Выбрать главу

Genau genommen war es eigentlich nur ein Fluss und daneben ein schmaler Bach. Der Bach verlief näher bei uns; ein dünnes, geflochtenes Band, das im Licht von oben silbern glänzte und zwischen niedrigen Steinen dahinfloss; es sah aus, als könnte er jeden Moment überlaufen. Sein Geplätscher klang wie ein feminines, hohes Murmeln.

Das tiefe Bass-Gurgeln stammte von dem Fluss, genau wie die dichten Dampfwolken, die an der gegenüberliegenden Wand aus den Löchern im Boden aufstiegen. Der Fluss war schwarz und lag unter der Oberfläche des Höhlenbodens, kam aber in großen, runden Auswaschungen über die gesamte Länge des Raumes immer wieder zum Vorschein. Die Löcher waren düster und gefährlich und der Fluss kaum sichtbar, wie er mächtig auf ein unsichtbares und unergründliches Ziel zuströmte. Das Wasser schien zu brodeln, so viel Hitze und Dampf sonderte es ab, und das Geräusch, das es machte, klang wie kochende Flüssigkeit.

Von der Decke hingen einige lange, schmale Stalaktiten, von denen Wasser auf die Stalagmiten unter ihnen tropfte. Drei von ihnen waren bereits zusammen-gewachsen und bildeten dünne schwarze Säulen zwischen den beiden Wasserläufen.

»Du musst vorsichtig sein hier drin«, sagte Jeb. »Die heiße Quelle hat eine ganz schöne Strömung. Wenn du da hineinfällst, bist du weg. Ist schon mal passiert.« Bei der Erinnerung daran senkte er mit ernstem Gesicht den Kopf.

Die schwarzen, schnellen Strudel des unterirdischen Flusses kamen mir plötzlich sehr bedrohlich vor. Ich stellte mir vor, von der siedend heißen Strömung mitgerissen zu werden, und schauderte.

Jeb legte mir leicht die Hand auf die Schulter. »Keine Sorge. Pass einfach auf, wo du hintrittst, und dir passiert schon nichts. So«, sagte er dann und zeigte auf das andere Ende des Raums, wo der schmale Bach in eine dunkle Höhle floss, »die erste Höhle da hinten ist das Badezimmer. Wir haben ein Loch in den Boden gegraben und so ist eine schöne, tiefe Wanne entstanden. Es gibt einen Zeitplan, wer wann mit Baden dran ist, aber die Intimsphäre ist eigentlich kein Thema - da drin ist es stockdunkel. Der Raum ist durch den Dampf schön warm, aber das Wasser ist nicht so glühend heiß wie das der heißen Quelle. Von der Badehöhle gelangt man durch eine Felsspalte in eine weitere Höhle. Wir haben den Eingang vergrößert, so dass man jetzt bequem hindurchpasst. Der Raum da ist der letzte, von dem aus wir Zugang zum Fluss haben, dann verschwindet er unter der Erde. Deshalb haben wir dort die Latrine eingerichtet. Bequem und hygienisch.« Seine Stimme hatte einen stolzen Unterton angenommen, als würde die Ehre für dieses Naturphänomen ihm gebühren. Immerhin hatte er diesen Ort entdeckt und verbessert - ich fand, ein bisschen Stolz war da durchaus gerechtfertigt.

»Wir versuchen Batterien zu sparen und die meisten von uns kennen das Gelände hier inzwischen auswendig, aber da du zum ersten Mal hier bist, kannst du dir damit den Weg beleuchten.«

Jeb zog eine Taschenlampe aus der Tasche und reichte sie mir. Ihr Anblick erinnerte mich an den Moment, als er mich sterbend in der Wüste aufgegriffen hatte - als er mir in die Augen geleuchtet und dadurch festgestellt hatte, was ich war. Ich wusste nicht genau, warum mich die Erinnerung daran traurig machte.

»Komm bloß nicht auf die verrückte Idee, dass dich der Fluss vielleicht hier rausbringen könnte oder so. Wenn das Wasser einmal unter der Erde verschwindet, kommt es nicht wieder hoch«, warnte er mich.

Offenbar wartete er auf ein Zeichen, dass ich seine Warnung verstanden hatte, also nickte ich einmal. Langsam nahm ich ihm die Taschenlampe ab und versuchte dabei, jegliche hektische Bewegung zu vermeiden, die ihn erschrecken könnte.

Er lächelte mir aufmunternd zu.

Ich ging schnell in die Richtung, die er mir gezeigt hatte - das Geräusch des rauschenden Wassers machte mein ungutes Gefühl nur noch schlimmer. Es fühlte sich eigenartig an, außerhalb seiner Sichtweite zu sein. Was, wenn sich jemand hier in den Höhlen versteckte, weil er vorausgesehen hatte, dass ich irgendwann herkommen würde? Würde Jeb ein Handgemenge über den ohrenbetäubenden Lärm der Flüsse hinweg hören?

Ich leuchtete mit der Taschenlampe in jeden Winkel des Badezimmers und suchte nach irgendeinem Anzeichen für einen Hinterhalt. Die seltsamen, flackernden Schatten, die sie an die Felswände warf, waren zwar etwas unheimlich, aber ich konnte keinen Grund für meine Angst entdecken. Jebs »Wanne« hatte eher die Ausmaße eines kleines Swimmingpools und war pechschwarz. Ein Mensch unter der Wasseroberfläche wäre unsichtbar, solange er den Atem anhielt ... Eilig schob ich mich durch die schmale Spalte am anderen Ende des Raumes, um meiner Einbildung zu entkommen. Ohne Jeb wurde ich beinahe von Panik überwältigt - ich konnte nicht normal atmen, hörte fast nichts außer dem Puls in meinen Ohren. Als ich mich schließlich auf den Rückweg zu dem Raum mit den Flüssen machte, rannte ich fast.

Jeb dort stehen zu sehen, immer noch in derselben Haltung, immer noch allein, war Balsam für meine geschundenen Nerven. Meine Atmung und mein Herzschlag verlangsamten sich. Es war mir nicht klar, warum dieser verrückte Mensch solch eine beruhigende Wirkung auf mich hatte. Ich vermutete, es waren wirklich, wie Melanie gesagt hatte, schlimme Zeiten.

»Nicht schlecht, was?«, fragte er mit einem stolzen Grinsen im Gesicht.

Ich nickte wieder und gab ihm die Taschenlampe zurück.

»Diese Höhlen sind ein großes Geschenk«, sagte er, als wir durch den dunklen Gang zurückgingen. »Ohne sie könnten wir hier nicht mit so vielen Leuten überleben. Magnolia und Sharon sind wirklich gut - überraschend gut - da oben in Chicago zurechtgekommen, aber auf Dauer hätten sie sich dort zu zweit nicht verstecken können. Es ist wirklich schön, wieder in einer Gemeinschaft zu leben. Dadurch fühle ich mich wieder als ganzer Mensch.«

Er fasste mich am Ellbogen, als wir die grobe Steintreppe hoch stiegen.

»Tut mir leid, wie du hier ... äh ... untergebracht bist. Es war der sicherste Platz, der mir eingefallen ist. Ich hätte nicht gedacht, dass dich die Jungs so schnell finden würden.« Jeb seufzte. »Na ja, Kyle kann ganz schön hartnäckig sein, wenn er will. Aber ich nehme an, er tut das alles in bester Absicht. Er wird sich schon an die neue Situation gewöhnen. Vielleicht finden wir ja noch ein bisschen was Gemütlicheres für dich. Ich denk mal drüber nach ... Wenn ich da bin, musst du dich zumindest nicht in das kleine Loch zwängen. Du kannst bei mir auf dem Gang sitzen, wenn du willst. Bei Jared dagegen ...« Er brach ab.

Ich wunderte mich über seine entschuldigenden Worte; er war so viel freundlicher, als ich erwartet hatte, so viel mitfühlender, als ich mir von dieser Spezies im Umgang mit ihren Feinden erhofft hatte. Ich tätschelte die Hand auf meinem Ellbogen leicht, zögerlich, und versuchte ihm damit zu vermitteln, dass ich verstand und keine Probleme machen würde. Ich war sicher, dass Jared es vorziehen würde, wenn er mich nicht zu sehen bekam.

Jeb war problemlos in der Lage, meine wortlose Kommunikation zu deuten. »Braves Mädchen«, sagte er. »Das wird sich schon alles irgendwie finden. Doc könnte sich eigentlich auch mal darauf konzentrieren, Menschen zu heilen, anstatt herumzuexperimentieren. Ich glaube ja, dass du lebendig viel interessanter bist.«

Unsere Körper waren so nah, dass er mein Zittern spüren konnte. »Keine Sorge. Doc wird dich vorerst nicht belästigen.« Ich hörte nicht auf zu zittern. Jeb konnte mir das nur vorerst versprechen. Es gab keine Garantie, dass Jared es nicht plötzlich wichtiger finden würde, mein Geheimnis zu lüften, als Melanies Körper zu beschützen. Ich wusste, dass ich mir in dem Fall wünschen würde, Ian wäre letzte Nacht erfolgreich gewesen. Ich schluckte, und es fühlte sich so an, als wäre meine ganze Kehle wund.

Du weißt nie, wie viel Zeit dir noch bleibt, hatte Melanie gesagt, vor so vielen Tagen, als ich mein Leben noch unter Kontrolle hatte.