es ist die Idee dass vielleicht noch in einem einzelnen Land funktioniert was für alle arabischen Länder gemeinsam nicht herstellbar war eine Idee für die wir die Augen zukneifen und die untrüglichen Anzeichen ihrer baldigen gnadenlosen Pervertierung energisch
verkennen
ich spüre will unbedingt spüren
dass meine große oder beste Zeit beginnt mit Jasmins wundervoll bemühtem Hineinstarren in das über dem Innenhof schwebende blaue Quadrat der Zukunft
es war mir
sieben Jahre später
als richtete sie den gleichen Blick auf mich als sie von dem Fußball aufschaute den sie als schnellstes der Mädchen vor sich hergekickt hatte und mich am Zaun ihrer Schule stehen sah
wieder
in Uniform
Kompass
Mein Land liegt zwischen den Mühlsteinen Ost und West.
Sie drehen sich mit der Macht der großen Katastrophen
in entgegengesetzte Richtung.
Unaufhaltsam nähern sie sich einander.
Gehst Du nach Norden, verschwindet Dein Gesicht.
Gehst Du nach Süden, wartet in Basra der Tod.
Bleibe bei mir.
Sieh auf die Steine.
Wünsche Dir nichts.
Martin
Wir waren spät abends in Granada angekommen die Taxifahrt durch die engen Sträßchen und Gassen kam mir wie ein hastiger Tauchgang durch eine von orangegelben Scheinwerfern ausgestrahlte Unterwasserstadt vor der Zeitraffer mit dem alles gefilmt wurde erklärte das Wunder der immer gerade noch rechtzeitig zurückweichenden Menschenmenge dann die hohen alten Mauern und die Märchennachtblicke über die Stadt
das Morgenlicht des ersten Erwachens in dem Luisa über mich gleitet ihre Brüste mit der Fruchtschwere und Taubenwärme des Paradieses mit noch verschlafen seufzendem Behagen seid eine Kleidung füreinander (heißt es) Schleier Seidenmantel Pelzhandschuh schwarzer Nerz der über meinen Bauch gleitet sich über seinem Fund wölbt feuchter elastischer Ring erstaunlich kühl zunächst dann aber seine Glut verströmend das Feuer in unseren Körpern flammt auf
in
einander
gekleidet im hellen Licht der Fenster deren schwere große Läden Luisa geöffnet hat noch bevor sie selbst
erschien
vor den Gärten der Alhambra
die wir noch nicht gesehen haben die draußen in der noch frischen Morgenluft auf uns wartet noch heftig atmend liegen wir beieinander ein winziger silberner Vogel schießt vorbei auf der Suche nach seinem goldenen Baum der kräftige Körper neben mir Luisa buche sechs Monate im Voraus ein Zimmer im zweiten Stock sagt sie eine Hand auf meinen Nabel gelegt (als wäre ich — wie alle Paradiesbewohner — niemals geboren) und du bekommst noch vor dem Frühstück eine waschechte Andalusierin
das Netz weiß schimmernder feiner Linien auf einem gebräunten runden Oberschenkel
wie Lichtspiegelungen in einem Bassin
das Wunder noch immer und noch einmal neu lieben zu können
unser Hotel war Teil des Palastes und einer Moschee und wurde dann zum Kloster San Francisco umgebaut Luisa hat den Hotelprospekt vom Nachttisch geangelt sie ist sehr zufrieden mit der verspäteten Häresie unserer Liebe in einem ehemaligen Kloster zwischen verschnörkelten spanischen Holzmöbeln auf einem ausladenden massiven Bett in dem gewiss schon ein Ferdinand und eine Isabella ihrer katholischen Zeugungspflicht genügten
erst Frühstück dann der Orient das funktioniert hier viel besser als in Frankfurt und erst recht die Fantasie schließ die Augen sie dreht ihren Kopf zu mir so dass wir Stirn an Stirn liegen eine noch glückliche Vergangenheitskopie von mir und diesem großen starken spanischen Mädchen dessen Eltern vor Francos Armee von Sevilla nach Barcelona dann nach Paris und vor der deutschen Wehrmacht von Paris nach Marseille und Lissabon flohen und über London nach New York wir sind uns
wie neu begegnet
in der Neuen Welt und kehren jetzt auf dem Glacis unseres Alters zurück um noch einmal jung zu werden in Europa im morgendlichen Garten und Palast des ehemals maurisch besetzten Teils vielmehr also sag schon wie er aussieht der Orient mit dem du dich eigentlich gar nicht beschäftigen wolltest hätte der alte Goethe dich nicht mit seiner vorletzten Liebe dazu gezwungen
(an Luisas Stirn:) du meinst das Positive die naive Fantasie die Gazelle im Morgenwind die Dschinns die einen Berg überragen eine ganze Stadt schultern um sie woanders aufzustellen und ohnmächtig werden in einer kleinen verstöpselten Flasche wie die Vergangenheit die Kindheit in der wir von ihnen lasen
die absolute Tyrannei sagt Luisa die Macht und ihre Feier in der verschwenderischen Pracht der Paläste immer Sklaven Diener Eunuchen
der Harem (sage ich)
immer verborgene Gemächer Winkel Verstecke Paravents Höhlen Truhen und Strohkörbe Tontöpfe in denen sich Menschen verbergen fliegende Teppiche farbiger Rauch schreckliche Verstümmelungen
riesige Vögel kommen Luisa in den Sinn
die Metamorphose die stets vorhandene Möglichkeit dazu in jedem Augenblick kann jede Figur ein neues Schicksal erhalten (Kaufmannssöhne zu Bettlern Jungfrauen zu Dämoninnen Könige zu Adlern Eseln Hunden) so dass das menschliche Dasein in einem einzigen undurchschaubaren flimmernden Ornament verschmilzt im Mauerwerk
der Zeit
so las ich die Geschichte der Schahrasad
als Kind in Bremen
der nervtötende Friseur sagt Luisa
der einen anderen mit seinem aufdringlichen Geschwätz ruiniert ist so
lebensecht
wie meine Sorge meine erwachte Sorge an die ich mich genauso gut erinnere diese im Grunde noch vollkommen glückliche Bekümmerung die mich beim Frühstück im Patio des Hotels (leis plätschernder Springbrunnen maurischer Säulengang im Licht überwirklich (holografisch) schimmernde Orangenbäume) überfiel sofort entdeckt und enttarnt von Luisa die zwei Söhne aus zwei geschiedenen Ehen hat (Charles der in Boston studiert und mich kritisch taxiert und Francis der vielleicht einmal ein guter Maler wird wenn er es schafft der New Yorker Party-Szene zu entkommen)
sie ist neunzehn mein Lieber sie nimmt die Pille sie hat mehr Verstand als meine beiden Jungs zusammen je haben werden
ich kann ich muss mich auf Sabrina verlassen ich brauche nicht die Augen zu schließen um sie in München Florenz Rom vor mir zu sehen an der Seite ihrer vier Jahre älteren Cousine sie hat eine gewichtlose fast ephemere Art die durch die weiten langärmeligen Hemden die sie oft trägt noch betont wird mit fünfzehn und sechzehn trug sie knappe Röcke oder Shorts und schmückte sich mit Perlenkettchen Ringen Armreifen Flitter wie um sich von ihrer eigenen Jugend zu überzeugen jetzt aber
versteckt sie sich
die Garantie ist die Stärke die du ihr mitgegeben hast
der Rest
sagt Luisa
ist Glück und damals in Granada tröstete ich mich gut damit ich dachte daran wie schön Luisa mit achtzehn und neunzehn gewesen sein musste und dass sie es überlebt hatte und nun gelassen und strahlend als lebenskluge Fünfzigjährige vor mir saß draußen in den Gärten zwischen den Mauern Ruinen in den Palästen der Alhambra überkam mich ungeachtet der zahllosen Touristen der in die Innenhöfe um die Bassins zwischen die Säulen geschütteten Busladungen der Sklaven ihrer Kameralinsen die aus allen Schriften Bilder machten
die Ruhe das Schweigen das
Licht
in der Myriadengestalt der filigranen Explosion eines zentralen Himmelspunktes an der Decke der Sala de los Abencerrajes göttlicher Spinnweb Bienenwabe der Engel wäre das Universum solcherart überdacht
der Palast
bringt dich aus der Welt
das verschlungene Ornament
löst deine Seele
der genau bemessene Wasserlauf im Garten
gibt dich frei
das hat er gesucht sagt Luisa eben die exotische Ruhe die entrückte Pracht das (vermeintlich) Unabänderliche im alten Orient während in Europa die Freiheit und ihr Dämon die Throne bersten und die Reiche zittern ließen seit zwanzig Jahren Krieg Hoffnung Niederlage Erschütterung der Riesenstiefel des Kaisers zertritt die betulichen morschen Fürstenhäuser bricht Preußen das Genick die Grande Armée saugt Zehntausende junger Männer auf und zerstört sie in Russland
Schlacht bei Leipzig und Schlacht bei Waterloo
die Geschichte spielt jahrzehntelang ihr blutiges Roulette
wer eben noch des Kaisers Stiefel wienerte soll morgen schon die Hymne auf die Freiheit dichten im Auftrag der wiedererstarkten siechen alten Könige
glaube an die Unabänderlichkeit von Herrschaft ein gut haltbarer rechthaberischer Glaube der immer wieder seine Triumphe feiert
der Palast
erhält sich
zumindest in diesem Fall ich vermisste Sabrina nicht wirklich dort auf dieser so unzerstörbar scheinenden Insel der Vergangenheit war ich ganz froh nur Teil eines älteren Liebespaares zu sein das den mäandernden Weg zum Thronsaal nimmt hätte ich hier so viel zu sagen gewusst wie in Frankfurt vor der Gerbermühle oder in Weimar dann hätte ich mir Sabrina vielleicht herbeigewünscht aber die Zeit ihr Vorträge zu halten war schon lange vorbei (eigentlich doch seit ihrem siebten Lebensjahr in dem ich begriff dass ich mich mit ihr über nahezu alles unterhalten konnte dass sich in ihrem Augenaufschlag wie in dem aller Kinder das mächtige universelle Interesse offenbarte der Garant der kompletten Erneuerung der Menschheit durch den Menschen der kleine Buddha der einmal alles wissen wird mit seinem Milliardengehirn)
Goethe
hätte statt durch das Heidelberger Schloss durch die Alhambra wandeln sollen in der Zeit seiner hessisch-orientalischen Liebe
Marianne
der kleine Blücher wie er sie gern nannte
zupft die Gitarre
der GROSSE KAISER spielt auf seiner letzten Insel mit der grauen Brandwoge seiner Toten einmal
eroberte er Ägypten riss die Pyramiden aus dem Schlaf (232 Transportschiffe 2000 Kanonen 32 000 Soldaten 175 Gelehrte)
der Orient
erwachte ächzend unter seiner Gluthitze seinen verstaubten Palmen seinen zerbröckelnden Palästen in seinen abgeschotteten Medresen unter dem Leib des alt gewordenen Türken im
eigenen Blut (ein Streifschuss vorerst)
stell dir den alten Goethe vor gebeugt und weißhaarig zahnlos aber wieder schlank sich aufrecht haltend im braunen Mantel
wie er umgeben von den üblichen Verehrern und seligen Experten oder vielleicht auch nur mit seinem kunstsachverständigen Müller zu zweit also wie wir den Löwenhof betritt (behutsam ein Ginkoblatt am Stil zwischen den Fingern drehend) und sofort die Verhältnisse erläutert zwischen den eleganten wie im Morgenrot erträumten Säulen mit ihrem schwebenden Klöppelwerk
zwölf Löwen tragen das Brunnenbecken im Zentrum drei (die Trinität die vollkommene Zahl Himmel Hölle Erde) mal vier (die teilbare und doch alles umfassende Anzahl der Windrichtungen der Elemente der Körpersäfte) ergibt die zwölf Tierkreisbilder während die Summe aus Trinität und Welteckenzahl die Siebenzahl der Planeten darstellt entsprechend den sieben Arkaden der beiden Seiten des Myrtenhofes
genau so mag er gedacht und doziert haben
oder ganz im Gegenteil alle mathematische Hexerei verwünschend und also nicht-quantitativ sinnierend im Angesicht der Löwen über die vier rechtwinkelig verlaufenden
Bäche des Paradieses schreitend
ich erinnere mich
an einige Augenblicke oder Herzschläge eine halbe Minute vielleicht
in der wir plötzlich zu zweit im Löwenhof der Alhambra standen völlig losgelöst vom Touristenstrom ein glücklicher Zufall der Leere der uns (verwirrt) allein ließ auf dem sonnigen steingepflasterten Areal zwischen den mit spitzen Dächern gedeckten Säulengängen
alles (auch der Brunnen im Zentrum) ist kleiner (intimer) als wir es erwartet hatten
persönlicher
als wäre das Paradies nur ein lichtdurchfluteter Saal
Luisa erscheint mir perfekt und vollkommen in der Stille des im Rankenwerk der Säulenkapitelle spielenden Lichts mit ihrem schwarz glänzenden Haar der festen Brust der roten Bluse der schwarzen Hose den Lederschuhen in denen sie Flamenco tanzen könnte sie ist am richtigen Ort denke ich einen falschen glücklichen Augenblick lang so wie man sich wohl gerne Illusionen macht über die Harmonie das Verständnis die Toleranz das gedeihliche Miteinander der Kulturen im Andalusien der arabischen Herrschaft
es gibt immer
den Palast und die schwitzenden stöhnenden blutenden Fundamente unter ihm deren Sehnsüchte er spiegelt im Gold des Innenhofs — für noch einen unwahrscheinlichen Moment der Stille — scheint es mir plötzlich als würden Luisa und ich
durchstrahlt
(geprüft geröntgt) von einem Licht das keine Stelle an uns verborgen lässt das durch unsere Zellen flutet bis an die schmerzliche erlösende Grenze der Veränderung
Flüchtlinge aus der alten Welt ein bald müde werdendes spätes Pärchen das Glück hatte sich noch zu finden
im Licht eines Ortes an dem wir nicht sein können
unser Paradies
ist nur noch
nicht zu wissen
was kommt