durch einen schwankenden Vorhang von goldenen Halsketten durch eine Lücke in diesem Vorhang vielmehr trifft mich unvermittelt Jasmins Blick von oben herab von so weit oben wie sie immer über mir stand ihre sorgsam gezupften Augenbrauen heben sich leicht ist es Mitleid oder Spott du bist ja ganz hübsch sagte Huda einmal aber deine Schwester ist schön wie ein
Falke denke ich plötzlich
als wollte sie mir etwas antun sie trägt ein blaues Kleid und hat eine weiße Strickjacke über ihre Schultern geworfen ich glaube sie wiegt weniger als ich die Nähe ihres Gazellenkörpers gibt mir stets das Gefühl von Plumpheit und irgendwie tragischer Langsamkeit im Blick des Falken gibt es
eine Warnung eine Art
stummen Befehl
und jetzt verstehe ich alles denn
im Fenster zwischen den Goldkettchen taucht eine schwarze behaarte Hand auf zu stark und braun um Kasim zu gehören und doch so nah an Jasmins dünnem vornehmen Hals (um eine Perlenkette darum zu legen) das grüne Tuch der Uniform das bärtige Gesicht des Majors
ich träume
was geschieht
Tarik
Jasmins Hände greifen durch die biegsamen grünen Maschen des Schulhofzauns nach meinen Händen sie ist gerade sieben also zu jung mein Freund um schon etwas über Muhammad Schams ad-Din zu lernen den ihr Hafis nennt und über die wahren Gründe des Krieges wird sie in einer Schule in der jeder Lehrer in der PARTEI sein muss ohnehin nichts erfahren in einem Land dessen oberster Vertreter ist gleich oberster Führer der Armee ist gleich PRÄSIDENT genau so denkt wie es in dem wütenden alten Buch seines Onkels ist gleich korrupter Bürgermeister von Bagdad steht
Juden Fliegen und Perser
hätte Gott nicht erschaffen sollen die Attacke gegen die Perser erfolgt jetzt so will es das Monstrum das aus dem Bauch des Monstrums PARTEI kroch mit Orden beklebt wie ein grüner Fliegenstreifen
bald schon bekommt er von den deutschen Spezialisten eine schöne neue Insektenvertilgungsmittelfabrik (Leipziger Toxikologen Laborbauer aus Frankfurt am Main) er reißt zehntausend Arme mit Schwertern empor und ist schon überall und wie endgültig an jede Wand geklebt in jedes Buch in alle Räume auf die Bildschirme Geldscheine Ziffernblätter der Armbanduhren fast noch auf die Ärsche der Wasserbüffel in den brackigen Kanälen von Basra und in jedes Körnchen der Sandschleier der gelben Sonnenfinsternisse die Straße um Straße im Sommer verschlingen und staubverkrustet nach Stunden erst wieder ans Tageslicht husten
ich spüre Jasmins weiche kleine Finger durch den Zaun und mein (noch junges erst fünfunddreißigjähriges) Gesicht erscheint mir selbst schrecklicher als alle väterlichen Gesichter meiner eigenen Kindheit von denen keines sich über mich beugte mit der Zumutung begreifen zu sollen akzeptieren zu müssen dass es nun in einen Krieg verschwinde die
Schleier
das weiße leichte Gewebe vor deinem vom Sturm gepeitschten Gesicht
zerreißen
die Wohnung in dem vornehmen Neubauviertel die du mit deiner Familie bezogen hast die vor zwei Jahren neu eröffnete Praxis der Club in dessen Swimmingpool Jasmin mit einem Gummitier herumplanschte während du mit Kollegen einen Drink nahmst während im Hintergrund die Grillkohlen rauchten und noch weiter dahinter die Kräne Betonträger in die hohe Zukunft balancierten
der PRÄSIDENT
schwamm in Öl (das seine Partei mit Beifall des ganzen Landes endlich den Engländern wieder abgenommen hatte) verschenkte Kühlschränke und Fernsehgeräte leitete Strom schickte Traktoren in entlegene Dörfer wie ein Gott wanderte Arm in Arm mit den Kommunisten für das sozialistische Arabien bis zur nächste Ecke
um die er sie gleich darauf brachte
die Schleier färbten sich an den Rändern mit Blut senke den Kopf lies die Zeitungen des Vaterlandes die Wiedergeburt des sumerischen Großreichs unter dem wahren König Saddam
Flughäfen Schulen Einkaufszentren Krankenhäuser schießen aus dem Boden es gibt schon neue Universitäten es gibt höhere Gehälter für Soldaten Polizisten Ärzte Folterknechte
die beste Zeit
ist der Glanz der Entwicklung des mit Gold und Öl und dem Blut seiner Oppositionellen überspülten Irak
es gibt
Krieg den keiner will den zunächst
kaum jemand
ernst nimmt denn Bagdad baut als wäre es ein Architekturwettbewerb als würden die Mullahs in Teheran nur mit Gegenbaustellen reagieren und gewinnen wollen mit dem besten Hochhaus und dem protzigsten internationalen Luxushotel
es ist Krieg
weil der PRÄSIDENT glaubt die revolutionären schwarzen Vögel auf den geschleiften Palästen des Schahs seien schwach die Gelegenheit also günstig einige alte Rechnungen zu begleichen und die Wunden und Schrecken zu rächen die der große persische Pfau (ausgestopft bis zum Hals mit den prachtvollen Waffen Amerikas) uns zufügen und zumuten konnte insbesondere jenen Griff nach dem Hafenfluss Sindbads Schatt al-Arab unserem einzigen Zugang zum Meer
die Mullahs sollten zudem gründlich erschreckt und gedemütigt werden damit sie uns Revolutionären keine Rückwärtsrevolution schenkten und nicht das Feuer anzündeten unter unseren Schiiten
in drei Wochen schon
erklärte der PRÄSIDENT
stünden wir in Teheran
zwei Monate später verband ich auf der Ladefläche eines Militärlastwagens die ersten (noch bloß von Unfällen während des Aufmarschs herrührenden) Wunden und träumte am Tag fassungslos zwischen den Soldaten dass ich mit ihnen in den Krieg fuhr Sindbads Stadt entgegen kein Vogel Rukh der seine Jungen mit Elefanten füttert riss uns empor und heraus (schon jetzt waren wir zu mager und kläglich) aus
dem Spiel Leben und Vernichtet-Werden gemeinsam mit diesen noch atmenden noch lachenden rauchenden jungen Männern auf der hart erschütterten Ladefläche auf die man niedrige Bänke geschraubt hatte (der ein oder andere von ihnen kehrte als Toter mit dem Taxi zurück so luxuriös auf Befehl des PRÄSIDENTEN dem der Fuhrpark ausging) ich wollte das alles
von Paris aus sehen auf einem Nachrichtenbildschirm an der Gare de Lyon oder vor einem mit Ramsch verstopften Elektrogeschäft im 20. Arrondissement oder
vom Oberarztzimmer einer vornehmlich für die Parteikader errichteten blitzmodernen Bagdader Klinik aus in das ich vielleicht gelangt wäre
hätte mir nicht Alis Freund Khalid ein PARTEI-Mann und hervorragender Chirurg und Noch-immer-Philanthrop erklärt dass sich mein Desinteresse an der PARTEI schlingenartig um meinen Hals zu legen begänne so dass ich plötzlich meine wahre Begabung meine Berufung und mein Bedürfnis nach praktischer unmittelbarer Tätigkeit erkannte und
unverzüglich
die Klinik verließ um in eine Arztpraxis einzusteigen wobei mich Prof. Dr. Khalid Yussef freundlichst unterstützte und mich damit wohl vor einer Gefängniszelle bewahrte nicht aber vor der dreimaligen Frontverwendung als Arzt im längsten und zähesten Krieg des Jahrhunderts
sieh noch einmal
Basra
in der Götterdämmerung seines Rufs als Venedig des Arabischen Golfs
und sieh
wie
(die Bände einer klassischen Ausgabe neben Abu Nuwas und Rumi neben al-Mutanabbi und Abu Alla al-Maari in der Bibliothek meines Großvaters)
Hafis
(Farida erzählte dass sie als Kind Tee Datteln und Brot zu den Persern brachte die in Zelten vor der Stadt nächtigten auf ihrem langen Weg nach Nadschaf und Kerbela mit ihren Kindern und ihren Toten)
stirbt
mit einem Stirnband um den Kopf die leuchtend bestickte Eintrittskarte ins Paradies
Mahdi gib mir Kraft — Für Dich Hussein — Jeder Tag ist Kerbela
sie tranken den Wein des Todes wie Süchtige in den Minenfeldern
junge Männer Schüler Lehrlinge
Kinder mit Spielzeug näherten sich winkend und warfen lachend