Den Nachmittag über vertilgte ich einen Müsliriegel nach dem anderen und merkte erst, als es zu spät war, dass ich gerade den letzten aufgegessen hatte.
Als die Sonne unterging, wurde es genauso schnell Nacht wie am Tag zuvor. Melanie war vorbereitet und hatte schon eine Stelle ausgesucht, wo wir bleiben konnten.
Hier, sagte sie. Leg dich so weit wie möglich von der Cholla weg. Du wälzt dich im Schlaf hin und her.
Im Dämmerlicht betrachtete ich den flauschig wirkenden Kaktus, der so dicht von elfenbeinfarbenen Stacheln bedeckt war, dass sie aussahen wie Fell, und schauderte. Ich soll einfach auf dem Boden schlafen? Hier?
Hast du eine bessere Idee? Sie spürte meine Angst und ihr Ton wurde sanfter, als hätte sie Mitleid mit mir. Na, komm - besser als das Auto. Zumindest ist es flach. Es ist so heiß, dass kein Ungeziefer von deiner Körperwärme angezogen wird, und ...
»Ungeziefer?«, fragte ich laut. »Ungeziefer?« Ganz kurz tauchten äußerst unangenehme Bilder von giftig aussehenden Insekten und zusammengerollten Schlangen in ihrer Erinnerung auf.
Keine Sorge, versuchte sie mich zu beruhigen, als ich mich auf die Zehenspitzen stellte, um mich vor allem in Sicherheit zu bringen, was sich vielleicht im Sand da unten versteckte, während meine Augen die Schwärze nach irgendeinem Ausweg absuchten. Dich wird nichts belästigen, was du nicht zuerst belästigst. Du bist schließlich das größte Lebewesen hier.
Wieder blitzte eine Erinnerung auf, dies mal an einen mittelgroßen, hundeartigen Aasfresser, einen Kojoten.
»Na prima«, stöhnte ich und kauerte mich zusammen, um mich so klein wie möglich zu machen, obwohl ich immer noch Angst vor dem schwarzen Boden unter mir hatte. »Von wilden Hunden getötet. Wer hätte gedacht, dass es so ... trivial enden würde? Wie unspektakulär. Die Klauenbestie auf dem Nebelplaneten, okay. Von der zerrissen zu werden, hätte wenigstens eine gewisse Würde gehabt.«
Melanie antwortete mir in einem Tonfall, der sich anhörte, als würde sie die Augen verdrehen. Stell dich nicht so an. Niemand wird dich fressen. Jetzt leg dich hin und ruh dich aus. Morgen wird es noch an-strengender als heute.
»Danke für die guten Nachrichten«, murrte ich. Sie entpuppte sich als ein richtiger Tyrann. Ich musste an das menschliche Sprichwort denken, Reich ihr den kleinen Finger und sie nimmt gleich die ganze Hand. Aber ich war erschöpfter, als ich gedacht hatte, und so-bald ich mich widerwillig auf dem Boden niederließ, konnte ich nicht anders, als in den harten, steinigen Dreck zu sinken und die Augen zu schließen.
Es kam mir so vor, als seien nur Minuten vergangen, als der Morgen dämmerte - grell und bereits jetzt heiß genug, um mich zum Schwitzen zu bringen. Ich wachte dreckverkrustet und mit Steinchen übersät auf; mein rechter Arm war unter meinem Körper eingeklemmt und eingeschlafen. Ich schüttelte ihn, um das Kribbeln zu vertreiben, und griff dann nach dem Rucksack mit dem Wasser.
Melanie war dagegen, aber ich ignorierte sie. Ich suchte nach der halbleeren Flasche, aus der ich zuletzt getrunken hatte, und durchwühlte dabei die vollen und die leeren, bis mir etwas auffiel.
Ich wurde nervös, als ich zu zählen begann. Ich zählte zweimal. Es waren zwei leere Flaschen mehr als volle. Ich hatte schon über die Hälfte meines Wasservorrats aufgebraucht.
Ich hab dir doch gesagt, dass du zu viel trinkst.
Ich antwortete ihr nicht, aber ich setzte den Rucksack auf, ohne einen Schluck zu nehmen. Mein Mund fühlte sich furchtbar an - trocken und sandig - und schmeckte nach Galle. Ich versuchte es zu ignorieren - versuchte damit aufzuhören, mit meiner Schmirgelpapier-Zunge über meine sandigen Zähne zu fahren - und ging los.
Mein Magen war schwerer zu ignorieren als mein Mund, als die Sonne über mir höher stieg und immer heißer wurde. Er knurrte und zog sich regelmäßig zusammen in der Erwartung von Mahlzeiten, die nicht kamen. Am Nachmittag war das Hungergefühl nicht mehr nur unangenehm, sondern richtiggehend schmerzhaft.
Das ist noch gar nichts, erinnerte mich Melanie herablassend.
Es ging uns schon schlechter.
Dir vielleicht, gab ich zurück. Ich war nicht in der Stimmung, mir ihre Durchhalte-Erinnerungen anzuhören.
Ich war kurz vorm Verzweifeln, da kam die Erlösung. Als ich mit einer routinierten, halbherzigen Kopfbewegung den Horizont absuchte, stach mir plötzlich die zwiebelförmige Kuppel inmitten einer im Norden gelegenen Reihe kleinerer Gipfel ins Auge. Das fehlende Stück war von hier aus gesehen nur eine kleine Einkerbung.
Ähnlich genug, beschloss Melanie, die darüber, dass wir auf dem richtigen Weg waren, genauso aufgeregt war wie ich. Voller Elan bog ich Richtung Norden ab und schritt weit aus. Halt die Augen auf nach der nächsten Wegmarkierung. Sie erinnerte sich für mich wieder an eine Formation und ich begann sofort, Ausschau zu halten, obwohl ich wusste, dass das so früh noch keinen Zweck hatte.
Sie würde im Osten liegen. Norden und dann Osten und dann wieder Norden. Das war das Muster.