verschwinde
aus dir selbst
sie schwitzt es ist schon heiß an diesem Septembervormittag sie hastet über die breite Straße ohne Ampel und Zebrastreifen über eine dreiecksförmige Insel hinweg auf der sich ein fahnenschwenkender Soldat auf einer Art Schlammsäule aus grauen Menschenleibern erhebt die selbst wiederum auf einem Panzer aufgebaut ist
Stacheldrahtwälle
WARNING!
COALITION CHECKPOINT!
halte dich fern von allen Kontrollstellen allen Militärfahrzeugen allen Polizeiwachen und Polizeiwagen aber sie geht so dicht an den amerikanischen Soldaten mit Stahlhelmen und Kampfuniformen vorbei dass diese hätten reagieren müssen wenn nicht ein zuvor angehaltenes weißes Auto aus dem vier große Männer steigen ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen würde
hinter dem Maidan-Platz können wieder Autos fahren sie geht quer über ein von zerbrochenen Glasflaschen und Autowracks verschandeltes Areal
dann auf dem Mittelstreifen einer rechts völlig leeren links dagegen bald von staubigen zerbeulten nervös ruckelnden Wagen verstopften breiten Straße
die Raschid-Straße du kennst sie doch
die alten dreistöckigen Häuser waren für uns einmal nur der freundliche Eingang zur Altstadt Huda wir kamen von der Karkh-Seite her gingen vom Fischmarkt aus über die Schuhada-Brücke zu den alten Suks von der Mitte der Brücke aus hat man den besten Blick wenn man das Gejohle und Gehupe vergisst heute wagte es keine mehr dort zu stehen eines Freitagabends begleitete uns Schiruk über die Brücke bis vors Bagdad-Museum wo wir den Musikern im Freien zuhörten einmal führte mich mein Vater durch die Mutanabbi-Straße um mir die Buchläden den Ottomanischen Palast das legendäre Café Schabander an der Ecke zu zeigen damals verkauften die Professoren ihre Bücher auf am Boden ausgebreiteten Decken heute gibt es dort Teile für Stromgeneratoren aller Art mich treffen
Blicke
die mich früher einmal (gestern noch) zu Tode geängstigt hätten hinter den Jalousien und Gittern der geschlossenen Läden den Brettern der verbarrikadierten Geschäfte scheint sich manchmal etwas
Schlangenhaftes
zu bewegen es gab Dutzende Vergewaltigungen in den letzten Monaten jede Frau weiß dass die Wölfe überall lauern vielleicht schon in den Hohlräumen dieses zerbombten einstmals modernen Gebäudes gehe nicht schneller gehe ruhig atme erreiche die nächste Ecke biege ab dort stand einmal der Poet al-Rasafi leutselig und entspannt in seinem legeren Anzug auf einem hohen weißen Podest wie ein väterlicher Bürgermeister in der Mitte eines turbulenten kleinen Platzes nun ist das Podest grau und beschmiert schwarze halb gefüllte Mülltüten liegen herum ein Kranz aus Stacheldraht umgibt das gesamte Denkmal die Häuser der Peripherie wirken angebrannt selbst der Himmel durch den erneut schwarze Kampfhubschrauber donnern ist von Rauch verschleiert und ich weiß nicht ob tatsächlich oder nur
vor meiner Seele
einmal hast Du mir vom
schwarzen Licht
erzählt in dem die Dinge (langsam vielleicht wie jetzt) unsichtbar werden
der Platz die bärtigen Männer so schemen- und schattenhaft wie die Vergangenheit in der ich mit Huda über den Kupfer- und Kleidermarkt zu den Ständen der Goldschmiede ging um die Hände des Majors zu entdecken die eine Goldkette um den Hals meiner Schwester legten
Ischtar muss
hinabfahren niemand sieht mich in
der Dunkelheit in der ich mich befinde das schwarze Licht löst alles auf wie eine Säure in der Luft durch die ich gehe und gehe so weit wie ich noch niemals zuvor in Bagdad alleine gegangen bin immer mehr verschwindende Dinge (sie verschwinden weil sie mich nichts mehr angehen) ich erreiche den sich auflösenden mächtigen Zuckerwürfel der Zentralbank mit seinen Bewacher-Schatten und MG-Posten eine Mauer aus vier Meter hohen Betonblöcken ist noch nicht durchlässig genug und ihr rot aufgestempeltes
ROAD CLOSED
zwingt mir einen Umweg in Richtung Goldmarkt auf in einer Gasse zwischen alten Häusern erscheinen drei Frauen vor mir eine Rothaarige mit einem schmutzigen rothaarigen Kind auf dem Arm und zwei mit schwarzen Kopftüchern und ausdrucksvoll geschminkten Gesichtern die gutmeinend auf mich einreden mich warnen aber es sind nur
Schattenworte kaum sichtbare
Dinge ich vergesse das Hören weil Blutbäche
in meinen Ohren rauschen und das schwarze Licht die Bilder von Dir und Achmed und Hind und Sami in mir mit einer solchen Kraft aufscheinen lässt dass auch der protzige Erz-Mensch auf seinem Dreifachpodest vor dem Säulenhalbrund der Handelskammer verblasst
bald
wird hier überhaupt niemand mehr auf Säulen stehen der kein Dichter war und kein guter oder wenigstens für die Allgemeinheit wertvoller Mensch so weit kann ich mit schwarzem Licht in den schwarzen Tunnel der Zukunft sehen
meine Turnschuhe scheinen enger geworden sie drücken an den Seiten
etwas in mir (befremdend erschreckend ich will es nicht klar sehen müssen) begrüßt diesen Marsch es will und verlangt ihn erst jetzt wird mir klar weshalb meine Mutter plötzlich mit Jasmin nach Kerbela ging sie musste einfach die Tür aufstoßen und ins Freie treten ihr könnt mich (einzelne schutzlose) Frau anhalten und töten aber um mich anzuhalten
müsst ihr mich auch töten ich
gehe
und vor mir erhebt sich endlich das alte Zentrum für Telekommunikation ein graues Hochhaus in das sie ein Loch geschossen haben man sieht in großer Höhe zwischen Stützpfeilern die wie Lampiondrähte nach außen gezogen sind Menschen umhergehen was gibt es jetzt noch da zu plündern oder räumen sie etwa auf
breite Straßen große Plätze
hier marschierten wir etliche Male mit der gesamten Schule und mussten Lieder für Saddam singen Transparente hochhalten und Losungen skandieren die von den Fronten der Hochhaus-Hotels widerhallten (Gott segne seine Arschbacken sang Huda) die Steintafel mit dem zehn Meter hohen Präsidentenporträt ist erhalten geblieben doch hat jemand mit schwarzer Farbe die Augen- und Nasenregion überpinselt hier sieht er nicht mehr was im Irak geschieht und im Fernsehen flucht und schimpft er ohne Ton wird man ihn hängen oder nicht es ist mir egal irgendjemand hat vorgeschlagen ihn am Firdaus-Platz in einen Glaskasten zu setzen und lebenslänglich mit davor gelagerten Tomaten zu bewerfen das wäre doch gut er soll einfach in einer Zelle verrotten (sagt mein Vater) damit wir endlich wieder Kultur beweisen können was würde er sagen
wenn Jasmin nicht überlebt hätte
würde Tarik mich jetzt sehen wäre er entsetzt ich weiß es ist ja nur
nichts anderes mehr möglich es gibt keinen
Simulator
mehr es gibt keinen anderen Ort von dem aus ich mir mein Leben vorstellen könnte als diesen hier in
meiner Haut
am Tahrir-Platz wechselt ein amerikanischer Panzer unvermittelt die Spur er jagt die rot-weißen Taxis und andere Autos vor sich her wie ein riesiger mythischer Eber ein Rudel Jagdhunde ein kleinerer und schnellerer Panzerwagen überholt ihn und schubst einige Zivilfahrzeuge zur Seite verbeult sie krachend die Fahrer drehen eifrig ab aber hinter den Amerikanern bedrängen und behupen sie sich schon wieder selbst wer eine Sekunde zögert ist verloren und wird abgehängt was
kümmert es mich
das Monument der Befreiung
jene dreißig Meter lange weiße Tafel die wie die Schneide einer gewaltigen Guillotine in die seitlichen Stützmauern gerammt ist
wurde noch nicht mit Farbe bepinselt oder besprüht die dunklen Relief-Figuren darauf (jener athletische Soldat der das Gitter sprengt und die mit erhobenen Armen Jubelnden) wirken noch schattenhafter und verkohlter wie eingebrannt in den weißen Stein
erneut jagen Humvees und Panzerfahrzeuge im Kreisverkehr herum und dieses Mal machen alle Autofahrer rechtzeitig Platz als hätten sie etwas gelernt obwohl es doch andere Fahrer sind