Das Bild in meinem Kopf war so grässlich, dass ich es nicht ertragen konnte. Ich versuchte mich auf meine unmittelbare Umgebung zu konzentrieren, was schlimm genug war.
Jeb hielt einen Moment mit gezücktem Gewehr inne. Er sah sich in der Halle um und schien jeden Einzelnen nacheinander mit seinem Blick festzunageln. Es waren nicht mehr als zwanzig Leute, daher dauerte es nicht lange. Als er seine Musterung abgeschlossen hatte, ging er weiter an der linken Wand der Höhle entlang. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals, als ich ihm folgte.
Er ging nicht geradewegs durch die Höhle, sondern hielt sich dicht an der Wand. Ich wunderte mich darüber, bis mir ein großes dunkles Rechteck auffiel, das die Mitte des Fußbodens bedeckte - ein ziemlich großes Rechteck. Niemand stand auf diesem dunkleren Untergrund. Ich hatte so viel Angst, dass ich das Ungewöhnliche daran einfach nur registrierte; ich versuchte noch nicht einmal über eine Erklärung nachzudenken.
Während wir den schweigenden Raum umrundeten, waren kleine Bewegungen wahrzunehmen. Die vornübergebeugte Frau richtete sich auf und drehte den Oberkörper, um uns nachzublicken. Der gestikulierende Mann verschränkte die Arme vor der Brust. Alle Augen verengten sich und alle Gesichter bekamen einen grimmigen Ausdruck. Aber niemand bewegte sich auf uns zu und niemand sagte etwas. Was auch immer Kyle und die anderen diesen Leuten über ihre Auseinandersetzung mit Jeb erzählt hatten, es schien den Effekt zu haben, den Jeb sich erhoffte.
Als wir die Ansammlung menschlicher Statuen durchquerten, erkannte ich Sharon und Maggie, die uns von der weiten Mündung einer Höhle her beobachteten. Ihre Gesichter waren ausdruckslos, ihr Blick kalt. Sie sahen nicht mich an, nur Jeb. Er ignorierte sie.
Es kam mir vor, als seien Jahre vergangen, als wir endlich das andere Ende der Höhle erreichten. Jeb ging auf eine mittelgroße Öffnung zu, die sich in der Helligkeit des Raums schwarz abzeichnete. Die Blicke, die mir folgten, verursachten ein Kribbeln auf meiner Kopfhaut, aber ich wagte nicht mich umzusehen. Der Raum lag immer noch schweigend da, aber ich fürchtete, jemand könnte uns folgen. Ich war erleichtert, als ich in die Dunkelheit des neuen Gangs eintauchen konnte. Jeb fasste mich am Ellbogen, um mich zu führen, und ich zuckte nicht zurück. Das Stimmengewirr hinter uns setzte nicht wieder ein.
»Na, das lief ja besser als erwartet«, murmelte Jeb, als er mich durch den Gang schob.
Seine Worte überraschten mich und ich war froh, dass ich nicht wusste, was genau er erwartet hatte. Der Boden unter meinen Füßen wurde abschüssig. Gedämpftes Licht vor uns sorgte dafür, dass ich nicht vollständig blind war.
»Ich wette, so was wie mein Zuhause hier hast du noch nicht gesehen, hm?« Jebs Stimme war jetzt lauter und hatte wieder den Plauderton von vorhin angenommen. »Hat was, stimmt's?«
Er machte eine kurze Pause, falls ich etwas antworten wollte, und fuhr dann fort.
»Ich hab's in den Siebzigern gefunden. Besser gesagt hat es mich gefunden. Ich bin durch das Dach der großen Höhle gefallen - jeder andere wäre dabei draufgegangen, aber ich halte mehr aus, als gut für mich ist. Hab eine Weile gebraucht, bis ich den Weg hier raus gefunden habe. Als ich's endlich geschafft hatte, hatte ich solchen Hunger, dass ich sogar Steine gefressen hätte.
Ich war damals schon der Letzte auf der Ranch, also konnte ich es niemandem zeigen. Nachdem ich jeden Winkel und jeden Spalt untersucht hatte, war mir klar, was für Möglichkeiten hier drinsteckten. Ich habe beschlossen, dieses Ass im Ärmel zu behalten, nur für den Notfall. So sind wir Stryders - wir sind gerne vorbereitet.«
Wir gingen an dem gedämpften Licht vorbei - es stammte von einem faustgroßen Loch in der Decke, das einen kleinen Lichtkreis auf den Boden warf. Als wir es hinter uns gelassen hatten, konnte ich weit vor uns einen weiteren Lichtpunkt erkennen.
»Du bist bestimmt neugierig, wie all das hier entstanden ist.« Wieder eine Pause, aber schon kürzer als die letzte. »Ich war es zumindest. Deshalb habe ich ein bisschen nachgeforscht. Das hier sind Lavaröhren, stell dir vor! Das war mal ein Vulkan. Oder besser gesagt, es ist immer noch einer. Noch nicht vollständig erloschen, wie du gleich sehen wirst. All diese Höhlen und Löcher sind Gasblasen, die von der erstarrenden Lava eingeschlossen wurden. Ich habe hier in den letzten paar Jahrzehnten eine ganze Menge Arbeit reingesteckt. Einiges davon war leicht - um die Röhren miteinander zu verbinden, war nur ein bisschen Muskelkraft nötig. Für andere Sachen brauchte es etwas mehr Einfallsreichtum. Ist dir die Decke in der großen Halle aufgefallen? Es hat mich Jahre gekostet, das richtig hinzukriegen.«
Ich wollte ihn fragen, wie er das gemacht hatte, aber ich konnte mich nicht überwinden zu sprechen. Am sichersten war es zu schweigen.
Der Boden begann plötzlich steiler abzufallen. In den Untergrund waren grobe Treppenstufen gehauen, die jedoch ziemlich trittsicher zu sein schienen; Jeb führte mich unbekümmert hinunter. Je tiefer wir kamen, desto heißer und feuchter wurde es. Ich verkrampfte mich, als ich erneut Gemurmel vernahm, diesmal von vorne. Jeb tätschelte sacht meine Hand.
»Das wird dir gefallen - das finden alle am besten«, versprach er. Durch einen großen, offenen Bogen hindurch schimmerte flackerndes Licht. Es hatte dieselbe Farbe wie das in der großen Halle, fein und weiß, aber es zuckte und tanzte auf eigenartige Weise umher. Wie alles in diesem Höhlensystem, das ich nicht verstand, machte mir dieses Licht Angst.
»Hier ist es«, sagte Jeb begeistert und zog mich durch den Torbogen. »Was hältst du davon?«
Besucht
Als Erstes überwältigte mich die Hitze - wie eine Wand aus Dampf schlug mir feuchte, schwere Luft entgegen und kondensierte auf meiner Haut. Mein Mund öffnete sich automatisch, als ich versuchte, die plötzlich dichtere Luft einzuatmen. Der Geruch war stärker geworden - dasselbe metallische Aroma, das in meinem Rachen festhing und nach dem auch das Wasser hier schmeckte.
Das Gemurmel aus Bass- und Sopranstimmen schien von allen Seiten zu kommen und von den Wänden widerzuhallen. Ich spähte ängstlich durch die wirbelnden Dampfwolken und versuchte herauszufinden, wo sich die Stimmen befanden. Es war hell hier - die Decke war so gleißend wie in der großen Halle, aber viel niedriger. Das Licht wurde vom Dampf reflektiert und bildete einen schimmernden Vorhang, der mich blendete. Während meine Augen versuchten sich daran zu gewöhnen, umklammerte ich panisch Jebs Hand.
Ich war überrascht, dass das seltsam gleichförmige Gemurmel in keinster Weise auf unser Eintreten reagierte.
Vielleicht konnten sie uns genauso wenig sehen wie ich sie.
»Es ist ein bisschen schwül hier drin«, sagte Jeb entschuldigend und wedelte in dem Dampf vor seinem Gesicht herum. Seine Stimme klang entspannt, leutselig und so laut, dass ich vor Schreck zusammenfuhr. Er sprach, als wären wir allein hier. Und das Gemurmel hielt an, ohne sich um seine Stimme zu kümmern.
»Nicht, dass ich mich beklagen wollte«, fuhr er fort. »Dieses Plätzchen hier hat mir mehr als einmal das Leben gerettet. Das allererste Mal, als ich in den Höhlen festsaß, natürlich. Und ohne Wasser könnten wir uns hier nicht verstecken. Und ohne Versteck wären alle tot, stimmt's?« Er stieß mir vertraulich den Ellbogen in die Seite. »Ganz schön praktisch eingerichtet. Ich hätte es mir nicht besser ausdenken können, auch wenn ich das alles selbst geknetet hätte.« Sein Gelächter vertrieb einen Teil des Nebels und jetzt endlich konnte ich den Raum sehen.
Zwei Flüsse strömten durch das feuchte Gewölbe der Höhle. Das war das Gemurmel, das mir in den Ohren klang - Wasser, das über und unter dem roten Vulkangestein dahinrauschte. Jeb sprach mit mir, als wären wir allein, weil wir tatsächlich allein waren.