bringt dich aus der Welt
das verschlungene Ornament
löst deine Seele
der genau bemessene Wasserlauf im Garten
gibt dich frei
das hat er gesucht sagt Luisa eben die exotische Ruhe die entrückte Pracht das (vermeintlich) Unabänderliche im alten Orient während in Europa die Freiheit und ihr Dämon die Throne bersten und die Reiche zittern ließen seit zwanzig Jahren Krieg Hoffnung Niederlage Erschütterung der Riesenstiefel des Kaisers zertritt die betulichen morschen Fürstenhäuser bricht Preußen das Genick die Grande Armée saugt Zehntausende junger Männer auf und zerstört sie in Russland
Schlacht bei Leipzig und Schlacht bei Waterloo
die Geschichte spielt jahrzehntelang ihr blutiges Roulette
wer eben noch des Kaisers Stiefel wienerte soll morgen schon die Hymne auf die Freiheit dichten im Auftrag der wiedererstarkten siechen alten Könige
glaube an die Unabänderlichkeit von Herrschaft ein gut haltbarer rechthaberischer Glaube der immer wieder seine Triumphe feiert
der Palast
erhält sich
zumindest in diesem Fall ich vermisste Sabrina nicht wirklich dort auf dieser so unzerstörbar scheinenden Insel der Vergangenheit war ich ganz froh nur Teil eines älteren Liebespaares zu sein das den mäandernden Weg zum Thronsaal nimmt hätte ich hier so viel zu sagen gewusst wie in Frankfurt vor der Gerbermühle oder in Weimar dann hätte ich mir Sabrina vielleicht herbeigewünscht aber die Zeit ihr Vorträge zu halten war schon lange vorbei (eigentlich doch seit ihrem siebten Lebensjahr in dem ich begriff dass ich mich mit ihr über nahezu alles unterhalten konnte dass sich in ihrem Augenaufschlag wie in dem aller Kinder das mächtige universelle Interesse offenbarte der Garant der kompletten Erneuerung der Menschheit durch den Menschen der kleine Buddha der einmal alles wissen wird mit seinem Milliardengehirn)
Goethe
hätte statt durch das Heidelberger Schloss durch die Alhambra wandeln sollen in der Zeit seiner hessisch-orientalischen Liebe
Marianne
der kleine Blücher wie er sie gern nannte
zupft die Gitarre
der GROSSE KAISER spielt auf seiner letzten Insel mit der grauen Brandwoge seiner Toten einmal
eroberte er Ägypten riss die Pyramiden aus dem Schlaf (232 Transportschiffe 2000 Kanonen 32 000 Soldaten 175 Gelehrte)
der Orient
erwachte ächzend unter seiner Gluthitze seinen verstaubten Palmen seinen zerbröckelnden Palästen in seinen abgeschotteten Medresen unter dem Leib des alt gewordenen Türken im
eigenen Blut (ein Streifschuss vorerst)
stell dir den alten Goethe vor gebeugt und weißhaarig zahnlos aber wieder schlank sich aufrecht haltend im braunen Mantel
wie er umgeben von den üblichen Verehrern und seligen Experten oder vielleicht auch nur mit seinem kunstsachverständigen Müller zu zweit also wie wir den Löwenhof betritt (behutsam ein Ginkoblatt am Stil zwischen den Fingern drehend) und sofort die Verhältnisse erläutert zwischen den eleganten wie im Morgenrot erträumten Säulen mit ihrem schwebenden Klöppelwerk
zwölf Löwen tragen das Brunnenbecken im Zentrum drei (die Trinität die vollkommene Zahl Himmel Hölle Erde) mal vier (die teilbare und doch alles umfassende Anzahl der Windrichtungen der Elemente der Körpersäfte) ergibt die zwölf Tierkreisbilder während die Summe aus Trinität und Welteckenzahl die Siebenzahl der Planeten darstellt entsprechend den sieben Arkaden der beiden Seiten des Myrtenhofes
genau so mag er gedacht und doziert haben
oder ganz im Gegenteil alle mathematische Hexerei verwünschend und also nicht-quantitativ sinnierend im Angesicht der Löwen über die vier rechtwinkelig verlaufenden
Bäche des Paradieses schreitend
ich erinnere mich
an einige Augenblicke oder Herzschläge eine halbe Minute vielleicht
in der wir plötzlich zu zweit im Löwenhof der Alhambra standen völlig losgelöst vom Touristenstrom ein glücklicher Zufall der Leere der uns (verwirrt) allein ließ auf dem sonnigen steingepflasterten Areal zwischen den mit spitzen Dächern gedeckten Säulengängen
alles (auch der Brunnen im Zentrum) ist kleiner (intimer) als wir es erwartet hatten
persönlicher
als wäre das Paradies nur ein lichtdurchfluteter Saal
Luisa erscheint mir perfekt und vollkommen in der Stille des im Rankenwerk der Säulenkapitelle spielenden Lichts mit ihrem schwarz glänzenden Haar der festen Brust der roten Bluse der schwarzen Hose den Lederschuhen in denen sie Flamenco tanzen könnte sie ist am richtigen Ort denke ich einen falschen glücklichen Augenblick lang so wie man sich wohl gerne Illusionen macht über die Harmonie das Verständnis die Toleranz das gedeihliche Miteinander der Kulturen im Andalusien der arabischen Herrschaft
es gibt immer
den Palast und die schwitzenden stöhnenden blutenden Fundamente unter ihm deren Sehnsüchte er spiegelt im Gold des Innenhofs — für noch einen unwahrscheinlichen Moment der Stille — scheint es mir plötzlich als würden Luisa und ich
durchstrahlt
(geprüft geröntgt) von einem Licht das keine Stelle an uns verborgen lässt das durch unsere Zellen flutet bis an die schmerzliche erlösende Grenze der Veränderung
Flüchtlinge aus der alten Welt ein bald müde werdendes spätes Pärchen das Glück hatte sich noch zu finden
im Licht eines Ortes an dem wir nicht sein können
unser Paradies
ist nur noch
nicht zu wissen
was kommt
Muna
Dass du solche Geschichten erfinden kannst
sagt Huda
ist doch verrückt
unter dem Bett der eigenen Schwester ganz wie Dinarasad aber etwas ist doch auch dran oder nicht deine Schwester kennt doch Leute beim Militär und wenn man in der Ölindustrie arbeitet
sagt meine Mutter sagt Huda
kann man nicht sauber bleiben das Öl
kriecht unter die Finger zwischen die Haarwurzeln läuft dir in die Ohren die Nasenlöcher in die aufgerissenen Augen den Mund stell dir vor du wärst ein Taucher im Öl mit nacktem bleichen Körper Taucherbrille Sauerstoffflasche natürlich mit einer starken Taschenlampe du sagst dir das Öl das sind vor Jahrmillionen gestorbene Pflanzen und Tiere du tauchst
vielleicht weil man dich in eines der Bohrlöcher gesenkt hat bei Mossul oder Kirkuk und du (als Wissenschaftlerin) untersuchen sollst ob noch mehr noch schwereres und köstlicheres Öl tief unter der letzten Quelle existiert du tauchst
Huda
neben mir auf dem Sofa wir haben die steifen Schuluniformen ausgezogen wir tragen jetzt Stöckelschuhe Jeansröcke und Seidenstrümpfe mit glitzernden Fäden durchzogene knappe Pullover darunter BHs die wie all diese Kleider von einer der Shopping-Touren stammen die Hudas Mutter regelmäßig in Amman und Beirut unternimmt
um sich zu trösten
sagt Huda heute schminken wir uns nicht wir tanzen auch nicht wie sonst hier des Öfteren in der geräumigen Dienstwohnung in der Nähe des Nationalmuseums über einem der Außendepots wo wir keine Angst haben müssen jemanden zu stören (unter uns nur die in großen Kisten in Holzwolle erstickten Steinköpfe aus Uruk jene Frauen mit den durchgezogenen Augenbrauen über den leeren Höhlen 5000 Jahre ohne Blick oder ist es die Stadtgöttin Ianna selbst die nach innen sieht und uns hineinsaugt in den Abgrund der Frühzeit) oder jemanden zu erregen jemand anderen als uns selbst wenn wir manchmal zwei Stunden lang tanzen herumhüpfen springen in dem weiß gekalkten kleinfenstrigen Raum neben Hudas Zimmer ein Raum ohne nähere Bestimmung weil er einmal als Erholungszimmer für Hudas Mutter gedacht war die sich aber nie erholt unser heimlicher kahler hallender Club in dem unsere eingemauerte Hitze manchmal so groß wird dass man jeden Augenblick mit
SEX
rechnet in irgendeiner bedrohenden aber doch auch wundersamen körperlosen Form