auf der Hochzeit deiner Schwester wie verrückt bist du wirklich unter das Bett gekrochen wie als Kind oder hast du das auch erfunden
möchte Huda wissen beide haben wir die Füße mit den Stöckelschuhen auf Stühle vor dem längs zur Wand stehenden Sofa gelegt und starren an uns herab wie in eine andere Welt
ich kroch wirklich
unter das Bett meiner Großeltern in ihrem Haus in Wasiriya während der Hochzeit wenn auch nur für kurze Minuten in denen mir die Idee zu dieser Szene kam niemand denkt sich wirklich hinein in
Dinarasad
die vielleicht nicht nur hören sondern auch fühlen will oder mit einem Dolch dort liegt jede Nacht und den König nur nicht ermordet weil sie wie er süchtig geworden ist nach der Fortsetzung der Geschichte sein
lauernder gequälter Komplize (Erzähl doch Schwester …)
dass sich das Bett in ein Schiff verwandelt gefällt mir am besten sagt Huda und dann zerreiße ich das Papier auf das ich die kurze Geschichte geschrieben habe obwohl Huda protestiert aber auch gleich begreift dass ich mich durch das Zerreißen in Sicherheit bringe vor allem und allen
außerhalb
aber vielleicht auch noch mehr vor meiner eigenen maßlosen Fantasie die mir so zusetzt dass ich noch auf der Hochzeit beinahe schreiend unter die Gäste gelaufen wäre um meine Schwester und den Major (ein ungemein schönes Paar eigentlich) anzuklagen mit der Hand auf das Schlafzimmerfenster zeigend als vollziehe es sich dort gerade hinter dem verschnörkelten Holzgitter während sich doch Jasmin im Brautkleid an der Seite ihres sorgsam herausgeputzten Kasim (der Major irgendwo rechts weit weggesetzt mit einem anderen Uniformierten) direkt vor mir befindet
wenn ich
es erfunden habe verfolgt es mich
bis ich es zerreiße
und ich es gelesen habe ich liebe solche Geschichten lacht Huda ihre großen Augen funkeln ihre blendend weißen Zähne erinnern mich noch einmal an den Damast des Brautkleids meiner Schwester
beinahe hätte ich es Tarik erzählt und Sami als wäre es tatsächlich geschehen ich tauche ein in die Bilder (tauchte
schon immer schon als Kind)
wie in das schwarzgrüne zähe Öl in dem wir uns gerade befinden als Taucherinnen mit weiß strahlenden Taschenlampen zerfrisst es nicht
unsere Haut
fragt Huda und ich stelle mir vor
stell dir vor
du befindest dich inmitten eines dieser riesigen Tanks und plötzlich schlagen Funken aus deiner Lampe und das Öl um dich herum entzündet sich ganz blitzartig ein weißer oder orangefarbener Feuerball der von innen heraus aus diesem haushohen Zylinder glänzender schwarzer Flüssigkeit entsteht und sich ausbreitet wie eine explodierende Sonne
es braucht Sauerstoff hör auf damit sagt Huda
schaudernd sie holt unser Chemiebuch das beschreibt wie sich der Luftsauerstoff in die Ketten der Ölmoleküle hineinfrisst und sie spaltet wobei Kohlendioxid entsteht und Wasser und eben diese ungeheure Hitze (stell dir vor Huda dass der ganze Tank explodiert ein einziger Feuerball dass aber du selbst dass wir (die Taucherinnen) unverletzt bleiben inmitten dieser Explosion wie im Auge eines Hurricans)
es kann nicht sein frag doch deine Schwester Jasmin sie arbeitet doch in Dora und das ist etwas das meine Mutter natürlich ganz großartig findet dieser Wiederaufbau der von den Amerikanern zerbombten und zerschossenen Raffinerie ganz mit eigenen Mitteln
Hudas Mutter Schiruk finde ich selbst großartig wenn auch mit einem schlechten Gewissen (das mir mein Vater eingepflanzt hat wer in leitender Stellung im Nationalmuseum arbeitet kann nicht sauber bleiben) Hudas Mutter ist etwas das wir Frauen im Irak auch sein können sein konnten vielmehr denn die Dinge bewegen sich wieder zurück als läge alles auf einer dunklen Drehscheibe die sich in die Vergangenheit bewegt selbst der
PRÄSIDENT
sinkt in die Knie (auf dem Gebetsteppich) was für eine widerliche Komödie
ruft meine Mutter empört vor dem Fernseher
Schiruk ist vielleicht die falsche Frau (aber das ist mir egal) für die richtige Idee für das was eine Frau eben auch sein kann nicht
versteckt sein nicht zermürbt von Niederlagen nicht nur klug und müde und sanft abwehrend wie meine eigene Mutter Farida die Huda so sehr schätzt weil sie Bücher übersetzt hat und so gut kocht Schiruk spürt dass ich sie verehre dass ich es liebe wenn uns der Pförtner freundlich durch das babylonische Palast-Tor des Museums winkt und sie mit uns durch die Ausstellungsräume ihrer Abteilung geht uns mitnimmt in die Depots mit den riesigen Kisten in die Werkstätten zu den merkwürdig schläfrig-eifrigen Restauratoren denen sie aufmerksam über die Schulter sieht früher empfing sie ganze Lehrerkollegien aus Kirkuk oder Basra und Journalisten aus Schweden Wissenschaftler aus Tokio London Berlin bevor wir Embargo-Land und Bomben-Abwurfsland wurden und die wertvollsten Bestände in die Depots wanderten um öden politischen Ausstellungen Platz zu machen dennoch kommt Schiruk immer wieder auf die eigentliche Funktion des Museums zurück und es ist das Verstehen das wirklich Kundige das mich so an ihrer Arbeit und Art reizt
in der Schule ist Geschichte oft nur Angeberei ein Sich-in-die-Brust-Werfen
vor 12 000 Jahren
verkündet der neue (zu meiner Schulzeit vierte) Direktor hätten überall nur kleinere Rudel von Neandertalern gelebt in Europa Asien und den USA aber dann wäre es eben hier (früher als in Ägypten) geschehen dass der Mensch sich erhob und die Schrift erfand die Radachse die Töpferscheibe den Streitwagen das Hochhaus das Gesetz
Auge um Auge
in Stein gemeißelt
bei Schiruk ist es nicht dieses Protzen sondern ein Nachdenken eine Art waches aufmerksames Zurückgehen sie fragt mich
weshalb es heute von Vorteil ist dass man mit einem so brüchigen und wasserempfindlichen Material wie Lehm baute (so baute man Schicht auf Schicht und so können wir uns Schicht um Schicht in der Zeit zurückbewegen) sie zeigt mir einen Steinzylinder der mit einem Jagdszenen-Relief versehen ist und erklärt wie man das Rollsiegel zur persönlichen Markierung von Getreidesäcken verwendete sie möchte von uns wissen (Huda verdreht nur die Augen) was es heißt dass vor 5000 Jahren in Uruk erwiesenermaßen 25–30 000 Menschen wohnten aber diese unmöglich von den Erträgen der unmittelbar die Stadt umgebenden Landwirtschaft hatten leben können
vier Sprachen und kein Mann sagt Huda böse
über ihre Mutter ich verstehe sie denn Schiruk ist oft verreist und lässt sie bei Verwandten zurück aber ich finde dass Schiruk mit ihren eleganten Kostümen ihrem perfekten Auftreten ihrer energischen Art überhaupt nichts Bemitleidenswertes hat sie hat oft Angst sagt Huda
wenn ich mich fürchte
stelle ich mir manchmal die Löwen von Babylon vor die aus den blauen Ziegelmauern der Prozessionsstraße wie aus einem tiefen Sommerhimmel heraustreten und unerschütterlich und ruhig neben mir hergehen wie glühendes Gold höher als meine Schultern an meinen Seiten wie gemeißelt und unzerstörbar mich einrahmen mit ihren steinernen Muskeln bei jedem Schritt
du hast so verrückte Ideen aber dann willst du wieder alles so genau wissen meint Huda als wir am späten Nachmittag wieder über die Ahrar-Brücke gehen um das Geschenk für ihre Cousine auf dem Goldmarkt zu kaufen der Tigris ist schon fast grau geworden die Autoschlangen bewegen sich so langsam als müssten sie tatsächlich auf Schuppen über den Asphalt kriechen wiederum Gehupe ich ziehe doch noch ein Kopftuch auf schimpft Huda auch wenn meine Mutter das hasst
auf dem Suk der Schmiede und Kesselflicker hämmert ein Fünfjähriger Eisennägel auf einem Amboss gerade Henkeltöpfe und Pfannen schweben klappernd über uns vor einem kleinen internationalen Hotel stehen die Wechsler mit Büscheln von Dinaren und warten auf die wenigen Touristen die noch in der Stadt sind oder die UN-Diplomaten
deine Schwester sagt Huda einige Gassen weiter so ruhig und leise als fiele ihr noch eine ironische Bemerkung ein