicht noch mal drüber? Wir können morgen weiterreden. Wir haben noch genug Zeit, darüber nachzudenken.«
Lügen. Merkten sie es?
»Das ist eine gute Idee, Wanda. Ich denke, wir alle hier könnten eine Verschnaufpause gebrauchen. Geh dir was zu essen holen und wir überschlafen die Sache noch mal.«
Ich achtete sorgfältig darauf, Doc nicht anzugucken, selbst als ich jetzt mit ihm sprach.
»Nach dem Essen komme ich vorbei, um dir mit Jodi zu helfen, Doc. Bis dann.«
»Okay«, sagte Doc misstrauisch.
Warum konnte er seiner Stimme keinen beiläufigen Klang geben? Er war doch ein Mensch - er müsste eigentlich ein guter Lügner sein.
»Hunger?«, murmelte Ian und ich nickte. Ich ließ mir von ihm aufhelfen. Er griff nach meiner Hand und ich wusste, dass er mich von jetzt an immer gut festhalten würde. Das beunruhigte mich nicht. Er schlief sehr tief, genau wie Jamie.
Als wir den dunklen Raum verließen, spürte ich deutlich die Augen, die auf meinen Rücken gerichtet waren, aber ich war mir nicht sicher, zu wem sie gehörten.
Es gab noch ein paar Dinge zu erledigen. Drei, um genau zu sein. Drei letzte Angelegenheiten, die ich noch abschließen wollte.
Als Erstes aß ich.
Es wäre nicht sehr nett gewesen, Melanie einen hungrigen Körper zu hinterlassen. Außerdem war das Essen besser geworden, seit ich auf Beutetour ging. Etwas, auf das man sich freuen konnte, anstatt es einfach zu ertragen.
Ich schickte Ian etwas zu essen holen, während ich mich in dem Feld versteckte, in dem jetzt halbhohe Weizenhalme den Mais ersetzten. Ich sagte Ian die Wahrheit, damit er mir half: Ich wollte Jamie aus dem Weg gehen. Ich wollte nicht, dass Jamie diese Entscheidung mitbekam. Es wäre schwieriger für ihn als für Jared oder Ian - sie standen beide ganz klar auf einer Seite. Jamie liebte uns beide; es würde ihn zerreißen.
Ian diskutierte nicht mit mir. Wir aßen schweigend, sein Arm fest um meine Taille geschlungen.
Als Zweites ging ich nach Sunny und Jodi sehen.
Ich hatte erwartet, drei leuchtende Tiefkühlbehälter auf Docs Schreibtisch stehen zu sehen, und war überrascht, als dort in der Mitte weiterhin nur die beiden Heiler standen. Doc und Kyle beugten sich über das Feldbett, auf dem die reglose Jodi lag. Ich eilte zu ihnen hinüber, kurz davor, nach Sunnys Verbleib zu fragen, aber als ich näher kam, sah ich, dass Kyle einen belegten Tiefkühlbehälter im Arm hielt.
»Geh da bloß vorsichtig mit um«, murmelte ich.
Doc hatte Jodis Handgelenk umfasst und zählte leise ihren Puls. Er kniff die Lippen zusammen, als er meine Stimme hörte, und musste wieder von vorn anfangen.
»Ja, das hat Doc auch schon gesagt«, sagte Kyle, ohne Jodis Gesicht aus den Augen zu lassen. Auf beiden Seiten unter seinen Augen bildeten sich dunkle blaue Flecken. War seine Nase wieder gebrochen? »Ich bin vorsichtig. Ich ... wollte sie einfach nicht allein da stehenlassen. Sie war so traurig und so ... süß.«
»Ich bin sicher, sie würde sich darüber freuen, wenn sie es wüsste.«
Er nickte, wobei er immer noch Jodi anstarrte. »Gibt es irgendwas, das ich tun sollte? Kann ich irgendwie helfen?«
»Sprich mit ihr, sag ihren Namen, rede über Sachen, an die sie sich erinnern kann. Vielleicht sogar über Sunny. Das hat beim Wirtskörper der Heilerin auch funktioniert.«
»Bei Mandy«, verbesserte mich Doc. »Sie sagt, das ist zwar noch nicht der richtige Name, aber nah dran.«
»Mandy«, wiederholte ich. Nicht, dass ich den Namen hätte behalten müssen. »Wo ist sie?«
»Bei Trudy - das war eine gute Idee. Trudy ist genau die Richtige dafür. Ich glaube, sie hat sie dazu gebracht, ein bisschen zu schlafen.«