»Es ist die beste Erklärung. «
»Ich habe noch nie ein Wesen gesehen, das weniger mit einem Sucher gemein hatte als sie ... als es. Wenn ein Sucher irgendeine Ahnung gehabt hätte, wie er uns finden könnte, hätte er eine ganze Armee mitgebracht.«
»Und sie hätten nichts gefunden. Aber sie ... es hat es hierherein geschafft, stimmt's?«
»Es ist schon ein halbes Dutzend Mal fast umgebracht worden ...«
»Aber es ist immer noch am Leben, oder?«
Sie schwiegen lange. So lange, dass ich darüber nachzudenken begann, mich aus der verkrampften Haltung, in der ich mich zusammengerollt hatte, zu befreien, aber ich wollte kein Geräusch machen. Ich wünschte, Ian würde gehen, damit ich versuchen konnte zu schlafen - das Adrenalin hatte mich völlig ausgelaugt zurückgelassen, nachdem es aus meinem Organismus wieder verschwunden war.
»Ich glaube, ich werde mit Jeb sprechen«, flüsterte Ian schließlich. »Was für eine spitzenmäßige Idee.« Jareds Stimme troff vor Ironie.
»Erinnerst du dich noch an die erste Nacht? Als es sich zwischen dich und Kyle gestellt hat? Das war doch total seltsam.«
»Es hat nur versucht, einen Weg zu finden, um am Leben zu bleiben, um zu fliehen ...«
»Indem es sich Kyle ausliefert, damit er sie ... es tötet? Toller Plan.«
»Es hatte den gewünschten Effekt.«
»Jebs Knarre hatte den gewünschten Effekt. Wusste sie, dass er auf dem Weg hierher war?«
»Du denkst über dieses Wesen nach, Ian. Genau das will es doch erreichen.«
»Ich glaube, du irrst dich. Ich weiß nicht, warum ... aber ich glaube, sie will überhaupt nicht, dass wir über sie nachdenken.« Ich hörte, wie Ian aufstand. »Weißt du, was wirklich verrückt ist?«, murmelte er mit noch leiserer Stimme als vorher.
»Was denn?«
»Ich habe mich schuldig gefühlt - furchtbar schuldig -, als ich gesehen habe, wie sie vor uns zurückgeschreckt ist. Als ich die blauen Flecken auf ihrem Hals gesehen habe.«
»Du darfst das nicht so nah an dich ranlassen.« Jared war plötzlich beunruhigt. »Es ist kein Mensch. Vergiss das nicht.«
»Glaubst du, nur weil sie kein Mensch ist, kann sie keine Schmerzen empfinden?«, fragte Ian, während sich seine Stimme in der Ferne verlor. »Meinst du, sie fühlt sich nicht wie ein Mädchen, das verprügelt wurde ... von uns?«
»Krieg dich wieder in den Griff«, zischte Jared hinter ihm her. »Bis dann, Jared.«
Nachdem Ian weg war, kam Jared lange nicht zur Ruhe; er ging eine Weile vor der Höhle hin und her, dann setzte er sich auf die Matte, wodurch er mir das Licht nahm, und murmelte unverständlich vor sich hin. Ich gab es auf, darauf zu warten, dass er einschlief und streckte mich so gut es ging auf dem schüsselförmigen Boden aus. Er erschrak, als ich ein Geräusch machte, und begann dann erneut vor sich hin zu murmeln.
»Schuldig«, knurrte er bissig. »Er lässt es zu sehr an sich ran. Genau wie Jeb, wie Jamie. Das kann so nicht weitergehen. Es war dumm von mir, es am Leben zu lassen.«
Ich bekam eine Gänsehaut, versuchte sie jedoch zu ignorieren. Wenn ich jedes Mal in Panik ausbrach, sobald er darüber nachdachte, mich umzubringen, hätte ich keinen Augenblick Ruhe. Ich drehte mich auf den Bauch, damit sich meine Wirbelsäule in die andere Richtung durchbog, und er schreckte erneut auf und verfiel dann in Schweigen. Bestimmt brütete er immer noch, als ich schließlich einschlief. Als ich aufwachte, saß Jared so auf der Matte, dass ich ihn sehen konnte, die Ellbogen auf die Knie gestützt, sein Kopf an eine Faust gelehnt. Ich hatte nicht den Eindruck, mehr als ein oder zwei Stunden geschlafen zu haben, aber mir tat alles weh, so dass ich nicht gleich wieder einschlafen konnte. Stattdessen dachte ich über Ians Besuch nach und fürchtete, dass Jared nach Ians seltsamer Reaktion jetzt nur noch stärker darauf bedacht sein würde, mich abzuschotten. Hätte Ian nicht den Mund halten können, was seine Schuldgefühle anging? Wenn er wusste, dass er sich schuldig fühlen würde, warum ließ er es dann nicht gleich bleiben, irgendwelche Leute zu würgen? Melanie war ebenfalls wütend auf Ian und machte sich Sorgen, was seine Gewissensbisse für Folgen haben würden. Nur wenige Minuten später wurden unsere Überlegungen unterbrochen.
»Ich bin's nur«, hörte ich Jeb rufen. »Reg dich nicht auf.« Jared hob das Gewehr.
»Na los, erschieß mich, Junge. Na los.« Das Geräusch von Jebs Stimme kam mit jedem Wort näher.
Jared seufzte und nahm das Gewehr herunter. »Bitte geh.«
»Muss mit dir reden«, sagte Jeb und prustete, als er sich neben Jared auf die Matte setzte. »Hallo da drinnen«, sagte er und nickte in meine Richtung.
»Du weißt, wie sehr ich das hasse«, murmelte Jared.
»Jep.«
»Ian hat mir schon von den Suchern erzählt.«
»Ich weiß. Ich habe gerade mit ihm darüber gesprochen.« »Gut. Was willst du dann?«
»Es geht nicht so sehr darum, was ich will. Sondern eher darum, was wir brauchen. Fast alles wird langsam knapp. Wir brauchen einen groß angelegten Beutezug.«
»Oh«, murmelte Jared; er hatte mit einem anderen Thema gerechnet. Nach einer kurzen Pause sagte er: »Schick Kyle.«
»Okay«, sagte Jeb leichthin und stützte sich an der Wand ab, um sich wieder aufzurichten.
Jared seufzte. Offenbar war sein Vorschlag nicht wirklich ernst gemeint gewesen. Er knickte sofort ein, als Jeb darauf einging. »Nein. Kyle nicht. Er ist zu ...«
Jeb kicherte. »Hat uns beinahe in die Scheiße geritten, als er das letzte Mal alleine unterwegs war, was? Keiner, der groß nachdenkt. Wie wär's mit Ian?«
»Der denkt zu viel nach.«
»Brandt?«
»Der taugt nicht für die langen Touren. Fängt nach ein paar Wochen an Panik zu kriegen. Macht Fehler.«
»Okay, wer dann?«
Die Sekunden verstrichen und ich hörte, wie Jared gelegentlich Luft holte, als wollte er Jeb antworten, aber dann atmete er jedes Mal wieder aus, ohne etwas zu sagen.
»Ian und Kyle gemeinsam?«, fragte Jeb. »Vielleicht gleichen sie sich gegenseitig aus.«
Jared knurrte. »Wie beim letzten Mal? Okay, okay, ich weiß, dass ich selbst gehen muss.«
»Du bist der Beste«, stimmte Jeb ihm zu. »Seit du hier aufgetaucht bist, hat sich unser Leben verändert.«
Melanie und ich nickten vor uns hin; das überraschte keine von uns beiden.
Jared ist unglaublich. Jamie und ich waren vollkommen sicher, solange wir uns auf Jareds Instinkte verlassen konnten; wir sind nie auch nur annähernd in Gefahr geraten. Wenn das in Chicago Jared gewesen wäre, bin ich sicher, er wäre nicht erwischt worden.
Jared wies mit der Schulter in meine Richtung. »Und was ist mit ...?«
»Ich werde ein Auge auf sie haben, sooft ich kann. Und du solltest Kyle mitnehmen, das wird helfen.«
»Das wird nicht reichen - dass Kyle weg ist und du ein Auge auf sie hast, sooft du kannst. Sie ... es wird nicht lange am Leben bleiben.«
Jeb zuckte mit den Schultern. »Ich werde mein Bestes geben. Das ist alles, was ich tun kann.«
Jared begann langsam den Kopf zu schütteln.
»Wie lange willst du noch hier unten bleiben?«, fragte Jeb ihn. »Ich weiß es nicht«, flüsterte Jared. Sie schwiegen lange. Nach ein paar Minuten begann Jeb unmelodisch vor sich hin zu pfeifen. Schließlich atmete Jared lautstark aus. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass er die Luft angehalten hatte.