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»Lebt Melanie noch, Wanda? Bitte.«

Er war wahrscheinlich nur ein Werkzeug. Der alte Mann könnte ihn sehr gut nur deswegen hergeschickt haben; Jeb war schlau genug, um zu erkennen, wie leicht Jamie meinen Panzer durchbrach. Möglicherweise wollte Jeb seine Theorie bestätigt haben und schreckte nicht davor zurück, den Jungen dafür zu benutzen. Was würde Jeb tun, wenn er die gefährliche Wahrheit kannte? Wozu würde er die Information verwenden? Ich glaubte nicht, dass er mir Böses wollte, aber konnte ich meinem Urteil trauen? Menschen waren hinterhältige, verräterische Wesen. Da es so etwas bei meiner Spezies nicht gab, war ich nicht in der Lage, ihre finsteren Pläne zu durchschauen.

Jamie neben mir zitterte.

Siehst du nicht, wie er leidet? Melanie weinte. Erfolglos versuchte sie meine Kontrolle zu durchbrechen.

Aber ich würde es nicht auf Melanie schieben können, wenn es sich als Riesenfehler entpuppte. Ich wusste, welche von uns es war, die jetzt das Wort ergriff.

»Sie hat dir versprochen zurückzukommen, nicht wahr?«, murmelte ich. »Würde Melanie je ein Versprechen brechen, das sie dir gegeben hat?«

Jamie schlang die Arme um meinen Körper und klammerte sich eine ganze Weile an mich. Nach ein paar Minuten flüsterte er: »Ich hab dich lieb, Mel.«

»Sie hat dich auch lieb. Sie ist so glücklich, dass du hier in Sicherheit bist.«

Es war lange genug still, dass die Tränen auf meiner Haut trocknen konnten, wobei sie einen feinen, salzigen Film zurückließen. »Ist das immer so?«, flüsterte Jamie, als ich dachte, er schliefe schon längst. »Bleiben sie alle da?«

»Nein«, sagte ich traurig. »Nein. Melanie ist etwas Besonderes.«

»Sie ist stark und mutig.« »Allerdings.«

»Glaubst du ...« Er machte eine Pause und schniefte. »Glaubst du, dass Dad vielleicht auch noch da ist?«

Ich schluckte, um den Kloß in meinem Hals weiter nach unten zu befördern. Es klappte nicht. »Nein, Jamie. Nein, das glaube ich nicht. Nicht so wie Melanie.«

»Warum?«

»Weil er die Sucher zu euch geführt hat. Besser gesagt, die Seele in ihm hat das getan. Dein Vater hätte das nicht zugelassen, wenn er noch da wäre. Deine Schwester hat mich nie sehen lassen, wo sich die Hütte befand - ich wusste ganz lange nicht einmal, dass du überhaupt existierst. Sie hat mich erst hierhergebracht, als sie sicher war, dass ich euch nichts tun würde.«

Ich hatte zu viel preisgegeben. Erst als ich wieder schwieg, merkte ich, dass der Doktor nicht mehr schnarchte. Ich konnte ihn nicht mal atmen hören. Idiotin! Ich verfluchte mich innerlich selbst.

»Unglaublich«, sagte Jamie.

Ich flüsterte ihm ins Ohr, so leise, dass der Doktor es unmöglich hören konnte: »Ja, sie ist sehr stark.«

Jamie bemühte sich mit gerunzelter Stirn zu verstehen, was ich sagte, und warf dann plötzlich einen Blick auf die dunkle Öffnung zum Gang. Ihm musste dasselbe aufgefallen sein wie mir, denn er drehte sein Gesicht zu meinem Ohr und flüsterte leiser als vorher zurück: »Und warum tust du uns nichts? Ist es nicht das, worauf du es abgesehen hast?«

»Nein. Ich will dir nicht wehtun.«

»Warum nicht?«

»Deine Schwester und ich haben ... viel Zeit miteinander verbracht. Sie hat dich mit mir geteilt. Und ... ich habe angefangen ... dich ebenfalls zu lieben.«

»Und Jared auch?«

Einen Augenblick lang biss ich die Zähne aufeinander, verzweifelt, dass er die Verbindung so schnell gezogen hatte. »Natürlich will ich auch Jared nicht verletzen.«

»Er hasst dich«, erklärte Jamie, ganz offensichtlich bekümmert deswegen.

»Ja. Alle hassen mich.« Ich seufzte. »Ich kann es ihnen nicht verdenken.«

»Jeb nicht. Und ich auch nicht.«

»Das wirst du vielleicht noch, wenn du länger darüber nachdenkst.«

»Aber du warst doch bei der Invasion gar nicht dabei. Du hast meinen Dad oder meine Mom oder Melanie nicht ausgewählt. Du warst damals im Weltraum, oder?«

»Das stimmt, aber ich bin, was ich bin, Jamie. Ich habe getan, was Seelen nun mal tun. Ich habe vor Melanie viele Wirte bewohnt und nichts hat mich davon abgehalten, Leben zu ... übernehmen. Immer wieder. So lebe ich.«

»Hasst Melanie dich?«

Ich dachte eine Minute lang nach. »Nicht so sehr wie früher.« Nein. Ich hasse dich überhaupt nicht. Nicht mehr.

»Sie sagt, sie hasst mich überhaupt nicht mehr«, murmelte ich fast lautlos.

»Wie ... wie geht es ihr?«

»Sie ist froh, hier zu sein. Sie ist so froh, dich zu sehen. Es macht ihr noch nicht einmal etwas aus, dass sie uns umbringen werden.«

Jamie erstarrte unter meinem Arm. »Das können sie nicht machen«, zischte er. »Nicht, wenn Melanie noch lebt!«

Du hast ihm einen Schreck eingejagt, beklagte sich Melanie. Das hättest du nicht sagen dürfen. Es wird nicht leichter für ihn sein, wenn es ihn unvorbereitet trifft.

»Das wird niemand glauben, Jamie«, flüsterte ich. »Sie werden denken, dass ich lüge, um dich zu täuschen. Wenn du es ihnen sagst, werden sie mich erst recht umbringen wollen. Nur Sucher lügen.«

Das Wort ließ ihn zusammenfahren.

»Aber ich weiß, dass du nicht lügst«, sagte er nach einem Augenblick. Ich zuckte mit den Achseln.

»Ich werde nicht zulassen, dass sie sie umbringen.«

Seine Stimme klang wild entschlossen, obwohl sie nur so leise war wie ein Hauch. Der Gedanke, ihn mit in diese Angelegenheit - in meine Angelegenheit - hineinzuziehen, lähmte mich. Ich dachte an die Barbaren, bei denen er lebte. Würde ihn sein Alter vor den Menschen schützen, wenn er für mich eintrat? Ich bezweifelte es. Meine Gedanken wirbelten durcheinander und suchten nach einer Möglichkeit, ihn abzulenken, ohne seine Sturheit auf den Plan zu rufen.

Bevor ich irgendetwas sagen konnte, sprach Jamie bereits weiter; er war plötzlich ganz ruhig, als ob die Antwort offen vor ihm läge. »Jared wird etwas einfallen. Ihm fällt immer etwas ein.«

»Jared wird dir genauso wenig glauben. Er wird sich von allen am meisten aufregen.«

»Auch wenn er es nicht glaubt, wird er sie beschützen. Sicherheitshalber.«

»Wir werden sehen«, murmelte ich. Ich würde die passenden Sätze später finden, das Machtwort, das nicht wie ein Machtwort klang.

Jamie schwieg; er dachte nach. Schließlich ging sein Atem langsamer und sein Mund klappte auf. Ich wartete, bis ich sicher war, dass er fest schlief, dann kletterte ich über ihn hinweg und schob ihn ganz vorsichtig vom Boden aufs Bett. Er war schwerer als früher, aber es gelang mir trotzdem. Er wachte nicht auf.

Ich legte Jareds Kissen zurück an seinen Platz und streckte mich dann auf der Matte aus.

Ich war zu müde, um mir Sorgen darüber zu machen, was all dies morgen für Konsequenzen haben würde. Nur wenige Sekunden später war ich eingeschlafen.

Als ich wieder aufwachte, drang Sonnenlicht durch die Spalten in der Decke und jemand pfiff. Das Pfeifen verstummte.

»Endlich«, brummte Jeb, als ich mit den Augen blinzelte.

Ich drehte mich auf die Seite, damit ich ihn ansehen konnte; als ich mich bewegte, rutschte Jamies Hand von meinem Arm. Irgendwann in der Nacht musste er sie nach mir ausgestreckt haben oder wohl eher nach seiner Schwester.

Jeb lehnte am steinernen Türrahmen, die Arme vor der Brust verschränkt. »Morgen«, sagte er. »Ausgeschlafen?«