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im Konferenzsaal den ich gemeinsam mit Samir betrete warten die leeren Plätze auf uns lange Reihen von malvenfarben bespannten Klappstühlen vor schmalen Pultflächen auf denen kleine Plastikflaschen mit Mineralwasser angeordnet sind alle mit demselben blauen Deckel und demselben blauen Etikett batterieartig fließbandartig wie auf einer Montagestraße in einer Autofabrik es ist eine vollkommene Demokratie der Leere solange sich nur kein Mensch dort niederlässt es ist

ein Bild des Todes

und wir nehmen (so scheint es mir) nur Platz um

ihm zu widersprechen mit unserer lästigen Verschiedenheit auch wenn ich beim Niedersitzen nur an Ali denken muss

Auch ich werde sterben, und werde nicht auch ich wie Enkidu sein? —

Trübsal ist eingekehrt in meinen Leib.

Ich begann den Tod zu fürchten, und so laufe ich in der Steppe umher.

Bis vor Uta-napischti, den Sohn Ubar-Tutus,

werde ich, am Wege mich haltend, eilig gehen! —

Zu den Durchgängen der Berge gelangte ich eines Nachts.

Löwen sah ich. Da geriet ich in Angst.

Gilgamesch erschlug die Löwen

trotz oder wegen seiner Angst wir haben kaum begonnen uns zu streiten

1300 Iraker

nicht-repräsentativ wie Al-Dschasira wie der Oberste Rat der Islamischen Schriftgelehrten wie die rechte Hälfte meines Gehirns finden

ebenso wenig (nein: doch etwas mehr) repräsentativ wie der wild hetzende Muqtada as-Sadr der die Definitionsmacht über die Schiiten an sich zu reißen versucht mit seinen Revolvermännern vor Wochen schon die Imam-Ali-Moschee in Nadschaf besetzt hat und nun

die gerade anspringende Konferenz sprengt

weil die erneut aufflackernden Gefechte von denen die Medien berichten den Verdacht unter den Delegierten schüren der anwesende Ministerpräsident wolle gemeinsam mit den Amerikanern alle Löwen erschlagen

Dutzende schreien

Dutzende verlassen den Saal

man macht eine Pause stellt Fernseher auf versucht durch ihre flackernden Okulare bis nach Nadschaf zu sehen was kann man tun man muss sich erregen und diskutieren man wird eine Vermittlungsdelegation zusammenstellen oder alle Rebellen dort niederkartätschen (solche Gedanken fahren dir wie ein Blitz ins Hirn wenn eben solche armseligen abgerissenen Löwen deinen besten Freund ermordet haben) ich

verlasse ebenfalls den Saal ich

muss atmen ich brauche mehr

Grün in der grünen Zone und eine Kugel in der Kugel sei es nur für einige Minuten um mein Adrenalin abzubauen ich bin ein alternder Mann und ich fürchte mich (auch davor wie so viele andere zu werden) ich bin Arzt und ich habe einen Eid geschworenWer einen Menschen tötet, tötet alle Menschen. wer aber einen Mensch heilt der heilt allenfalls noch sich selbst das ist die Asymmetrie des Hippokrates mit der wir leben müssen

ein paar (bewachte) Büsche dazwischen ein Gartenweg ein paar Bäume es wird mir schon leichter ums Herz man muss nur genügend

grünes Blut durch die Adern pumpen

beruhige dich oder

diesen Organismus hier der du zu sein vorgibt ich habe meinen eigenen Ali-Schrein in mir er wollte nur noch zu seiner Familie nach London wo gerade al-Sistani in einer Herzklinik liegt der Ayatollah wird zurückkehren und den Streit um den Schrein schlichten müssen er hat die wirkliche Autorität bei den gläubigen Schiiten und wir müssen vermutlich lernen mit den Religiösen zusammenzuarbeiten die Moschee von Ali Ibn Abi Talib mit ihrer goldenen Kuppel und der goldenen Fassade haftet lange im Gedächtnis aber viel mehr noch das schier unendliche Grau der Myriaden von kleinen Grabkuppeln und Grabsteinen auf dem Friedhof auf dem vier oder fünf Millionen Tote liegen sollen

hinter den Gräbern dort schimmert das

Meer von Nadschaf

eine spiegelnde flimmernde mit dem Himmel wie flüssiges strömendes vibrierendes Glas verschmelzende Wüstenebene die

alle Konturen löst

denn der Toten werden mehr sein als der Lebenden

wie viele Tote sind wohl seit Gilgameschs Tagen in die Erde des Irak gelegt worden

verschwommen

setze ich mich auf eine Bank in der grünen Zone es ist ein Jahr nach dem Krieg und doch nur ein Jahr in einem Krieg und plötzlich bemerke ich dass

der Amerikaner

zu dem ich die ganz Zeit sprechen wollte jener in der Goldpuppe des Kalifen verborgene Mensch direkt neben mir auf der Bank sitzt so dass ich endlich fortfahren kann mit meiner Deklaration und also ausrufen kann dass infolge ihrer Überheblichkeit ihrer Verachtung unserer Kultur ihrer mangelnden Planung und erschreckenden Gleichgültigkeit der Friede den sie angerichtet haben noch schlimmer ist als der Krieg vor dem wir uns fürchteten

aber als ich den Blick wende

sehe ich nur eine junge Frau ein Mädchen fast noch sehr schlank zierlich es trägt flache Lederschuhe Jeans eine glatt gebügelte braune Bluse es hat streng gescheiteltes dunkles Haar und kluge beinahe schwarze Augen kurz fährt sie sich mit einer Hand über die Stirn und mir fällt auf dass ihr Daumennagel von einer senkrechten Linie in der Mitte gezeichnet ist

wir haben hier alles falsch gemacht nicht wahr (sie sagt das unerwartet heftig mit einer Stimme die zu einer älteren oder reiferen Frau gehört)

wer sind Sie? was machen Sie hier?

übersetzen ich bin Dolmetscherin

Ihr Arabisch ist sehr gut sage ich eigenartig gelähmt und obwohl sie noch kaum etwas gesagt hat vielleicht ist es noch das Nachflimmern der Erinnerung an die spiegelnde Wüste die mich so friedlich oder nachgiebig stimmt oder

es ist einfach nur dieses offene junge Gesicht das mich an meine Kinder erinnert an Jasmin bevor ich sie nach Paris schickte und an Muna die nicht mehr studieren kann und missmutig zuhause Brot bäckt es ist

ein seltsames weiches Zerfließen der Grenzen das

uns befreien könnte (denke ich oder denkt

etwas in mir)

haben wir es falsch gemacht? fragt das Mädchen beharrlich und sanft

ja — vieles

dann müssen wir es anders machen man kann alles anders und besser machen als zuvor

nicht unbedingt alles sage ich (immerhin) noch es geht mir anscheinend darum gewisse Grenzlinien zu halten gewisse Trennwände (dünne Membranen wenigstens) bestehen zu lassen in diesem Verflimmern und Ineinanderfließen der Dinge und der Ideen über die Dinge gewiss kann man alles so optimistisch betrachten wie dieses Mädchen es ist eine Frage des Standpunktes

wo war etwas

und wo war es nicht

der Ort von dem aus man die Geschichte erzählt (Green Zone) könnte entscheidend sein für ihren Verlauf

was denken Sie fragt die junge Frau

wir

sage ich endlich (weil sie mich so gespannt ansieht)

WIR müssen es besser machen

Muna

Sami kam nicht nachhause in dieser Nacht er hat sich nicht entschuldigt keine Nachricht hinterlassen meine Mutter war schreckensbleich und blieb auf bis nach Mitternacht während Tarik und Onkel Fuad ihr einzureden versuchten dass so etwas bei einem Neunzehnjährigen schon einmal vorkommen könne aber es hörte sich unaufrichtig an

falsch wie dieser fürchterliche Brief der mein Herz frisst ich traue nicht einmal der Schrift obwohl Du sehr erregt gewesen sein musst als Du versuchtest mich mit diesen zehn Zeilen in den Abgrund zu stoßen vorgestern bist Du ein Sufi gestern willst Du wieder einmal schiitischer Mullah werden heute Morgen

traf mich der Ruf des Muezzin

mitten in einem Traum in dem es so finster war und still dass ich glauben musste ich läge aufgebahrt in einem Mausoleum und hochschreckend gab es für mich nur einen einzigen Grund ins Leben zurückzukehren nämlich