Jared funkelte sie an. »Nein«, knurrte er.
Es war offensichtlich, dass er das Wort nicht geflüstert hatte, trotzdem klang es in meinen Ohren ganz leise. Alles war plötzlich ganz leise. Sharons Lippen bewegten sich, sie fuchtelte mit dem Finger vor Jareds Nase herum, aber alles, was ich hörte, war ein sanftes Wispern. Keiner von beiden tat einen Schritt, aber sie schienen von mir wegzutreiben.
Ich sah, wie die dunkelhaarigen Brüder mit wütenden Gesichtern auf Jared zugingen. Ich merkte, wie meine Hand sich aus Protest zu heben versuchte, aber sie zuckte nur schwach. Jareds Gesicht lief rot an, als seine Lippen sich teilten, und die Sehnen an seinem Hals spannten sich, als würde er schreien, aber ich hörte nichts. Jeb ließ meinen Arm los und ich sah, wie sich der mattgraue Gewehrlauf neben mir hob. Ich zuckte vor der Waffe zurück, obwohl sie nicht auf mich gerichtet war. Das brachte mich aus dem Gleichgewicht und ich konnte zusehen, wie der Raum ganz langsam zur Seite kippte.
»Jamie«, flüsterte ich, als das Licht in meinen Augen schwand.
Jareds grimmiges Gesicht war plötzlich ganz nah über mich gebeugt.
»Jamie?«, flüsterte ich erneut, diesmal als Frage. »Jamie?« Jebs raue Stimme antwortete von irgendwoher aus weiter Ferne. »Dem Jungen geht's gut. Jared hat ihn hergebracht.« Ich sah zu, wie Jareds gequältes Gesicht von dem dunklen Nebel verschluckt wurde, der meine Augen trübte.
»Danke«, flüsterte ich.
Und dann war um mich herum nichts als Dunkelheit.
Bewacht
Als ich zu mir kam, hatte ich sofort meine Orientierung wieder. Ich wusste genau, wo ich war - zumindest grob -, hielt jedoch meine Augen geschlossen und atmete gleichmäßig weiter. Ich versuchte, so viel wie möglich über meine Lage herauszubekommen, ohne preiszugeben, dass ich wieder bei Bewusstsein war.
Ich hatte Hunger. Mein Magen verknotete und verkrampfte sich und machte wütende Geräusche. Ich bezweifelte, dass mich diese Geräusche verraten würden - ich war sicher, er hatte auch geknurrt und sich beklagt, während ich schlief.
Mein Kopf tat furchtbar weh. Ich konnte jedoch nicht sagen, wie viel davon der Müdigkeit zuzuschreiben war und wie viel den Schlägen, die ich eingesteckt hatte.
Ich lag auf einem harten Untergrund. Er war rau und ... buckelig. Außerdem fühlte er sich seltsam gebogen an, als läge ich in einer flachen Schale. Es war unbequem. Mein Rücken und meine Hüften pochten aufgrund der gekrümmten Stellung, und wahrscheinlich hatte mich dieser Schmerz auch geweckt; ich fühlte mich alles andere als ausgeruht.
Es war dunkel - das wusste ich, ohne die Augen zu öffnen. Nicht pechschwarz, aber sehr dunkel.
Die Luft roch noch modriger als vorher - feucht und gammelig. Sie war von einer eigentümlich beißenden Schärfe, die mir in der Kehle brannte. Es war kühler als in der Wüste, aber durch die Feuchtigkeit, die nicht hierherzupassen schien, war es fast genauso unangenehm. Ich schwitzte schon wieder; all das Wasser, das Jeb mir gegeben hatte, fand den Weg durch meine Poren nach draußen.
Ganz in der Nähe konnte ich das Echo meines Atems hören. Möglicherweise lag ich nur direkt neben einer einzelnen Wand, aber es kam mir so vor, als befände ich mich in einem sehr kleinen Raum. Ich lauschte, so konzentriert ich konnte, und es klang so, als hallte mein Atem auch von der anderen Seite wider.
Da ich wusste, dass ich wahrscheinlich immer noch irgendwo in dem Höhlensystem war, in das Jeb mich gebracht hatte, war ich ziemlich sicher, was ich sehen würde, sobald ich die Augen aufmachte. Ich musste, in irgendeinem kleinen Loch in der dunklen rötlichen Felswand liegen.
Abgesehen von den Geräuschen, die mein Körper machte, war es still. Da ich Angst hatte, die Augen zu öffnen, versuchte ich stattdessen mit meinen Ohren die Stille zu durchdringen. Ich konnte sonst niemanden hören und das ergab keinen Sinn. Sie würden mich doch hier nicht ohne Bewachung zurückgelassen haben. Ohne Onkel Jeb und sein allgegenwärtiges Gewehr oder irgendjemanden, der mir weniger wohlgesinnt war. Mich allein zu lassen ... das passte nicht zu ihrer Brutalität, ihrer tiefsitzenden Angst vor mir und dem Hass auf das, was ich war. Außer ...
Ich versuchte zu schlucken, aber die Panik schnürte mir die Kehle zu. Sie würden mich nicht allein lassen. Außer sie dachten, ich wäre tot, oder hatten dafür gesorgt, dass ich es bald sein würde. Außer es gab Plätze in diesen Höhlen, von denen niemand mehr zurückkehrte.
Das Bild, das ich mir von meiner Umgebung gemacht hatte, verblasste in meinem Kopf. Stattdessen sah ich mich jetzt am Fuß eines tiefen Schachtes oder in einem engen Grab eingemauert.
Meine Atmung beschleunigte sich, ich schnupperte, ob die Luft bereits verbraucht roch, ob es irgendein Anzeichen dafür gab, dass mir der Sauerstoff ausging. Meine Lungen wurden von den umliegenden Muskeln auseinandergezogen und füllten sich mit Luft für den Schrei, der unterwegs war. Ich biss die Zähne zusammen, um zu verhindern, dass er mir entschlüpfte.
Laut und ganz nah schabte etwas neben meinem Kopf über den Boden.
Ich schrie auf und mein Schrei gellte durch den kleinen Raum. Ich riss die Augen auf und hechtete von dem unheimlichen Geräusch weg auf eine zerklüftete Felswand zu. Meine Hände fuhren hoch, um mein Gesicht zu schützen, als mein Kopf schmerzhaft gegen die niedrige Decke knallte.
Gedämpftes Licht drang durch den kreisrunden Eingang der winzigen blasenförmigen Höhle, in der ich kauerte. Jareds Gesicht war zur Hälfte angestrahlt, als er sich durch die Öffnung hereinlehnte, einen Arm nach mir ausgestreckt. Seine Lippen waren schmal vor Wut. Eine Ader auf seiner Stirn pulsierte, als er sah, wie panisch ich reagierte.
Er rührte sich nicht, starrte mich nur wütend an, während mein Herzschlag wieder einsetzte und meine Atmung sich verlangsamte. Unsere Blicke begegneten sich und ich erinnerte mich daran, wie leise er immer gewesen war, wenn er es darauf angelegt hatte - wie ein Geist. Kein Wunder, dass ich nicht gehört hatte, wie er vor meiner Zelle Wache schob.
Aber irgendetwas hatte ich gehört. Als mir das wieder einfiel, schob Jared seinen ausgestreckten Arm näher und das schabende Geräusch war erneut zu hören. Ich sah zu Boden. Zu meinen Füßen stand ein zerbrochenes Plastikbrett, das als Tablett diente.
Und darauf...
Ich stürzte mich auf die offene Wasserflasche und nahm dabei kaum wahr, wie Jareds Mund sich angewidert verzog, als ich gierig die Flasche an die Lippen setzte. Später würde mir das sicher etwas ausmachen, aber im Moment war Wasser alles, was mich interessierte. Ich fragte mich, ob ich diese kostbare Flüssigkeit jemals in meinem Leben wieder für etwas Selbstverständliches halten würde. Da mein Leben hier wahrscheinlich nicht mehr allzu lange dauerte, war die Antwort vermutlich Nein.
Jared war wieder aus der kreisförmigen Öffnung verschwunden. Ich konnte ein Stück seines Ärmels sehen, mehr nicht. Das gedämpfte Licht kam von irgendwoher neben ihm. Es war von einer künstlichen, bläulichen Farbe.
Ich hatte die Hälfte des Wassers heruntergestürzt, als ein neuer Geruch meine Aufmerksamkeit erregte und mich wissen ließ, dass das Wasser nicht das einzige Geschenk war. Ich sah wieder auf das Tablett hinunter. Essen. Sie gaben mir zu essen?
Es war das Brot - ein dunkles, ungleichmäßig geformtes Brötchen -, das ich zuerst roch, aber daneben stand auch eine Schale mit einer klaren Flüssigkeit, die nach Zwiebeln duftete. Als ich mich darüberbeugte, sah ich Stücke von irgendetwas Dunklem, die auf den Boden gesunken waren. Neben der Schale lagen drei weiße Stangen - ich vermutete, es war Gemüse, aber ich erkannte die Sorte nicht.
Ich registrierte all das im Bruchteil einer Sekunde, aber schon in dieser kurzen Zeitspanne sprang mein Magen beinahe aus meinem Mund, um an das Essen zu kommen.