»Gute Nacht«, murmelte er schläfrig.
Natürlich antwortete ich nicht. Ich betrachtete ihn im fahlen Mondlicht und maß die Zeit zwischen dem Heben und Senken seines Brustkorbs mit Hilfe meines Pulsschlags, der mir in den Ohren hämmerte. Sein Atem wurde langsamer und tiefer und dann begann Doc leise zu schnarchen.
Möglicherweise verstellte er sich nur, aber selbst wenn es so war, konnte ich es nicht ändern. Leise rutschte ich weiter in den Raum hinein, bis ich mit dem Rücken an den Rand der Matratze stieß. Ich hatte mir geschworen, die Ruhe dieses Zimmers nicht zu stören, aber es würde wahrscheinlich niemandem wehtun, wenn ich mich am Fußende des Bettes zusammenrollte. Der Boden war so hart und uneben.
Das sanfte Schnarchen des Doktors war tröstlich; selbst wenn er mich damit in Sicherheit wiegen wollte, wusste ich so doch wenigstens, wo genau in der Dunkelheit er sich befand.
Ich beschloss, es drauf ankommen zu lassen und mich schlafen zu legen. Ich war hundemüde, wie Melanie sagen würde. Die Augen fielen mir zu. Die Matratze war weicher als alles, womit ich seit meiner Ankunft hier in Berührung gekommen war. Ich entspannte mich, ließ mich hineinsinken ...
Da ertönte ein leises scharrendes Geräusch - und zwar bei mir im Raum. Ich riss die Augen auf und sah einen Schatten zwischen mir und der vom Mondschein erhellten Decke. Von draußen war das ununterbrochene Schnarchen des Doktors zu hören.
Gebeichtet
Der Schatten war riesig und unförmig. Er ragte hoch über mir auf und sein ausladender Oberkörper näherte sich meinem Gesicht.
Ich wollte schreien, aber das Geräusch blieb mir im Hals stecken. Alles, was ich hervorbrachte, war ein atemloses Quieken.
»Psst, ich bin's nur«, flüsterte Jamie. Etwas Großes, Rundliches rollte von seiner Schulter und schlug weich auf dem Boden auf. Jetzt erkannte ich seinen wahren, schmalen Umriss im Mondlicht.
Ich schnappte ein paarmal nach Luft und fasste mir mit der Hand an die Kehle.
»Entschuldige«, flüsterte er und setzte sich auf den Rand der Matratze. »Das war wahrscheinlich ziemlich dumm von mir. Ich wollte Doc nicht wecken - ich bin überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass ich dich erschrecken könnte. Alles in Ordnung?« Er tätschelte meinen Knöchel - den Körperteil von mir, der ihm am nächsten war.
»Klar«, keuchte ich immer noch atemlos. »Entschuldige«, murmelte er noch einmal.
»Was machst du hier, Jamie? Solltest du nicht schlafen?« »Deshalb bin ich hier. Du kannst dir nicht vorstellen, wie laut Onkel Jeb schnarcht. Ich hab es nicht mehr ausgehalten.«
Seine Antwort ergab für mich keinen Sinn. »Schläfst du denn sonst nicht mit Jeb im selben Raum?«
Jamie gähnte und begann die unförmige Matte auszurollen, die er auf den Boden geworfen hatte. »Nein, normalerweise schlafe ich bei Jared. Der schnarcht nicht. Aber das weißt du ja.«
Das wusste ich.
»Und warum schläfst du dann nicht in Jareds Zimmer? Hast du Angst, alleine zu schlafen?« Das hätte mich nicht gewundert.
Ich hatte selbst den Eindruck, hier ununterbrochen Angst zu haben.
»Angst!«, stieß er beleidigt hervor. »Nein. Das hier ist Jareds Zimmer. Und meins.«
»Was?« Ich schnappte nach Luft. »Jeb hat mich in Jareds Zimmer untergebracht?!«
Ich konnte es nicht glauben. Jared würde mich umbringen.
Nein, erst würde er Jeb umbringen und dann mich.
»Es ist auch mein Zimmer. Und ich habe Jeb gesagt, du könntest es haben.«
»Jared wird wütend sein«, flüsterte ich.
»Ich kann mit meinem Zimmer machen, was ich will«, murmelte Jamie aufmüpfig, aber dann biss er sich auf die Lippe. »Wir sagen es ihm einfach nicht. Er muss es ja nicht erfahren.« Ich nickte. »Gute Idee.«
»Es macht dir doch nichts aus, wenn ich hier bei dir schlafe, oder? Onkel Jeb ist echt laut.«
»Nein, Jamie, mir macht es nichts aus, aber ich halte es trotzdem für keine gute Idee.«
Er runzelte die Stirn und versuchte stark zu sein anstatt verletzt. »Warum nicht?«
»Weil du hier nicht sicher bist. Manchmal kommen nachts Leute, die mich suchen.«
Er bekam große Augen. »Ehrlich?«
»Jared hatte immer das Gewehr bei sich - dann sind sie wieder gegangen.«
»Wer?«
»Ich weiß es nicht - einmal war es Kyle. Aber es waren bestimmt auch welche darunter, die immer noch hier sind.«
Er nickte.
»Dann sollte ich erst recht hierbleiben. Doc braucht vielleicht Hilfe.«
»Jamie ...«
»Ich bin kein Kind mehr, Wanda. Ich kann sehr gut allein auf mich aufpassen.«
Es würde ihn nur noch störrischer machen, wenn ich weiter in ihn drang. »Dann leg dich wenigstens ins Bett«, gab ich nach. »Ich schlafe auf dem Boden. Es ist schließlich dein Zimmer.«
»Das ist nicht in Ordnung. Du bist der Gast.«
Ich schnaubte leise. »Nein, das Bett gehört dir.«
»Kommt nicht in Frage.« Er legte sich auf die Matte und verschränkte die Arme vor der Brust.
Ich musste erneut feststellen, dass ich mit einem Wortwechsel bei Jamie nichts erreichen würde. Nun, diese Angelegenheit konnte ich problemlos regeln, sobald er eingeschlafen war. Jamie schlief normalerweise so fest, als läge er im Koma. Melanie konnte ihn dann sonst wohin tragen.
»Du kannst mein Kissen haben«, sagte er und klopfte auf das an der Seite des Bettes, neben der er lag. »Du musst dich nicht ans Fußende quetschen.«
Ich seufzte, krabbelte aber ans Kopfende des Bettes.
»Schon besser«, sagte er beifällig. »Könntest du mir jetzt bitte Jareds rübergeben?«
Ich zögerte und war kurz davor, nach dem Kissen unter meinem Kopf zu greifen - da sprang er auf, lehnte sich über mich und schnappte sich das andere Kissen. Ich seufzte wieder.
Wir lagen eine Weile lang schweigend da und lauschten auf Docs leise pfeifende Schnarchgeräusche.
»Docs Schnarchen ist ganz angenehm, oder?«, flüsterte Jamie.
Ich gab ihm Recht. »Es wird dich nicht vom Schlafen abhalten.«
»Bist du müde?«
»Mhm.«
»Oh.«
Ich wartete darauf, dass er noch etwas sagte, aber Jamie schwieg.
»Wolltest du noch was?«, fragte ich.
Er antwortete nicht gleich, aber ich konnte spüren, wie er mit sich kämpfte, und wartete ab.
»Wenn ich dir eine Frage stelle, würdest du mir die Wahrheit sagen?«
Jetzt war ich es, die zögerte. »Vielleicht weiß ich die Antwort ja gar nicht«, sagte ich ausweichend.
»Auf das hier schon. Als wir vorhin weggegangen sind ... Jeb und ich ... hat er mir ein paar Sachen gesagt. Sachen, die er so denkt, aber ich weiß nicht, ob er Recht hat.« Melanie war plötzlich sehr präsent in meinem Kopf.
Jamies Flüstern war schwer zu verstehen, leiser als mein Atem. »Onkel Jeb glaubt, dass Melanie vielleicht noch lebt. Da drinnen mit dir, meine ich.«
Mein Jamie, seufzte Melanie. Ich antwortete keinem von beiden.
»Ich wusste nicht, dass das passieren kann. Kommt das manchmal vor?« Seine Stimme versagte und ich konnte hören, dass er mit den Tränen kämpfte. Er war niemand, der schnell weinte, und ich hatte ihn heute bereits zweimal dazu gebracht. Ein heftiger Schmerz durchbohrte meine Brust.
»Ja, Wanda?«
Sag es ihm. Bitte sag ihm, dass ich ihn lieb habe.
»Warum antwortest du mir nicht?« Jetzt weinte Jamie wirklich, aber er versuchte, das Geräusch zu ersticken.
Ich kroch aus dem Bett, quetschte mich in die Lücke zwischen der Matratze und der Matte und legte meinen Arm auf seine bebende Brust. Ich lehnte meinen Kopf an seine Haare und spürte seine warmen Tränen auf meinem Hals.