Ich räkelte mich, beschloss, dass ich mich genügend ausgeruht fühlte, und nickte.
»Ach, komm, jetzt schweig mich doch nicht schon wieder an«, beklagte er sich missmutig.
»Entschuldigung«, murmelte ich. »Danke, ich habe gut geschlafen.«
Jamie wachte vom Geräusch meiner Stimme auf.
»Wanda?«, fragte er.
Das berührte mich auf geradezu lächerliche Weise, dass es mein alberner Spitzname war, den er im Halbschlaf sagte.
»Ja?«
Jamie blinzelte und strich sich die zerzausten Haare aus den Augen.
»Oh, hi, Onkel Jeb.«
»Mein Zimmer war dir wohl nicht gut genug, was?«
»Du schnarchst so fürchterlich«, sagte Jamie und gähnte. »Habe ich dir nicht bessere Manieren beigebracht?«, fragte ihn Jeb. »Seit wann lässt du einen Gast, und noch dazu eine Dame, auf dem Boden schlafen?«
Jamie setzte sich abrupt auf und sah sich verwirrt um. Er runzelte die Stirn.
»Mach ihm keine Vorwürfe«, erklärte ich Jeb. »Er hat darauf bestanden, die Matte zu nehmen. Ich habe ihn rübergerollt, nachdem er eingeschlafen war.«
Jamie schnaubte. »Das hat Mel auch immer gemacht.« Ich warf ihm einen warnenden Blick zu.
Jeb kicherte. Ich sah zu ihm auf. Genau wie gestern hatte sein Gesicht den Ausdruck einer lauernden Katze; einen Ausdruck der Befriedigung über ein gelöstes Rätsel. Er kam herein und trat gegen den Rand der Matratze.
»Du hast bereits die erste Stunde verpasst. Sharon wird deswegen bestimmt stinkig sein, also mach dich auf den Weg.«
»Sharon ist immer stinkig«, beklagte sich Jamie, stand aber trotzdem auf.
»Los jetzt, Junge.«
Jamie sah mich noch einmal an, dann drehte er sich um und verschwand im Gang.
»So«, sagte Jeb, sobald wir allein waren, »ich finde, dieser Babysitter-Quatsch hat schon viel zu lange gedauert. Ich bin ein vielbeschäftigter Mann. Alle hier sind vielbeschäftigt - zu beschäftigt, um herumzusitzen und Wache zu spielen. Deshalb wirst du heute mit mir mitkommen müssen, während ich meine Arbeit erledige.«
Ich merkte, wie mir der Mund aufklappte. Er schaute mich an, ohne zu lächeln.
»Sieh mich nicht so verschreckt an«, knurrte er. »Dir passiert schon nichts.« Er tätschelte sein Gewehr. »Mein Haus ist kein Ort für Babys.«
Darauf konnte ich nichts erwidern. Ich atmete dreimal schnell und tief durch und versuchte, meine Nerven zu beruhigen. Das Blut rauschte mir so laut in den Ohren, dass seine Stimme verglichen damit leise klang, als er weitersprach.
»Los, Wanda. Wir verschwenden unsere Zeit.«
Er drehte sich um und stürmte aus dem Zimmer.
Einen Moment lang stand ich wie erstarrt, dann folgte ich ihm hinaus. Er hatte nicht geblufft - er war bereits um die nächste Ecke verschwunden. Ich rannte hinter ihm her, entsetzt bei dem Gedanken, in diesem offensichtlich bewohnten Flügel in jemand anderen hineinzurennen. Ich holte ihn ein, bevor er die große Tunnelkreuzung erreichte. Er sah mich noch nicht mal an, als ich neben ihm langsamer wurde, um mich seinem Tempo anzupassen.
»Es wird Zeit, dass das nordöstliche Feld bepflanzt wird. Aber erst müssen wir die Erde auflockern. Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dir die Hände schmutzig zu machen. Wenn wir fertig sind, sorge ich dafür, dass du Gelegenheit bekommst, dich zu waschen. Du hast es nötig.« Er schnüffelte übertrieben, dann lachte er.
Ich spürte, wie mein Nacken heiß wurde, ignorierte aber den letzten Satz. »Es macht mir nichts aus, mir die Hände schmutzig zu machen«, murmelte ich. Ich erinnerte mich, dass das nordöstliche Feld etwas abgelegen war. Vielleicht konnten wir dort alleine arbeiten.
Sobald wir die große Haupthöhle erreichten, begegneten wir immer mehr Menschen. Wie üblich starrten sie mich alle grimmig an. Mittlerweile erkannte ich die meisten von ihnen wieder; die Frau mittleren Alters mit dem langen, graumelierten Zopf, die ich gestern in der Bewässerungsgruppe gesehen hatte. Der kleine Mann mit dem dicken Bauch, dem dünnen, sandfarbenen Haar und den geröteten Wangen war auch dabei gewesen. Die durchtrainierte Frau mit der dunklen, karamellfarbenen Haut war die, die sich gerade gebückt hatte, um ihren Schuh zuzubinden, als ich das erste Mal tagsüber hierhergekommen war. Einer anderen dunkelhäutigen Frau mit dicken Lippen und müden Augen war ich bereits in der Küche begegnet, zusammen mit den beiden schwarzhaarigen Kindern - vielleicht war sie deren Mutter? Jetzt kamen wir an Maggie vorbei - sie funkelte Jeb böse an und kehrte mir demonstrativ den Rücken zu - und an einem blassen, krank aussehenden Mann mit weißen Haaren, den ich ganz bestimmt noch nicht gesehen hatte. Dann trafen wir Ian.
»Hey, Jeb«, sagte er gutgelaunt. »Was hast du vor?«
»Den Boden auf dem Östlichen Feld umgraben«, grunzte Jeb. »Brauchst du Hilfe?«
»Wäre schon angebracht, wenn du dich ein bisschen nützlich machen würdest«, knurrte Jeb.
Ian fasste das als Zustimmung auf und schloss sich uns an.
Seine Augen in meinem Rücken verursachten mir Gänsehaut.
Wir kamen an einem jungen Mann vorbei, der nicht viel älter als Jamie sein konnte - sein dunkles Haar stand über seiner olivfarbenen Stirn ab, als wäre es Stahlwolle.
»Hey, Wes«, begrüßte Ian ihn.
Wes sah schweigend zu, wie wir an ihm vorbeigingen. Ian lachte über seinen Gesichtsausdruck.
Wir begegneten Doc.
»Hey, Doc«, sagte Ian.
»Ian.« Der Doktor nickte. Er trug einen großen Teigklumpen in den Händen. Sein Hemd war mit dunklem Mehl bedeckt. »Morgen, Jeb. Morgen, Wanda.«
»Morgen«, antwortete Jeb. Ich nickte unbehaglich.
»Bis dann«, sagte Doc und eilte mit seiner Last weiter.
»Wanda, hm?«, fragte Ian.
»Meine Idee«, erklärte ihm Jeb. »Ich finde, es passt zu ihr.« »Interessant« war alles, was Ian sagte.
Schließlich erreichten wir das östliche Feld, wo all meine Hoffnungen sich zerschlugen.
Hier waren mehr Leute als in den Gängen - fünf Frauen und neun Männer. Sie alle unterbrachen ihre Arbeit und schauten mich böse an.
»Kümmer dich nicht um sie«, raunte Jeb mir zu.
Indem er seinen eigenen Rat befolgte, ging er zu einem Haufen an der nächstgelegenen Wand, auf dem verschiedene Gerätschaften wild durcheinanderlagen, steckte das Gewehr in den Gurt, den er um die Taille trug, und griff nach einem Pickel und zwei Spaten.
Ich fühlte mich ausgeliefert, jetzt, wo er so weit weg war. Ian stand nur einen Schritt hinter mir - ich konnte ihn atmen hören. Die anderen starrten mich mit ihren Gartengeräten in der Hand weiterhin wütend an. Es entging mir nicht, dass man mit den Hacken und Pickeln, mit denen sie auf die Erde einhackten, auch problemlos auf einen Körper einhacken konnte. In einigen ihrer Gesichter meinte ich zu erkennen, dass ich nicht die Einzige war, die diesen Gedanken hatte.
Jeb kam zurück und reichte mir einen Spaten. Ich griff nach dem glatten, abgenutzten Holzgriff und spürte sein Gewicht. Nachdem ich die blutrünstigen Blicke der Menschen gesehen hatte, war es schwierig, ihn nicht als Waffe zu betrachten. Der Gedanke gefiel mir nicht. Ich bezweifelte, dass ich ihn als solche verwenden konnte, und sei es auch nur, um einen Schlag abzuwehren.
Jeb gab Ian den Pickel. Das scharfe, geschwärzte Metall wirkte in seiner Hand tödlich. Ich musste meine ganze Willenskraft aufbringen, um nicht aus seiner Reichweite zu fliehen. »Lasst uns die hintere Ecke übernehmen.«
Wenigstens brachte mich Jeb an den am wenigsten bevölkerten Platz in der langgestreckten, sonnigen Höhle. Er ließ Ian die steinharte Erde vor uns zerhacken, während ich die Erdklumpen wendete und er hinter uns mit der Spatenkante die Brocken in nutzbaren Boden zerstach.
Als ich den Schweiß über Ians helle Haut rinnen sah - bereits nach wenigen Sekunden in der sengenden Hitze des Spiegellichts hatte er sein Hemd ausgezogen - und Jebs keuchenden Atem hinter mir hörte, war mir klar, dass ich die leichteste Aufgabe hatte. Ich wünschte, ich hätte etwas Anstrengenderes zu tun, etwas, das mich von den Bewegungen der anderen Menschen ablenkte. Jede Regung ließ mich zusammenzucken.