Sieh dich um, befahl sie. Wenn wir es von hier aus nicht sehen können, versuchen wir es südlich des Berges.
Was sehen können?
Sie zeigte mir das Bild aus ihrer Erinnerung: eine ausgefranste Zickzacklinie, vier enge Serpentinen, der fünfte Scheitelpunkt leicht stumpf, als wäre die Spitze abgebrochen. Jetzt erkannte ich es als das, was es war: eine ausgefranste Bergkette mit vier spitzen Gipfeln und einem fünften, der aussah, als wäre ein Stück abgebrochen ...
Ich ließ meinen Blick von Osten nach Westen über den Horizont schweifen. Es war so eindeutig, dass ich dachte, ich müsste es mir einbilden, als hätte ich mir das Bild ausgedacht, nachdem ich den Gebirgszug gesehen hatte, der sich im Nordosten vor dem Horizont abzeichnete.
Das ist es, jauchzte Melanie geradezu vor lauter Aufregung. Na, dann los! Sie wollte, dass ich aus dem Auto stieg und zu Fuß weiterging.
Ich schüttelte den Kopf und beugte mich wieder über die Karte. Die Bergkette war so weit entfernt, dass ich nicht abschätzen konnte, wie viele Kilometer es waren. Es kam überhaupt nicht in Frage, dass ich von diesem Parkplatz in die verlassene Wüste spazierte, wenn es sich vermeiden ließ.
Lass uns vernünftig an die Sache rangehen, schlug ich vor und fuhr mit dem Finger ein dünnes Band entlang, eine namenlose Straße, die ein paar Kilometer östlich von uns vom Highway abzweigte und dann ungefähr in Richtung des Gebirgszugs weiterführte.
Okay, stimmte sie gönnerhaft zu. Je schneller, desto besser.
Wir fanden die Straße ohne Probleme, es war nur eine blasse Spur aus plattgefahrenem Staub zwischen spärlichem Buschwerk, kaum breit genug für ein Auto. Ich hatte das Gefühl, dass sie in einer anderen Gegend schon längst überwuchert wäre, ungenutzt, wie sie war - an einem Ort mit einer etwas üppigeren Vegetation, nicht wie hier, wo die Wüstenpflanzen Jahrzehnte brauchten, um sich von einer solchen Störung zu erholen. Die Einfahrt wurde von einer rostigen Kette versperrt, die auf der einen Seite in einem Holzpfosten verankert, auf der anderen aber nur lose um den zweiten Pfosten geschlungen war. Ich beeilte mich, als ich die Kette losmachte, am Fuß des ersten Pfostens auftürmte und dann schnell zum Auto zurückging, das mit laufendem Motor wartete. Ich hoffte, es würde niemand vorbeikommen und mir Hilfe anbieten. Der Highway blieb leer, als ich auf die Staubpiste einbog und dann zurücklief, um die Kette wieder zu befestigen.
Wir atmeten beide auf, als die Straße hinter uns verschwand. Ich war einfach froh, dass es jetzt niemanden mehr gab, den ich anlügen musste, sei es mit Worten oder schweigend. Allein fühlte ich mich nicht so sehr als Abtrünnige.
Melanie fühlte sich hier mitten im Nichts voll und ganz zu Hause. Sie kannte die Namen all der stacheligen Pflanzen um uns herum. Sie summte die Worte vor sich hin und begrüßte sie wie alte Freunde.
Kreosot, Ocotillo, Cholla, Feigenkaktus, Mesquite ...
Abseits des Highways, des Sinnbilds der Zivilisation, schien die Wüste ein ganz neues Leben für sie zu verkörpern. Obwohl sie die Geschwindigkeit des hüpfenden Autos zu schätzen wusste -bei jedem Schlagloch erinnerten mich die Stöße daran, dass unser Wagen nicht den nötigen Bodenabstand für diesen Abstecher hatte -, brannte sie darauf, auf den Beinen zu sein und durch die Sicherheit der glühenden Wüste zu laufen.
Wir würden wahrscheinlich wirklich zu Fuß gehen müssen und für meinen Geschmack schon viel zu bald, aber ich bezweifelte, dass es sie zufriedenstellen würde, wenn es so weit war. Ich konnte ihr wahres Verlangen dahinter spüren: Freiheit. Ihren Körper im vertrauten Rhythmus ihrer langen Schritte zu bewegen, nur von ihrem eigenen Willen angetrieben. Einen Moment lang ließ ich den Gedanken daran zu, was für ein Gefängnis ein Leben ohne Körper war. Herumgetragen zu werden, ohne Einfluss auf die Hülle um einen herum zu haben. Gefangen. Ohne jede Wahl.
Ich schauderte und konzentrierte mich wieder auf die holprige Straße; versuchte, die Mischung aus Mitleid und Entsetzen abzuwehren. Kein anderer Wirt hatte in mir solche Schuldgefühle hervorgerufen für das, was ich war. Allerdings war von den anderen auch keiner dageblieben, um sich über die Situation zu beklagen.
Die Sonne war kurz davor, hinter den Berggipfeln im Westen zu verschwinden, als wir unsere erste Meinungsverschiedenheit hatten. Die langen Schatten malten seltsame Muster auf den Weg und machten es mir schwer, den Steinbrocken und Kratern auszuweichen.
Da ist es!, jubelte Melanie, als wir die nächste Felsformation weiter im Osten erblickten: eine sanfte Welle, die unvermittelt von einem Ausläufer unterbrochen wurde, der sich wie ein langer, dünner Finger in den Himmel streckte.
Sie war dafür, sofort ins Gebüsch abzubiegen, unabhängig davon, wie das dem Auto bekam.
Vielleicht müssen wir erst den ganzen Weg bis zur ersten Wegmarkierung fahren, bemerkte ich. Die kleine staubige Straße schlängelte sich weiterhin mehr oder weniger in die richtige Richtung und ich hatte Angst, sie zu verlassen. Wie würde ich sonst meinen Weg zurück in die Zivilisation finden? Oder würde ich gar nicht zurückkehren?
In genau diesem Moment, als die Sonne im Westen auf die dunkle, gezackte Linie des Horizonts stieß, dachte ich an die Su- cherin. Was würde sie tun, wenn ich nicht kam? Ein plötzliches Glücksgefühl ließ mich laut auflachen. Auch Melanie gefiel die Vorstellung, wie wütend die Sucherin sein würde. Wie lange würde sie für den Rückweg nach San Diego brauchen, um nachzusehen, ob alles nur eine List gewesen war, um sie loszuwerden? Und was würde sie dann unternehmen, wenn sie bemerkte, dass ich nicht dort war? Dass ich nirgendwo war?
Ich konnte mir nur nicht so genau vorstellen, wo ich zu diesem Zeitpunkt sein würde.
Da, ein ausgetrockneter Wasserlauf. Der ist breit genug für das Auto, lass uns da langfahren, beharrte sie.
Ich bin mir nicht sicher, ob wir wirklich jetzt schon in diese Richtung müssen.
Es wird bald dunkel und dann können wir nicht mehr weiterfahren. Du verschwendest unsere Zeit! Sie war so verbittert, dass sie mich lautlos anbrüllte.