schließe die Augen
öffne sie
lass dich nicht aufhalten im schwarzen Licht sind die Konturen der Befreier
nur Negative
mit fließenden zerfließenden Rändern auf einem Wagen dreht sich eine schräg geneigte Metallplatte dahinter ein Gewehrschütze mit Stahlhelm dann ein Soldat
direkt vor ihr er scheint etwas sagen zu wollen
löst sich dann aber auf im Gegenlicht oder verwandelt sich in einen Baum hinter dem eine Gruppe von Jungen mit Spielzeugpistolen und Plastiksäbeln hervorspringt Achmed könnte bei ihnen sein er würde genauso springen und mit Waffen prahlen wer erzählte die Geschichte der Jungen denen amerikanische Soldaten Schaufeln in die Hand drückten damit sie sich am Anlegen eines Fußballfeldes beteiligten die aber schon nach wenigen Minuten Arbeit in Tränen ausbrachen weil sie glaubten sie sollten ihre eigenen Gräber ausheben Achmed dein strubbeliger Kopf deine dicken Ärmchen du sitzt auf der Mauer vor den Ginkobäumchen auf der anderen Seite
liegt die
GREEN ZONE
früher igelten sich dort die Paläste des Terrors ein heute findest du die Betonmauern Stacheldrahtwälle Panzersperren der Demokratie all das Versprochene kommt erst wenn die Kriege im Paradies vorüber sein werden (Tarik erzählte ihr von diesem geheimen Buch des Dichters ohne Papier)
wenn jeder
die Tigris-Seite wechseln kann wie er will
das
ist ihr alter Schulweg hier ging sie so oft neben Tarik und Sami und ihrer Schwester bis zu dem alten Haus dessen Türschloss aufgebrochen ist wo ist Hind vielleicht sollte sie doch besser erst nach nebenan gehen und
Schemen
massige Schatten schwarz glitzernde harte Augen das hier ist das war doch die
Küche deiner Mutter aber jetzt
es ist schon klar es ist schon dabei zu geschehen was geschehen musste es sind drei Männer steinerne Wölfe sie haben hier gewartet oder sie sind zurückgekommen um die Schränke zu leeren die Stühle umzuwerfen die Matratzen aufzuschlitzen
wenn du denkst
du bist nicht hier (unter den Schatten) oder dass es unvermeidlich ist die
Nacht
deiner Schwester zu betreten (rede mit mir, Jasmin, dein blaugraues Gesicht) dann musst du vielleicht kaum etwas spüren leg deine goldene Krone ab nimm die Ringe von den Ohren löse die Perlenkette um deinen Hals und die Spangen vor deiner Brust ich schicke
meine Löwen zu Hind sie ist erst zwölf sie soll beschützt werden bis zum gewaltigen
Einbruch
des tatsächlichen und ewigen Friedens erzählte ich Dir (Schwester) von den Frauen die man in den Massengräbern von Ur gefunden hat menschliche Grabbeigaben der König nimmt seinen Harem mit auf
die andere Seite
dabei sind wir in dem Haus in dem ich so lange gelebt habe die engen Räume die Stille meiner nachdenklichen freundlichen Familie wird zertrampelt und verwüstet das
Haus in dem wir leben wollen
müssen wir selbst wieder errichten (nicht die Amerikaner) sie sind ohnehin gar nicht da weil wir uns ja an ihnen vorbei morden
ebenso wenig wie die Stein-Menschen die sich im schwarzen Licht auflösen der König Schahriyar war ein Massenmörder er hätte Semiramis heiraten sollen dann gehörte
UNS
der nächste Tag schließ die Augen
in der Tiefe ihres Körpers will sie selbst zu einem Schatten werden den nichts mehr berührt was an der Oberfläche geschieht ist nichts als äußerstes (äußerliches) Unglück aber mit einem Mal steht
Yusuf
neben ihr er richtet ein Gewehr auf die Männer er schreit so aufgeregt so wütend so voller Angst wie sie noch nie einen Menschen hat schreien hören und die anderen sprechen nicht widersprechen nicht sondern
gehen (unwillig und quälend langsam Schatten von Steinen an einer Hauswand die man zu genau beobachtet und die eben aus diesem Grund nur so langsam weichen)
Yusufs Gestammel ist kaum zu verstehen wie soll sie
in diesem Zustand
herausfinden was er meint Sami (versteht sie endlich) lebt und ist nicht entführt worden sondern hat sich versteckt — versteh doch es ist doch allein deine Schuld weshalb bist du so
verkommen
diese Briefe
die Sami schrieb sie begreift nicht sie rafft ihre Kleider über der Brust zusammen sie findet das Kopftuch nicht sie taumelt hinter Yusuf her in den Raum in dem einmal ihre Eltern schliefen weshalb dort welcher Brief sie versteht es erst später als sie das Haus schon wieder verlassen hat und auf das zusammengeknüllte Papier in ihrer Hand starrt es mühsam glättet um fremde Worte in ihrer eignen Handschrift darauf zu finden es sind sehr gut sehr talentiert (seine erstaunliche Kunstfertigkeit) gefälschte Zeilen
diese Briefe die Sami schrieb
ein Brief wie aus ihrer Hand an Nabil
Triff dich ein letztes Mal mit mir, Liebling! Das Haus meiner Eltern steht leer!
ist überzeugender gefälscht als der Brief in dem Nabil ihr seine Liebe aufkündigte
dieses Grab vor dem Bett ihrer Eltern wie herabgefallen von einem irren mörderischen Planeten niemand kann so etwas erfinden wie kommst Du in dieses Haus vielleicht ist alles anders und Du musst nur als toter Körper überall dahin wandern wo Du einmal geliebt wurdest
aber dieses Kissen aus geronnenem Blut unter Deiner Brust und der fürchterliche Geruch
du musst
nachhause gehen und es ihnen sagen und
du musst
verstehen und
du darfst kein
Wort sagen es ist lebensgefährlich du allein bist Schuld Muna verstehst du dass du und nicht dein Bruder Schuld bist er hier (noch nicht einmal vor seiner Leiche spricht er Nabils Namen aus) er hier sollte doch nur verwarnt werden
was kann sie davon noch verstehen und behalten als sie das Haus verlässt den gefälschten Brief in der Hand in die Mittagshitze taumelt hat das schwarze Licht die Dinge schon so weit unsichtbar und unspürbar gemacht dass sie beim heftigen Stoß gegen eine Mauerecke keinen Schmerz empfindet alles gleitet zurück entzieht und entfernt sich weiter das Stadtviertel ist diffus und farblos alle Geräusche die es hervorbringt wie erstickt es scheint fast lautlos zu pulsieren alles gleicht einer riesigen Ultraschall-Aufnahme durch die sie sich mit undeutlichen schmerzenden Gliedern bewegt den Tod ihres Geliebten in der Brust wie eine brennende Kugel das hier
ist nur
der grauenhafte Embryo der Gegenwart im Bauch der Zukunft sie stoßen ihre Nadeln hinein sie zerstückeln ihn weil sie das Kind hassen das womöglich nicht hundertprozentig das ihre ist in einer Art
Flackern
kehren die Farben und Gerüche des heißen Septembermittags wieder zurück sie ist
auf einem kleinen Platz angelangt einige rote Doppeldeckerbusse mit weißen Dächern stehen zwischen Palmenreihen dahinter öffnet sich ein Markt mit Gemüse Blechwaren und Kleidern sie versteht erst nicht weshalb sie an diese Oberfläche gezogen werden weshalb sie hier auftauchen soll aus ihrer monochromen halb tauben Verzweiflung und das Purpur von Auberginen das Grün und Rot von Gurken und Tomaten die knallfrohen Farben eines silbrig grundierten Mickymaus-Ballons wahrnehmen muss bis sie erkennt
dass tatsächlich ihre Schwester Jasmin dort bei den Obstkarren steht und auf sie deutet und dass daneben ihre Mutter auftaucht in einer schwarzen Abaya beide offensichtlich froh und erleichtert sie versteht zunächst gar nicht weshalb aber dann fühlt auch sie Erleichterung und Trost es liegt daran dass
Jasmin vorausgeht dass sie ein hellgrünes Kleid und ein gleichfarbenes Kopftuch trägt und so bestimmt und gefasst wirkt wie sie es zuletzt vor zwei oder drei Jahren sein konnte kein Zweifel sie hat Farida hierher geführt sie hat alles begriffen was ihr gesagt wurde und ist wieder zu sich gekommen vor dieser
blendend grellen Feuerwand