Sie dachte über den Gedanken nach. Du hast Recht, sie würden uns sofort töten. Natürlich.
Ich versuchte zu schlucken, den Geschmack der Angst aus meinem trockenen Mund zu vertreiben.
Da ist schon niemand anders. Wie auch? Deine Leute sind viel zu gründlich, argumentierte sie. Nur jemand, der schon vorher versteckt gelebt hat, hätte eine Chance gehabt. Also lass uns nachgucken gehen - du bist dir sicher, dass hier keiner von deinen Leuten ist, und ich bin mir sicher, hier ist keiner von meinen. Vielleicht finden wir irgendwas Nützliches, irgendwas, das wir als Waffe verwenden können.
Ich schauderte bei ihren Gedanken an scharfe Messer und lange Metallwerkzeuge, die als Knüppel dienen konnten. Keine Waffen.
Oh, Mann. Wie ist es nur möglich, dass uns solche rückgratlosen Wesen besiegen konnten?
Durch Geheimhaltung und Überzahl. Jeder von euch, sogar eure Jungen, sind hundertmal gefährlicher als einer von uns. Aber ihr seid der nur eine Termite in einem Ameisenhaufen. Wir sind Millionen, die alle harmonisch Hand in Hand arbeiten, um unser Ziel zu erreichen.
Als ich diese Verbundenheit beschrieb, verspürte ich erneut lähmende Angst und Verwirrung. Wer war ich?
Wir blieben in der Nähe der Kreosotbüsche, als wir uns dem kleinen Bauwerk näherten. Es war ein Haus, nur eine kleine Hütte neben der Straße, ohne den geringsten Hinweis darauf, wozu sie diente. Auch der Grund, warum sie ausgerechnet hier stand, blieb uns verborgen - dieser Ort hatte nichts weiter zu bieten als Leere und Hitze.
Es gab keine Anzeichen dafür, dass die Hütte in letzter Zeit bewohnt gewesen war. Die Tür fehlte, so dass der Türrahmen freien Zugang bot, und in den leeren Fensterrahmen hingen nur noch ein paar spärliche Glasreste. Staub hatte sich auf der Türschwelle angesammelt und im Inneren verteilt. Die grauen, verwitterten Wände schienen schief im Wind zu stehen, der hier offenbar immer aus derselben Richtung blies.
Es gelang mir, meine Angst zu zügeln, als ich zögernd auf den leeren Türrahmen zuging. Wir waren jetzt bestimmt genauso allein wie die ganzen letzten Tage über.
Der Schatten, den der dunkle Eingang versprach, trieb mich an und ließ meine Ängste verblassen. Ich lauschte immer noch aufmerksam, aber meine Füße bewegten sich mit schnellen, sicheren Schritten vorwärts. Ich hechtete über die Schwelle und trat schnell zur Seite, um eine Wand im Rücken zu haben; ein Überbleibsel aus der Zeit, als Melanie auf Nahrungssuche gewesen war. Ich stand unbeweglich da, nervös, weil ich nichts sehen konnte, und wartete darauf, dass sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnten.
Die kleine Hütte war wie vermutet leer. Sie wirkte im Innern genauso unbewohnt wie von außen. Die Platte eines zusammengebrochenen Tisches hing schräg von den beiden noch intakten Beinen herunter, daneben stand ein verrosteter Metallstuhl. Durch große Löcher in dem abgenutzten, schmutzigen Teppich blitzte der Betonboden hervor. An der Wand befand sich eine Küchenzeile: ein tiefes Spülbecken, dann eine Reihe Küchenschränke -einige ohne Türen - zwischen der Spüle und einem halbhohen Kühlschrank, dessen Tür offen stand und sein mit schwarzem Schimmel bedecktes Inneres erkennen ließ. An der gegenüberliegenden Wand stand das Gestell eines Sofas ohne Polster. Über dem Sofa hing ein bisschen schief, aber völlig unversehrt, ein gerahmter Druck, der Poker spielende Hunde zeigte.
Gemütlich, dachte Melanie; sie war erleichtert genug, um sarkastisch zu sein. Hier gibt es mehr Deko als in deiner Wohnung.
Ich war bereits auf dem Weg zur Spüle.
Träum weiter, fügte Melanie hilfreich hinzu.
Natürlich war es Verschwendung, diesen abgelegenen Ort mit fließend Wasser zu versorgen; solche Dinge wurden von den Seelen zu gut verwaltet, als dass sie das nicht geändert hätten. Trotzdem musste ich einfach an den uralten Griffen drehen. Einer war so durchgerostet, dass er abbrach.
Als Nächstes wandte ich mich den Schränken zu und kniete mich auf den widerlichen Teppich, um vorsichtig hineinzuspähen. Mit weit ausgestrecktem Arm öffnete ich eine Tür, aus Angst, irgendein giftiges Wüstentier aufzuscheuchen.
Der erste Schrank war leer und hatte keine Rückwand, so dass ich die Holzlatten der Außenwand sehen konnte. Der nächste hatte keine Tür, aber es lag ein staubbedeckter Stapel alter Zeitungen darin. Neugierig zog ich eine heraus, schüttelte den Dreck auf den noch dreckigeren Boden und sah auf das Datum.
Noch aus Menschenzeiten, stellte ich fest. Nicht, dass ein Datum nötig gewesen wäre, um das zu erkennen.
»Mann verbrennt dreijährige Tochter«, sprang mir die Schlagzeile entgegen, daneben das Bild eines engelsgleichen blonden Kindes. Es war nicht die Titelseite. Die Schrecken, von denen hier berichtet wurde, waren nicht entsetzlich genug, um einen Platz auf dem Titel zu verdienen. Darunter war das Gesicht eines Mannes zu sehen, der zwei Jahre vor dem Erscheinungstermin der Zeitung seine Frau und seine zwei Kinder ermordet hatte und nach dem seither gefahndet wurde; der Bericht handelte davon, dass der Mann möglicherweise in Mexiko gesehen worden war. Zwei Tote und drei Verletzte bei einem Verkehrsunfall aufgrund von Trunkenheit am Steuer. Eine Untersuchung wegen Betrugs und Mordes im Zusammenhang mit dem angeblichen Selbstmord eines prominenten örtlichen Bankmanagers. Ein Kinderschänder wird wegen Widerrufs seines Geständnisses auf freien Fuß gesetzt. Abgeschlachtete Haustiere in einem Müllcontainer gefunden.