Выбрать главу

meinen Bruder zu retten

im Dunkeln

suchte ich

hastig panisch

mein Schwert aber man sah nicht das Geringste die Zeit drängte es schien noch finsterer zu werden das große Schwert musste ganz in der Nähe stehen oder liegen es war ungeheuer scharf ich musste zugleich schnell und vorsichtig in der Finsternis tasten immer auf den Kontakt mit der Breitseite dem Griff oder Knauf hoffen anstatt mit der Klinge die augenblicklich ins Fleisch schneiden würde jetzt drang durch die Mauern des Grabes auch schon der Lärm eines Kampfes mein Bruder

sah aus wie Du das

wusste ich dachte ich in der Nacht dieses Traums aus dem mich der Muezzin riss um mich in die Finsternis unserer Familiensorgen zu stoßen ich hätte gleich aufstehen sollen um nachzusehen ob Sami doch noch heimgekommen wäre aber die Müdigkeit war zu groß oder war es eine Böswilligkeit von mir wollte ich ihn gar nicht suchen oder mich wenigstens bei der Suche nicht beeilen

die Wut

musste aber doch Dich treffen Dein kurzer eiskalter Brief ist so arrogant wie die Mullahs die an den am Boden knienden Betern einer Moschee erhobenen Turban-Kopfes vorüberschreiten (aber einmal sah ich einen gewöhnlichen alten Mann der mit einer empörten Armbewegung einen Mullah verscheuchte der zwischen ihm und der Wand hindurchschreiten wollte) auf wen soll ich noch wütend sein wo lehnt mein Schwert ich sollte

Kasim töten natürlich ich möchte

schreien vor Wut und Ohnmacht und ich möchte schlafen bis ans Ende aller Dunkelheit entführter? Bruder gefolterte Schwester mörderischer Schwager FEIGER

Geliebter ich

glaube es nicht das Schwert

gehört

Semiramis

die Babylon nicht erbaute aber der es zugeschrieben wurde die größten Königinnen

hat es nie gegeben

Schwester es heißt dass die Königin sich für ihren (häufigen) nächtlichen Bedarf einen Mann aus dem Heer nahm und ihn am nächsten Morgen köpfen ließ dann war sie wie Udai (sagte Huda einmal) wie Saddams perverser Sohn der sein verdientes Schicksal gefunden hat

läge doch Huda neben mir statt Miral und wäre Eren an Saras Stelle mit solchen Schwestern ertrüge ich noch mehr Nächte in einem engen Zimmer aber auch das ist vermutlich eine Illusion der

Griff des Schwerts fühlt sich erstaunlich rund und gefällig an er vibriert es

sind ja zwei Griffe und

wieder sitze ich auf dem Sattel eines der roten Kinderfahrräder die Tarik uns kaufte als Jasmin nach Paris davonflog die Hände auf den Lenkergriffen sehe ich über meine Schulter zurück dich meinen Bruder wie eine kleine bunte lachende Spiegelung Sami ach

was soll ich noch mit Babylon was täte Semiramis raste sie mit einem Sprengstoffgürtel in einen amerikanischen Checkpoint ich brauche keinen Krieg ich hatte doch gerade begonnen zu verstehen aber wenn der Professor der mir hätte beibringen sollen wie man die Tafeln des Hammurapi liest aus meinem Land vertrieben wird dann habe ich keine Chance ich

stehe auf und es

wird nicht hell

das Gesicht meiner Mutter ist bleich als sähe man es in der Kunstnacht eines Theaters als wäre es mit Kalk geschminkt oder mit Kreide ich zähle alle Freunde Samis auf die ich kenne jeder versucht einen davon telefonisch zu erreichen meine Cousins versprechen Sami zu suchen aufzuspüren nachhause zu bringen

gegen zehn Uhr als das Telefon klingelt ist außer mir und Sara und den ältesten Frauen und kleinen Kindern niemand mehr im Haus und so nehme ich den Hörer ab was für ein Glück denn es ist Hind die gerade mich sprechen will

es wird nicht hell an diesem Tag ist das Licht nur wie eine dünne Farbe auf die Welt gepinselt und blättert schon ab die Dunkelheit brodelt empor überall und unaufhaltsam ein Rauch aus den Atomen was soll ich tun Semiramis saß am Frisiertisch als der Aufstand in Babylon ausbrach sie schlug ihn nieder und kehrte zum Frisiertisch zurück zwischen meiner Finsternis und der düsteren Welt jenseits des Haustors steht allein

meine Schwester

halb abgewandt schräg als

müsste sie sich im nächsten Moment vor Schlägen wegducken dabei ist sie wieder schön geworden in den letzten Monaten gespenstisch in den dunklen hoch geschlossenen langärmeligen Hauskleidern die sie schweigend trägt sie kann mich nicht direkt ansehen gewiss ist sie beunruhigt weil sie am Morgen die Erregung über Samis Verschwinden gespürt hat und die Verzweiflung unserer Mutter die sonst niemals um diese Zeit schon das Haus verlassen haben würde

du musst ihnen selbst die Sache mit Kasim und dem Major erzählen du musst entscheiden hätte ich ihr noch gestern ins Gesicht sagen wollen und auf keinen Fall gesagt jetzt treibt mich eine panische Macht hinaus es ist wie in einem fürchterlichen Unwetter oder einfach

wie in dem Krieg in dem wir uns befinden und

die Dämme sind zerbrochen die Mauern liegen auf der Erde die Nacht flutet immer weiter in den Tag

Jasmin

hör zu ich gehe nach Betawiyn Hind hat mich von dort angerufen etwas ist dort passiert verstehst du

Schwester?

ihr Lächeln ist so

entfernt und abwesend so entsetzlich unbeeindruckt dass mich das pure Grauen darüber schon auf die Straße hinausstößt

entweder ist Sami oder Dir oder Yusuf etwas Schlimmes zugestoßen Hind wollte nicht mehr sagen brachte nicht mehr heraus aber so wie sie es sagte war klar

dass alles schon geschehen ist ich gehe darauf zu ich habe keinen einzigen Dinar eingesteckt nur den Schlüssel zu unserem alten Haus ein Kopftuch das Sara gehört binde ich im letzten Moment um es ist auffallend hellblau helltaubenblau mein Täubchen verstehst du dein sauberer Schwager ich wollte dass ihr wisst

jene Taube der vor Jahren der kurdische Junge am Rand des Saadun-Parks die Federn aus der Brust riss war ein Zeichen aus der Zukunft die uns rupfen würde

das ausgesetzte Kind

Semiramis

wurde von Tauben gefüttert und verwandelte sich am Ende ihres erfolgreichen wilden stolzen erfundenen Lebens selbst in eine Taube was heißt das was heißt das schon ich gehe zu Fuß durch Bagdad in Amerika gibt es keine Tauben nur eine Art Eichhörnchen stattdessen wer hat mir das erzählt vielleicht war es mein Bruder oder es war Professor Fahmi der Babylon im Stich gelassen hat der nach Beirut ging

um sich frisieren zu lassen

die Angst die jeden hier würgt überwindet man durch ein einfaches

Hinausgehen

ohne Schwert als

Taube

in dieser Nacht erschrecken sie vielleicht vor mir vielleicht verwechseln sie mich mit einem Falken und denken ich hätte einen Dynamitgürtel um den Bauch weil ich die Regeln missachte und keinen Abstand mehr halte zwischen mir und der Stadt ich habe meine alten Schulturnschuhe angezogen wenn ich gehe wenn ich zu Fuß nach Betawiyn komme dann

prüfe ich mein Herz prüfe ich die Stadt prüfe ich

den Krieg inwieweit er den Frieden in sich trägt den man uns versprochen hat weshalb gehe ich allein weshalb habe ich Jasmin gesagt wohin ich gehe

stell dir ein Mädchen in New York City vor das eines Vormittags im September

das World Trade Center betritt stell dir vor

sie dächte (durch Zufall bloß) an eine Schwester in einem anderen Land einer anderen Zeit einem unvorstellbaren Krieg ein Satellitenblick von oben herab auf eine große Straßenkreuzung in Bagdad ein scharfer genau gesteuerter und berechneter Kamera-Schuss 33°20΄49.56˝ Nord und 44°22΄58.85˝ Ost im

Life Simulator Sami warum spielst du nicht dieses Spiel

zuhause am Computer der dir so lange Zeit doch die Welt da draußen ersetzt und verbessert hat bevor du auf die Türme losflogst stell dir (würde er sagen) eine gleichaltrige Schwester vor mit Hamstergesicht und grüner Uniform die irakische Männer an einer um den Hals gebundenen Hundeleine über einen Gefängnisflur zerrt sie anweist sich nackt zu einer Pyramide zu stapeln eine Schwester die mit einer Zigarette im Mundwinkel ein imaginäres Gewehr auf ihre entblößten Penisse richtet