Ich ließ die Hände sinken und blickte in seine mitleidlosen Augen. Es schmerzte mich, dass jemand anders für mein Schweigen hatte leiden müssen - auch wenn es jemand war, der schon mal versucht hatte, mich umzubringen. So hatte ich mir das mit der Folter nicht vorgestellt.
Jareds schaute mich unschlüssig an, als er die Veränderung in meinem Gesicht wahrnahm. »Ich muss dir nicht wehtun«, sagte er ruhig und nicht mehr ganz so selbstbewusst. »Aber ich muss eine Antwort auf meine Frage haben.«
Es war noch nicht einmal die richtige Frage - kein Geheimnis, das ich in irgendeiner Weise für mich behalten musste.
»Sag's mir«, drängte er mich erneut, seine Augen voller Frustration und tiefer Traurigkeit.
War ich wirklich so feige? Das wäre mir fast lieber gewesen - dass meine Angst davor, Schmerzen zu erleiden, größer war als alles andere. Denn der wahre Grund dafür, dass ich die Augen öffnete und anfing zu sprechen, war geradezu lächerlich.
Ich wollte ihm gefallen, diesem Menschen, der mich so unwahrscheinlich hasste. »Die Sucherin«, begann ich mit heiserer Stimme; ich hatte lange nicht gesprochen. Ungeduldig unterbrach er mich. »Wir wissen bereits, dass es eine Sucherin ist.«
»Nein, nicht irgendeine Sucherin«, flüsterte ich. »Meine Sucherin.«
»Was soll das heißen, deine Sucherin?«
»Die mir zugeteilt ist, mir folgt, mich überwacht. Sie ist der Grund, weshalb ...«
Ich konnte mich gerade noch zurückhalten, bevor ich das Wort aussprach, das meinen Tod bedeutet hätte. Kurz bevor ich »wir« sagen konnte. Die reinste Wahrheit, die er für die infamste Lüge halten würde - weil sie mit seinen größten Wünschen, seinem heftigsten Schmerz spielte. Er würde es nie für möglich halten, dass sein Wunsch wahr geworden sein könnte. Er würde in mir nichts als eine gefährliche Lügnerin sehen, die ihm aus den Augen entgegenblickte, die er einst geliebt hatte.
»Der Grund, weshalb ...?«, wiederholte er.
»Der Grund, weshalb ich geflohen bin«, sagte ich schwer atmend. »Der Grund, weshalb ich hierhergekommen bin.«
Nicht die ganze Wahrheit, aber auch nicht komplett gelogen.
Er starrte mich mit offenem Mund an, während er versuchte, das zu verarbeiten. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, dass Ian wieder durch das Loch hereinspähte, seine lebhaften blauen Augen vor Überraschung weit aufgerissen. Auf seinen blassen Lippen war dunkles Blut zu sehen.
»Du bist vor einer Sucherin geflohen? Aber du gehörst doch zu ihnen!« Jared gab sich Mühe, sich wieder zu fangen, wieder zu seinem Verhör zurückzukehren. »Warum sollte sie dir folgen? Was wollte sie von dir?«
Ich schluckte; das Geräusch klang unnatürlich laut. »Sie wollte dich. Dich und Jamie.«
Sein Gesichtsausdruck versteinerte. »Und du hast versucht, sie hierherzuführen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht ... ich ...« Wie konnte ich ihm das erklären? Er würde der Wahrheit niemals Glauben schenken. »Was?«
»Ich ... ich hatte nicht vor, euch zu verraten. Ich mag sie nicht.« Er blinzelte, erneut verwirrt. »Müsst ihr euch nicht alle mögen? « »Im Prinzip schon«, räumte ich ein und wurde schamrot.
»Wem hast du von diesem Ort hier erzählt?«, fragte Ian über Jareds Schulter hinweg. Jared runzelte die Stirn, sah mir aber weiterhin ins Gesicht.
»Ich konnte niemandem davon erzählen, ich habe nicht davon gewusst ... ich habe nur die Linien gesehen. Die Linien auf dem Fotoalbum. Ich habe sie der Sucherin aufgezeichnet ... aber wir wussten nicht, was sie zu bedeuten hatten. Sie denkt immer noch, es handelt sich um eine Landkarte.« Ich konnte gar nicht wieder aufhören zu reden. Ich versuchte, meine Worte zu verlangsamen, um mich nicht zu verplappern.
»Was soll das heißen, ihr wusstet nicht, was sie zu bedeuten hatten? Du bist schließlich hier.« Seine Hand kam auf mich zu, senkte sich aber wieder, bevor sie den geringen Abstand überwunden hatte.
»Ich ... ich hatte Probleme mit meiner ... mit der ... mit ihrer Erinnerung. Ich verstand nicht ... Ich hatte nicht zu allem Zugang. Da waren Mauern. Deshalb wurde mir die Sucherin zugeteilt, sie wartete darauf, dass ich den Rest entschlüsseln würde.« Viel zu viel. Ich biss mir auf die Zunge.
Ian und Jared sahen sich an. Sie hatten so etwas noch nie gehört. Sie vertrauten mir nicht, aber sie wollten so gerne glauben, dass es möglich war. Sie wollten es zu sehr. Das machte ihnen Angst. Jareds Stimme war wie ein Peitschenhieb. »Hattest du Zugang zu meiner Hütte?«
»Zuerst nicht.«
»Und dann hast du es der Sucherin gesagt.«
»Nein.«
»Nein? Warum nicht?«
»Weil ... als ich mich daran erinnert habe ... wollte ich es ihr nicht mehr sagen.«
Ians Augen waren immer noch weit aufgerissen. Jareds Stimme veränderte sich, wurde leise, fast zärtlich. So viel gefährlicher, als wenn er brüllte. »Warum wolltest du es ihr nicht sagen?«
Ich presste die Zähne aufeinander. Das war nicht das Geheimnis, aber trotzdem ein Geheimnis, das er aus mir rausprügeln musste. In diesem Augenblick hatte mein Entschluss, meine Zunge im Zaum zu halten, weniger mit Selbsterhaltung zu tun als mit einer albernen, störrischen Art Stolz. Ich würde diesem Mann, der mich verachtete, bestimmt nicht sagen, dass ich ihn liebte.
Er sah den Widerstand in meinen Augen aufblitzen und schien zu verstehen, wie schwierig es sein würde, diese Antwort aus mir herauszubekommen. Er beschloss, sie zu überspringen - oder vielleicht später darauf zurückzukommen, sie sich für den Schluss aufzubewahren, für den Fall, dass ich nicht in der Lage sein würde, noch weitere Fragen zu beantworten, sobald er fertig mit mir war.
»Warum hattest du nicht zu allem Zugang? Ist das ... normal?« Diese Frage war ebenfalls sehr gefährlich. Zum ersten Mal bisher log ich ihn direkt an. »Sie ist ziemlich tief gestürzt. Der Körper war beschädigt.«
Lügen fiel mir nicht leicht; die Lüge war nicht überzeugend. Jared und Ian bemerkten beide den falschen Unterton. Jared legte den Kopf schief; Ian zog eine Augenbraue hoch. »Und warum gibt die Sucherin nicht auf wie alle anderen?«,
fragte Ian.
Ich war plötzlich erschöpft. Ich wusste, sie konnten die ganze Nacht so weitermachen, sie würden die ganze Nacht so weitermachen, wenn ich weiter antwortete, und irgendwann würde ich einen Fehler machen. Ich ließ mich gegen die Wand sinken und schloss die Augen. »Ich weiß es nicht«, flüsterte ich. »Sie ist nicht wie die anderen Seelen. Sie ist ... lästig.«
Ian lachte überrascht auf.
»Und du - bist du wie die anderen ... Seelen?«, fragte Jared.
Ich öffnete die Augen und sah ihn einen Moment lang müde an. Was für eine dumme Frage, dachte ich. Dann kniff ich die Augen fest zu, legte das Gesicht auf die Knie und schlang die Arme um meinen Kopf.
Entweder verstand Jared, dass ich das Gespräch für beendet erklärt hatte, oder sein gekrümmter Körper protestierte zu deutlich, als dass er ihn noch länger ignorieren konnte. Zumindest stöhnte er mehrfach, während er sich durch die Öffnung meiner Höhle zwängte, wobei er die Lampe mitnahm, und ächzte dann leise als er sich aufrichtete.
»Das hatte ich nicht erwartet«, flüsterte Ian.
»Es lügt natürlich«, flüsterte Jared zurück. Ich konnte sie gerade so eben verstehen. Ihnen war offenbar nicht bewusst, wie weit die Geräusche hier trugen. »Allerdings ... ist mir nicht ganz, was es uns glauben machen will - wo es uns hinhaben will.«
»Ich glaube nicht, dass es lügt. Außer das eine Mal. Ist dir das aufgefallen?«
»Das ist Teil der Show.«
»Jared, wann hast du je von einem Parasiten gehört, der in der Lage war zu lügen? Außer einem Sucher natürlich.«
»Was dieser hier sein muss.« »Ist das dein Ernst?«