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Er war einen Kopf kleiner als die Erwachsenen neben ihm, aber größer als die zwei jüngeren Kinder, die auf der anderen Seite neben ihm auf dem Tresen saßen. Er sprang leichtfüßig auf den Boden und ging hinter Jeb her. Sein Gesichtsausdruck war starr und angespannt, als versuche er, eine schwierige Gleichung im Kopf zu lösen. Er fixierte mich aus schmalen Augen, als er sich mir in Jebs Windschatten näherte. Jetzt war ich nicht mehr die Einzige im Raum, die den Atem anhielt. Die Blicke der anderen wanderten zwischen mir und Melanies Bruder hin und her.

Oh, Jamie, dachte Melanie. Sie war entsetzt über den traurigen, erwachsenen Ausdruck auf seinem Gesicht und ich vermutlich sogar noch mehr. Sie fühlte sich nicht so schuldig daran wie ich.

Wenn wir das nur wieder rückgängig machen könnten, sagte sie und seufzte.

Dafür ist es zu spät. Aber was können wir jetzt noch tun, um es besser zu machen? Es war nur eine rhetorische Frage, aber ich stellte fest, dass ich trotzdem nach einer Antwort suchte und Melanie ebenfalls. In dem winzigen Augenblick, der uns zum Nachdenken blieb, fanden wir keine. Ich war sicher, es gab auch keine. Aber wir wussten beide, dass wir weiter danach suchen würden, sobald diese dämliche Führung vorbei war und wir Gelegenheit zum Nachdenken hatten. Falls wir so lange am Leben blieben.

»Was gibt's, Junge?«, fragte Jeb, ohne ihn anzusehen.

»Ich wollte bloß wissen, was ihr hier macht«, antwortete Jamie. Er bemühte sich, es beiläufig klingen zu lassen, was ihm auch fast gelang.

Jeb blieb stehen, als er bei mir angelangt war, und drehte sich zu Jamie um. »Ich mache eine Führung für sie. So wie für jeden Neuankömmling.«

Erneut war ein Murren zu vernehmen. »Kann ich mitkommen?«, fragte Jamie.

Ich sah, wie Sharon mit wütendem Gesichtsausdruck heftig den Kopf schüttelte. Jeb ignorierte sie.

»Ich hab nichts dagegen ... wenn du dich zu benehmen weißt.«

Jamie zuckte mit den Schultern. »Kein Problem.«

Jetzt konnte ich nicht länger stillhalten - und krallte die Hände vor meinem Körper ineinander. Ich hätte ihm so gern das strubbelige Haar aus der Stirn gestrichen und dann meinen Arm um seinen Nacken gelegt. Etwas, das sicher nicht besonders gut angekommen wäre.

»Na dann los«, sagte Jeb zu uns beiden. Er führte uns denselben Weg zurück, den wir gekommen waren. Jeb ging auf der einen Seite neben mir her und Jamie auf der anderen. Jamie schien zu versuchen, den Blick auf den Boden gerichtet zu halten, aber er sah immer wieder zu meinem Gesicht hoch - genau wie ich es nicht vermeiden konnte, zu seinem hinunterzuschauen. Immer wenn unsere Blicke sich trafen, sahen wir schnell weg.

Wir waren ungefähr in der Mitte des breiten Gangs, als ich leise Schritte hinter uns hörte. Ich reagierte blitzschnell und ohne nachzudenken, sprang zur Seite und schob Jamie mit einem Arm hinter mich, so dass ich zwischen ihm und wem auch immer, der es diesmal auf mich abgesehen hatte, zu stehen kam.

»He!«, protestierte er, aber er stieß meinen Arm nicht weg. Jeb war genauso schnell. Das Gewehr wirbelte in rasender Geschwindigkeit herum.

Ian und der Doktor hoben beide die Hände über den Kopf. »Wir wissen uns auch zu benehmen«, sagte der Doktor. Es war schwer zu glauben, dass dieser Mann mit der sanften Stimme und dem freundlichen Gesicht der örtliche Folterer sein sollte; gerade weil sein Äußeres so gutmütig wirkte, hatte ich nur noch mehr Angst vor ihm. In einer dunklen und unheilvollen Nacht wäre man wachsam und vorbereitet. Aber an einem hellen, sonnigen Tag? Woher sollte man wissen, dass man fliehen musste, wenn man keinen Grund zur Flucht erkennen konnte?

Jeb sah Ian an, der Gewehrlauf folgte seinem Blick. »Ich mache keinen Ärger, Jeb. Ich werde mich genauso gut benehmen wie Doc.«

»Gut«, sagte Jeb kurz angebunden und nahm das Gewehr herunter. »Aber provoziert mich bloß nicht. Ich habe schon verdammt lange keinen mehr erschossen und vermisse irgendwie den Kick.«

Ich keuchte. Alle hörten es und bemerkten meinen entsetzten Gesichtsausdruck. Der Doktor lachte als Erster, aber dann fiel sogar Jamie kurz ein.

»Das ist nur ein Witz«, flüsterte er mir zu. Seine Hand zuckte kurz, fast so, als wollte er sie nach meiner ausstrecken, aber er schob sie schnell in die Tasche seiner Shorts. Ich ließ meinen Arm - den ich schützend vor seinem Körper ausgestreckt hatte - ebenfalls sinken.

»Also dann, wir verplempern unsere Zeit«, sagte Jeb immer noch leicht mürrisch. »Seht zu, dass ihr hinterherkommt, ich habe nicht vor, auf euch zu warten.« Noch bevor er ausgeredet hatte, marschierte er weiter.

Benannt

Ich hielt mich dicht neben Jeb und ein bisschen vor ihm. Ich wollte so weit wie möglich von den zwei Männern entfernt sein, die uns folgten. Jamie ging irgendwo in der Mitte, unsicher, wem er sich anschließen sollte.

Ich konnte mich nicht besonders auf den Rest von Jebs Führung konzentrieren. Meine Aufmerksamkeit galt weder den anderen Beeten, an denen er mich vorbeiführte - auf einem von ihnen wuchs hüfthoher Mais in der glühenden Hitze der glänzenden Spiegel -, noch der weitläufigen, aber niedrigen Höhle, die er die Sporthalle nannte. Hier war es stockdunkel und der Raum lag tief unter der Erde, aber er sagte, sie würden Lampen mitbringen, wenn sie spielen wollten. Das Wort spielen ergab für mich keinen Sinn, nicht hier in dieser Gruppe angespannter, wütender Überlebender, aber ich bat ihn nicht um eine Erklärung. Hier gab es auch Wasser, eine kleine, schwefelhaltige Quelle, von der Jeb sagte, dass sie sie manchmal als zusätzliche Latrine benutzten, da man das Wasser nicht trinken konnte.

Meine Aufmerksamkeit war geteilt zwischen den Männern, die hinter uns hergingen, und dem Jungen neben mir.

Ian und der Doktor benahmen sich erstaunlich gut. Niemand griff mich von hinten an - obwohl ich schon dachte, meine Augen würden aus meinem Hinterkopf wachsen, weil ich so angestrengt zu sehen versuchte, ob sie das vorhatten. Sie folgten uns einfach ruhig, manchmal unterhielten sie sich leise miteinander. Ihre Gespräche drehten sich um Namen, die ich nicht kannte, und Spitznamen für Orte oder Dinge, die sich vielleicht hier in diesen Höhlen befanden, vielleicht aber auch nicht. Ich verstand kein Wort.

Jamie sagte nichts, aber er sah mich oft an. Wenn ich nicht gerade versuchte, die anderen im Auge zu behalten, schielte ich ebenfalls ständig zu ihm hinüber. Das alles ließ mir wenig Zeit, um die Dinge zu bewundern, die Jeb mir zeigte, aber er schien meine Unruhe nicht zu bemerken.

Einige der Tunnel waren sehr lang - es war unfassbar, welche Entfernungen man hier im Untergrund zurücklegen konnte. Oft stockdunkel, aber Jeb und die anderen zögerten eigentlich nie, sie alle waren eindeutig vertraut mit ihrer Umgebung und schon lange daran gewöhnt, sich im Dunkeln fortzubewegen. Für mich war es so schwieriger, als wenn Jeb und ich in der Dunkelheit allein waren. Jedes Geräusch klang wie ein Angriff. Sogar das harmlose Geplauder zwischen dem Doktor und Ian kam mir wie die Tarnung eines drohenden Übergriffes vor.

Paranoia, bemerkte Melanie.

Wenn das nötig ist, um uns am Leben zu erhalten, soll es mir recht sein.