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»Na, na, Maggie«, begann Jeb in besänftigendem Tonfall. »Komm mir nicht mit >Na, na, Maggie<, du alter Narr! Es hat wahrscheinlich einen ganzen Trupp von denen hergeführt.« Ich rührte mich nicht. Sie trat zurück, wobei sie mich taxierte, als sei ich eine zusammengerollte Schlange. Neben ihrem Bruder blieb sie stehen.

»Ich sehe niemanden«, erwiderte Jeb. »Hey!«, brüllte er und ich zuckte erschrocken zusammen. Ich war nicht die Einzige. Jeb wedelte mit den Armen über seinem Kopf herum, das Gewehr immer noch fest in der rechten Hand. »Hier sind wir!«

»Sei still«, knurrte Maggie und stieß ihn vor die Brust. Obwohl ich guten Grund zu der Annahme hatte, dass sie ziemlich stark war, bewegte sich Jeb keinen Millimeter.

»Sie ist allein, Mag. Sie war halbtot, als ich sie gefunden habe - und auch jetzt ist sie nicht gerade in der allerbesten Verfassung. Die Tausendfüßler opfern ihre Leute nicht auf diese Weise. Sie wären ihr viel früher zu Hilfe gekommen als ich. Was auch immer sie ist, sie ist allein.«

Ich sah das Bild des langen, vielfüßigen Insekts vor mir, ohne zu wissen, was damit gemeint war.

Er spricht von dir, übersetzte Melanie. Sie platzierte das Bild des hässlichen Tiers neben meine Erinnerung einer hellsilbrigen Seele. Ich konnte keine Ähnlichkeit feststellen.

Woher er wohl weiß, wie du aussiehst?, wunderte sich Melanie geistesabwesend. Meine Erinnerungen an die wahre Gestalt einer Seele waren anfangs neu für sie gewesen.

Ich hatte keine Zeit, mich mit ihr zu wundern. Jeb kam auf mich zu und die anderen folgten dichtauf. Kyles Hand schwebte über Jebs Schulter, bereit, ihn zurückzuhalten oder wegzuschubsen, da war ich mir nicht ganz sicher.

Jeb nahm sein Gewehr in die linke Hand und streckte seine rechte nach mir aus. Ich beäugte sie misstrauisch und wartete darauf, dass er mich schlagen würde.

»Los, komm«, sagte er sanft drängend. »Wenn ich dich so weit tragen könnte, hätte ich dich schon letzte Nacht mit nach Hause genommen. Du wirst wohl noch ein Stück laufen müssen.«

»Nein!«, grunzte Kyle.

»Ich nehme sie mit«, sagte Jeb und zum ersten Mal hatte seine Stimme einen schärferen Unterton. Der Kiefer unter seinem Bart schob sich störrisch vor.

»Jeb!«, protestierte Maggie.

»Das ist mein Haus, Mag. Ich mache, was ich will.« »Alter Narr!«, fuhr sie ihn erneut an.

Jeb beugte sich vor und griff nach meiner Hand, die neben meiner Hüfte zur Faust geballt war. Er riss mich hoch auf die Beine - nicht aus Grausamkeit, sondern eher, als hätte er es eilig. Aber war es nicht viel grausamer, mein Leben zu verlängern, was auch immer seine Gründe sein mochten?

Ich schwankte. Ich spürte meine Beine kaum - nur ein Prickeln wie Nadelstiche, als das Blut wieder hindurchzufließen begann.

Hinter ihm war ein missbilligendes Zischen zu hören. Es kam aus mehr als einem Mund.

»Okay, wer immer du bist«, sagte er zu mir, immer noch freundlich. »Lass uns zusehen, dass wir hier wegkommen, bevor es sich weiter aufheizt.«

Der, der Kyles Bruder sein musste, legte Jeb die Hand auf den Arm.

»Du kannst diesem Wesen doch nicht einfach zeigen, wo wir leben, Jeb.«

»Ich schätze mal, das spielt keine Rolle«, sagte Maggie scharf.

»Es wird keine Gelegenheit haben, uns zu verraten.«

Jeb seufzte und knotete sein Halstuch auf, das von seinem Bart bedeckt gewesen war.

»Das ist doch verrückt«, murmelte er, aber er rollte das verdreckte Stück Stoff, das ganz steif war von getrocknetem Schweiß, zu einer Augenbinde zusammen.

Ich stand vollkommen still, während er mir die Augen verband, und versuchte die Panik zu unterdrücken, die jetzt, wo ich meine Feinde nicht mehr sehen konnte, nur noch schlimmer wurde.

Obwohl ich nichts sah, wusste ich, dass es Jeb war, der mir eine Hand auf den Rücken legte und mich führte; niemand sonst wäre so sanft mit mir umgesprungen.

Wir gingen los, Richtung Norden, nahm ich an. Zunächst sprach niemand - man hörte nur das Geräusch von knirschendem Sand unter vielen Füßen. Der Boden war eben, aber mit meinen tauben Beinen stolperte ich immer wieder. Jeb war geduldig; seine Art, mich zu führen, war geradezu galant.

Ich spürte, wie die Sonne höher stieg, während wir gingen. Manche Schritte kamen schneller voran als andere. Sie entfernten sich von uns, bis sie kaum noch zu hören waren. Es klang so, als sei es nur eine Minderheit, die bei Jeb und mir blieb. Ich sah offenbar nicht so aus, als hätte ich allzu viele Wächter nötig - ich war vollkommen ausgehungert und schwankte bei jedem Schritt; mein Kopf fühlte sich benommen und leer an.

»Du hast doch nicht etwa vor, es ihm zu sagen, oder?« Das war Maggies Stimme; sie ging ein paar Schritte hinter mir und was sie sagte, klang anklagend.

»Er hat ein Recht darauf, es zu erfahren«, erwiderte Jeb. Der störrische Unterton war in seine Stimme zurückgekehrt.

»Das ist herzlos, was du da tust, Jebediah.«

»Das Leben ist herzlos, Magnolia.« Es war schwer zu sagen, wer von den beiden furchteinflößender war. Jeb, der so scharf darauf schien, mich am Leben zu lassen? Oder Maggie, die als Erste den Doktor ins Spiel gebracht hatte - eine Bezeichnung, die mich mit instinktiver, übelkeiterregender Angst erfüllte -, sich aber offenbar mehr Gedanken über Grausamkeit machte als ihr Bruder?

Wir gingen noch ein paar Stunden lang schweigend weiter. Als meine Beine einknickten, half mir Jeb, mich hinzusetzen, und hielt mir eine Wasserflasche an die Lippen, genau wie in der vergangenen Nacht.

»Sag Bescheid, wenn du so weit bist«, sagte Jeb; seine Stimme klang freundlich, aber ich wusste, dass das nur Fassade war.

Irgendjemand seufzte ungeduldig.

»Warum tust du das, Jeb?«, fragte ein Mann. Ich hatte die Stimme vorher schon gehört. Es war einer der beiden Brüder. »Für Doc? Das hättest du Kyle doch sagen können. Du hättest nicht gleich die Knarre auf ihn richten müssen.«

»Auf Kyle müsste man viel öfter eine Knarre richten«, murmelte Jeb.

»Bitte erzähl mir jetzt nicht, du hättest Mitleid«, fuhr der Mann fort. »Nach allem, was du mit angesehen hast ...«

»Wenn ich nach allem, was ich mit angesehen habe, nicht gelernt hätte, was Mitgefühl bedeutet, wäre ich keinen Pfifferling wert. Aber nein, es geht hier nicht um Mitleid. Wenn ich genug Mitleid mit dieser armen Kreatur gehabt hätte, hatte ich sie sterben lassen.«

Ich fröstelte in der Gluthitze.

»Worum geht es dann?«, wollte Kyles Bruder wissen.

Lange sagte niemand etwas, dann berührte Jebs Hand die meine. Ich griff danach, da ich allein nicht auf die Füße kam. Seine andere Hand legte sich auf meinen Rücken und ich ging weiter.

»Vermutlich bin ich einfach bloß neugierig«, sagte Jeb leise. Niemand antwortete.

Auf dem Weg machte ich mir die Fakten klar. Erstens war ich nicht die erste Seele, die sie gefangen genommen hatten. Darin hatten sie bereits Routine. Dieser »Doc« hatte bereits versucht, seine Antworten von anderen vor mir zu bekommen.

Zweitens war er ohne Erfolg geblieben. Wenn irgendeine Seele auf den Selbstmord verzichtet hätte, um dann unter der menschlichen Folter zusammenzubrechen, würden sie mich jetzt nicht mehr brauchen. Sie wären gnädig gewesen und hätten mich schnell sterben lassen.

Seltsamerweise konnte ich mich trotzdem nicht dazu durchringen, auf ein schnelles Ende zu hoffen oder es herbeizuführen. Dabei wäre das ganz einfach, ich müsste es nicht einmal selbst tun. Ich müsste sie bloß anlügen - vorgeben, eine Sucherin zu sein, ihnen sagen, dass meine Kollegen mir längst auf der Spur wären, toben und drohen. Oder ihnen die Wahrheit sagen - dass Melanie in mir weiterlebte und mich hierhergebracht hatte.