Выбрать главу

Jasmin sieht mich hin und wieder an als

sei sie völlig geheilt und würde nun endlich so mit mir reden wie ich es seit meinen Kindertagen von ihr wünsche als sie so lange in Paris lebte aber sie schweigt dann nur auf eine noch schmerzlichere Art nur mit Eren und Huda ja eigentlich nur mit dieser aufsässigen spottlustigen und scheinbar oberflächlichen Huda habe ich in den letzten Jahren über alles geredet

jetzt bräuchte ich sie so sehr

nachts

wenn ich zwischen meinen Cousinen liege mit denen ich viel spreche aber auf eine seltsam vorsichtige und befangene Art vielleicht weil wir uns schon seit unseren Kindertagen kennen es lässt sich nicht gut ändern es ist als könnte man (wie mit Sami) nicht zusammen erwachsen werden dabei ist Miral mit ihrem

versperrten

Lehrerinnen-Studium in der gleichen Lage wie ich und eine interessante junge Frau geworden ich weiß auch von Selim dem jungen verheirateten dreifachen Vater in der Nachbarschaft dessen Blicke sie quälen wie etwas das man

genüsslich in sich hineinbohrt

würde Huda sagen und kichern alles ist so ernst so verschlossen wir wälzen uns in den stickigen Sommernächten auf den Betten manchmal wird es mir bleischwer im Herzen und im Kopf die riesige Bleifaust in meinem Bauch aber manchmal kann ich mich erheben durchsichtig werden und fliegen wie in meinen Mädchenträumen ich sage mir dass Du vielleicht schon nach Wasiriya gezogen bist wenn der Muezzin ruft habe ich oft das Gefühl noch keine Stunde geschlafen zu haben es fallen

keine Bomben mehr aber doch immer wieder Schüsse in dieser oder jenen Nacht meine stillen geduldigen Cousinen und ich träumen drehen werfen uns schweißnass herum wir springen immer wieder in den gleichen Quadraten wirf das Steinchen springe mache keinen Fehler

wahid

ithnan

thalatha

arbaa

so versuchen wir immer die Gleichen zu bleiben

in der Familie

aber

alles ändert sich das ganze Land stülpt sich um hüpfe schneller auf einem Bein

am Morgen ist

schon wieder eine Woche vergangen und nur scheinbar hat sich nichts verändert wir schlafen weiter während wir arbeiten oder uns mit Nichtstun quälen bis zum Mittagessen erneut

backen wir

erneut schlagen die blauen Gasflammen durch den Rost erneut zieht Sara den Teig über ihren gespreizten Fingern aus erneut

gibt es einen Brief in einem Umschlag beschrieben von Hind ich trage ihn zwei Stunden lang wie eine zärtliche Hand auf meiner Brust dann öffne ich ihn und die Schlange

beißt in mein Herz

… um es kurz zu machen: Mein Onkel hat lange mit mir gesprochen. Mein Gewissen ebenfalls. Deine Familie ist größtenteils sunnitisch. Aber wie Du weißt, will ich den Onkel bitten, mich zu unterstützen, ein Glaubenslehrer der Schia zu werden. Er wird mir hoffentlich auch dabei helfen, wenn ich mir treu bleibe. Deshalb sollten wir uns nicht mehr sehen. Ich wünsche Dir alles Gute auf Deinem Weg.

Vertraue in Gott den Allmächtigen, lobe und preise Ihn, in dessen Händen Alles liegt!

Dein

Nabil

Tarik

Du denkst

ICH kann es nicht sein der den BRIEF DES KALIFEN in der Innentasche eines leichten hellgrauen Jacketts trägt (das Gewicht dieses ungeheuerlichen Schreibens risse mich auch augenblicklich in den Staub) wie denn käme ICH hinaus aus den Schrecken Verwerfungen alltäglichen Demütigungen und Beschießungen der ROTEN ZONE des Blutes des Feuers jenes recht beträchtlichen Teils unseres Landes in dem die Waffen der Koalitionstruppen entsichert zu tragen sind vom Hafen Sindbads also durch das Marschland der Schilfhütten und der wilden Frauen über die Lager der Moschee-Besetzer von Nadschaf die Zelte der Flagellanten von Kerbela die Ruinen und Massengräber Babylons das Häusermeer des Bagdads der gewöhnlichen Sterblichen und ungewöhnlich Sterbenden bis hinauf in den Norden über dessen Berge sie die Ölfässer in die Türkei rollen kurzum allüberall in unserem Chamäleonen-Land in dem ein jeder ROT sieht ganz egal ob er grün oder schwarz denkt oder vielmehr zu denken versucht bevor er nach seiner Kalaschnikow greift und beginnt zu

argumentieren

mir jedoch gelingt es gelassen zu bleiben und Paradiese jenseits der Wut zu entdecken und ich sage

Ali mein Freund dein Tier hat Ruhe verdient ich nehme es mit in die

GREEN ZONE

auch wenn es gar nicht ICH sein kann (oder ich sein will) der da auf einem perlgrau bezogenen Limousinensitz dahinschwebt dein Tier Ali reist gut verborgen in meinem Kopf mitten hinein in das leuchtende von Stacheldrahtverhauen Panzersperren Betonstelen Wachtürmen MG-Nestern gegürtete Smaragdherz des Landes

hinüber

auf der wiederhergestellten Brücke des 14. Juli (imaginäre Luftballons mit den geblähten Gesichtszügen von Qasim dem Vertreiber der Engländer steigen hinauf bis in die Strahlemann-Sphäre von Tony Blair dessen Moskitonetze wenig vor seinen Bomben schützten) auf der wir an den sichersten Ort Bagdads gelangen in die

INTERNATIONAL ZONE

gleich am Eingang dürfen wir lesen

WAIT OR

YOU WILL BE SHOT!

solche Aussichten ermuntern mich stets und während die Limousine bremst stockt ihr Motor leise aufwinselt und erstirbt und alle auf den grauen Sitzen ergeben vor sich hin nicken die wie ich

oder jener mich Darstellende vielmehr

verborgene Chamäleons in den Köpfen tragen und vielleicht ebenso wenig mit dem wirklichen Durchkommen gerechnet haben obgleich sie allesamt einen Brief des Kalifen in ihren grauen Anzügen bewahren (von acht Anzügen ist nur einer dunkelblau und den trägt der Fahrer) kann ich mir einige wahnsinnige Augenblicke lang vorstellen über die Stacheldrahtwälle der Brücke über die Wüsten des Glacis über die Gebirge der Außenmauern die Fluchten der Vorhöfe durch das Labyrinth der Vorpaläste über die Treppen die zu den Treppen führen zwischen den Säulen die nur die Sockel der Säulen sind bis zu den Vorhallen der Vorhallen und der Halle der Hallen selbst vorzustoßen in das undenkbare Innere des Palastes bis vor die

riesige goldene Puppe

des KALIFEN selbst die (in meinem verrückten Kopf) plötzlich aufspringt wie eine Knospe so dass sich ein unfassbarer Blick auf den HERRSCHER auftäte würfe ich mich nicht in den Staub mit zusammengepressten Lidern aber ich höre

Stimmen ich kann nicht umhin diese Stimmen zu vernehmen die immer lauter und deutlicher werden bis ich sie endlich verstehen muss

im Inneren der Puppe (heißt es) sei nichts weiter als ein

gewöhnlicher Amerikaner

also springe ich auf greife in meine Jackettasche ziehe die Briefrolle heraus mit der kilometerlangen

KLAGE DES VOLKES

auf ägyptischem Papyrus

die ich stumm verlese während wir am

CHECKPOINT 11

zwischen den Barrieren aussteigen und grimmige amerikanische Wachsoldaten mit übellaunigen Spürhunden alles beschnuppern was wir so dabeihaben an erster Stelle natürlich unsere Geschlechtsteile und dann den BRIEF unsere Akkreditierung als

Delegierte der Irakischen Nationalkonferenz

eingeladen von der wohl nur schwer vorübergehenden Übergangsregierung IGC (Iraqi Governing Council) oder iIGC (interim Iraqi Governing Council) nebst der hoch provisorischen CPA (Coalition Provisional Authority — Children-Playing-Adults-Behörde — Can’t-Produce-Anything-Körperschaft)