»Das ist nicht dein Ernst!«, rief ich laut. Sei still!
»Wie bitte?«, fragte ein kleiner, gebückter Mann, der andere Kunde, vom Ende des Gangs.
»Äh ... nichts«, murmelte ich, wobei ich seinem Blick auswich.
»Das hier ist schwerer, als ich erwartet hatte.«
»Soll ich Ihnen helfen?«, bot er an.
»Nein, nein«, antwortete ich hastig. »Ich nehme einfach ein Kleineres.«
Er wandte sich wieder der Auswahl an Kartoffelchips zu. Nein, tust du nicht, sagte Melanie eindringlich. Ich habe schon schwerere Lasten getragen. Du hast uns total verweichlichen lassen, Wanderer, fügte sie anklagend hinzu.
Entschuldigung, antwortete ich geistesabwesend. Die Tatsache, dass sie zum ersten Mal meinen Namen benutzt hatte, verwirrte mich.
Geh zum Hochheben in die Knie.
Ich mühte mich mit dem Flaschenpaket ab und fragte mich, wie weit ich es wohl würde tragen müssen. Immerhin schaffte ich es damit bis zur Kasse. Erleichtert schob ich das schwere Ding auf die Theke. Ich legte den Rucksack auf die Flaschen und nahm dann noch eine Schachtel Müsliriegel, eine Packung Donuts und eine Tüte Chips aus dem nächsten Regal.
Wasser ist in der Wüste viel wichtiger als Essen und wir können nur so viel mitnehmen, wie ...
Ich habe Hunger, unterbrach ich sie. Und das hier wiegt nicht viel. Ist schließlich dein Rücken, sagte sie widerstrebend und befahl dann: Hol eine Landkarte.
Ich legte die, die sie haben wollte - eine topographische Karte der Region -, zu den anderen Sachen auf die Theke. Sie war nichts weiter als ein Teil ihres Ablenkungsmanövers.
Der Kassierer, ein weißhaariger Mann mit einem Lächeln auf den Lippen, scannte die Barcodes ein.
»Kleine Treckingtour geplant?«, fragte er freundlich.
»Der Berg ist wunderschön.«
»Der Anfang des Wanderweges ist gleich da drüben ...«, sagte er und hob den Arm.
»Ich werde es bestimmt finden«, versicherte ich schnell und zog die schwere, unhandliche Last wieder von der Theke.
»Und steig wieder ab, bevor es dunkel wird, Mädchen. Damit du nicht verlorengehst.«
»Mach ich.«
Melanie bedachte den freundlichen alten Mann mit teuflischen Gedanken.
Er war nett. Und ernsthaft an meinem Wohlergehen interessiert, tadelte ich sie.
Ihr seid alle so gruselig, sagte sie bissig. Hat euch nie jemand gesagt, dass man nicht mit Fremden spricht?
Schuldgefühle durchzuckten mich, als ich antwortete. Es gibt keine Fremden unter uns.
Ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen, nichts bezahlen zu müssen, sagte sie und wechselte damit das Thema. Wieso werden die Sachen dann überhaupt eingescannt?
Warenwirtschaft natürlich. Soll er sich für die nächste Nachbestellung etwa alles merken, was wir mitnehmen? Im Übrigen, wozu braucht man Geld, wenn alle absolut ehrlich sind? Ich schwieg einen Moment, als das Schuldgefühl so stark wurde, dass es richtiggehend schmerzte. Alle außer mir natürlich.
Melanie wich vor meinen Gefühlen zurück, erschrocken darü- ber, dass sie so stark waren, und voller Angst, dass ich meine Meinung vielleicht doch noch ändern könnte. Stattdessen konzentrierte sie sich auf ihren leidenschaftlichen Drang, hier wegzukommen, sich auf den Weg zu ihrem Ziel zu machen. Ihr Verlangen färbte auf mich ab und ich ging schneller.
Ich trug das Wasser zum Auto und stellte es neben der Beifahrertür auf die Erde.
»Kommen Sie, ich helfe Ihnen.«
Ich fuhr hoch und sah den Mann aus dem Laden mit einer Plastiktüte in der Hand neben mir stehen.
»Äh ... danke«, brachte ich schließlich heraus, während mir das Blut in den Ohren pulsierte.
Wir warteten, während er unseren Einkauf in den Wagen hob. Melanie war dabei so angespannt, als wollte sie gleich losrennen.
Es gibt keinen Grund, sich zu fürchten. Auch der ist einfach nur nett.
Sie sah ihn weiterhin misstrauisch an.
»Danke«, sagte ich noch einmal, als er die Tür zuwarf. »Gern geschehen.«
Ohne sich noch einmal zu uns umzudrehen, ging er zu seinem eigenen Auto hinüber. Ich stieg ein und schnappte mir die Tüte mit den Kartoffelchips.
Guck auf die Landkarte, sagte sie. Warte, bis er außer Sichtweite ist.
Niemand beobachtet uns, versicherte ich ihr. Aber trotzdem faltete ich seufzend die Karte auseinander und aß mit einer Hand. Es konnte nicht schaden, eine Vorstellung davon zu bekommen, wo wir waren.
Wo wollen wir überhaupt hin?, fragte ich sie. Wir haben den Ausgangspunkt entdeckt, und jetzt?