welcher Nachtisch für brennende Türme für die Titanic der Luft anstelle einer Bibliothek wenigstens ein Buch
neben ihrer Mutter
wirkt Sabrina nicht mehr so zerbrechlich sondern kindlich robust und auch etwas trotzig ein Reflex darauf dass Amanda in Jeans und legerer Sommerbluse ihre eigene Collegegirl-Vergangenheit zitiert (dabei ist sie auf jene irritierende Weise mager und sehnig geworden die blonden Frauen ihres Alters etwas Scharfkantiges fast Schneidendes gibt)
schweigend
neben Seymour deVries auf dem Beifahrersitz eines großen fetten dennoch irgendwie hybrid oder sonst wie energiesparend betriebenen Riesen-Rangers oder Monster-Rovers zu sitzen
während meine Ex-Frau und meine Tochter sich auf der Rückbank aufgekratzt immer vergnügter fast schon hysterisch laut unterhielten
war nicht weiter schlimm (bloßer Auftakt der Mutprobe)
wir segelten wie auf einer Yacht im Strom kleinerer Boote über die Harvard-Bridge auf die Commonwealth Avenue und wieder zurück über die Longfellow-Bridge weil Seymour auf der Suche nach einem legendären Restaurant sich verfuhr oder es genoss uns ausführlich durch seine Geburtsstadt zu chauffieren uns gleich dreimal über den Charles River schweben zu lassen so dass wir die glitzernde kühle komprimierte Business-Energie der Stadt spüren konnten ihre gemäßigte Hektik die Coolness eines bulligen athletischen aber gepflegten Bankers in kurzem weißen Hemd oder einer von ihren Buchführungstabellen nicht völlig unverführerisch aufblickenden nadelgestreiften Lady (matronenhaft aber fest) zu viele Fernsehfilme selbst in meinem Kopf es waren nur der Fluss die Parkstreifen an den Ufern die Hochhäuser der Back Bay
Sabrina (ihre kühle weiche Hand die sie auf meine Schulter legte so dass sie leicht meine Halsseite berührte so oft auf diese Weise so beiläufig) erinnerte mich daran dass wir sechs Wochen zuvor erst
von Europa her kommend
hier gelandet waren
letzte Sicht auf den Fluss dann Autobahnschleifen dieses Mal die richtige Ausfahrt und bald darauf die vornehme britische Kleinstadtwelt von Beacon Hill durch die uns Seymour zu Fuß führte (nachdem er seinen Straßenpanzer mit Hilfe piepsender Kleincomputer und denkender Minikameras hatte einparken können) das ist sterbenslangweilig hier sagte Sabrina so superenglisch was für ein Kitsch
wärst du je in ein Neu-Deutschland gezogen fragte Amanda plötzlich und ich sagte natürlich nicht schließlich seien wir doch dort gewesen als Sabrina sechs Jahre alt war am Kontrollpunkt Friedrichstraße im Tränenpalast als wir nicht wussten ob wir uns in a) Deutscher mit Green Card b) US-Bürgerin und c) Sabrina trennen mussten ob ich immer noch so sehr den Wald liebe (in den sie mich doch geführt hatte
behalt es für dich)
wie Thoreau
sagte Seymour ich habe ihn nie unsympathisch gefunden er ist kein Bostoner Brahmin und auch kein Nachfahre der irischen Einwanderer (die ehemaligen Underdogs die schon längst in der Stadt den Ton angeben) seine Eltern sind aus Rotterdam geflohen kurz bevor die deutsche Luftwaffe die Stadt bombardierte ihr das Zentrum das Herz herausriss er erinnert (blond sommersprossig blauäugig) an einen Holländer (oder Hamburger oder Stockholmer) Seymour ist unser Ölmann obwohl er etwas angenehm Trockenes an sich hat eben jene Yachthafen-Noblesse die ich immer an Amanda bewunderte es wäre leichter wenn man seinen erfolgreichen Nebenbuhler einfach nur hassen und meiden könnte es bliebe einem diese bedrückende Affinität und Nähe zu den Liebeswahlen des ehemaligen Partners erspart
man bräuchte auch solche kultivierten Mittagessen nicht wie eben dieses hier in einem Restaurant in der Chestnut Street das wir dem unauffindbaren Geheimtipp dann doch vorziehen
brauche ich
ertrage ich jetzt
das letzte gemeinsame Mittagessen bei dem ich wenig sage und noch nicht einmal gut zuhöre die im Nachhinein so unverzeihliche Geistesabwesenheit teile ich wohl mit Amanda vielleicht dachte sie wie ich an den Grenzübergang Berlin-Friedrichstraße im August 1988 diese Selbstverständlichkeit mit der ich damals Amandas Ellbogen berührte Sabrinas Kopf drückte sich Schutz suchend gegen meinen Bauch wir nahmen den Zugang für US-Bürger und wurden sehr höflich behandelt
ein Aufflackern vielleicht in Amandas Augen eine kurze Nachgiebigkeit gegenüber dem nostalgischen Ausflug eine knappe ironische Parade etwa so als würde sie einem alten männlichen Bekannten gelten der für einen Augenblick aus seiner Freundesrolle fällt und ihr einen zu tief gehenden Blick zuwirft
in der Vergangenheit
gibt es keine Luft für uns
ganz gleich wie verzweifelt die Zukunft dort atmen möchte sich dort noch einmal und viel besser umsehen will immerhin habe ich ein sehr klares Bild meiner geschiedenen Frau an jenem Restauranttisch mir gegenüber zur Mittagsstunde ein stehendes und doch flackerndes Kippbild der Empfindung die für einige Sekunden Amanda in eine gar nicht mehr angebrachte lebendige Nähe bringt um sie gleich darauf weit abzurücken in die wunderliche und fast schon wieder bewundernde Distanz eines fremden Blickes auf eine energische Geschäftsfrau der man an dem Kontrast zwischen professionellem Make-up und schlichter Garderobe anmerkt dass sie ihrer Tochter einen Gefallen tun will eine jener vordergründig kühlen Blondinen deren träumenden Körper man sich selbst dann nicht recht vorstellen kann wenn man ihn eine halbe Stunde zuvor nackt in den Armen hielt scheinbar so gepanzert so
unverletzlich
jetzt
im Sommer
wo ich darunter leide dass ich Sabrina nicht so klar an dem Tisch sehen kann wie ihre Mutter weil sie links neben mir saß
ja dass ich
mich auch kaum an ihre Worte erinnere an ihre Überlegungen und heftigen Einwände meine (nostalgische) Abwesenheit und mein väterlicher Stolz nahmen nur ihre Gesten wahr und die Wirkungen die ihre Argumente auf den mir schräg gegenüber sitzenden Ölmann hatten dass er immer wieder beeindruckt dass er amüsiert und erstaunt bisweilen sogar betroffen aussah das
reichte mir schon aus
und verrückter- (später vielleicht verständlicher-)weise
behielt ich genau im Gedächtnis was er (der ebenfalls am MIT studiert hatte der sich mit einer für mich doch schwer erträglichen Mischung aus Expertendünkel und angemaßtem Vaterstolz meiner Tochter zuwandte) ihrer Kritik an der ölfressenden amerikanischen Gesellschaft entgegenhielt es hämmert noch heute in meinem Kopf (als wäre er schon jene schneebedeckte Gestalt im Sturm und schrie verzweifelt in sein Mobiltelefon) was er doch ganz ruhig ironisch geduldig Sabrina vorhielt dass es niemand genau wisse dass Öl eine begrenzte Ressource wäre dass andererseits historisch erwiesen sei wie die Magie des steigenden Preises immer wieder neue Techniken neue Quellen neue nunmehr profitable Erschließungsmethoden hervorgezaubert habe und verändertes Konsumentenverhalten bewirken könne sogar in den USA
Öl ist tief in der Erde vergraben so einfach so schwierig ist das (sagte Seymour)
halte dich an die Dinge
die vor dir in der Luft vergraben sind (im Vakuum der Vergangenheit)
Amanda und Sabrina an jenem helllichten Tag von dem ich lange Zeit dachte er müsse einer meiner glücklichsten werden da
Sabrina ihr Studium begann
Muna
Auf dem Heimweg kurz vor dem alten Haus meines Urgroßvaters das mit seinen schmalen Fensterschlitzen und dicken kühlenden Mauern wie eine kleine sandfarbene Burg oder ein Teil eines Indianer-Pueblos der Hitze trotzt
stolpert Achmed gegen mich
gejagt von seiner älteren Schwester Hind der er (wie sie entrüstet versichert) die ihr zustehende Portion Baklawa stibitzen wollte und ich nehme den Kleinen mit zu Farida in die Küche wo es immer etwas Süßes für ihn gibt
beim Wiederhinausrennen rempelt er mich erneut an ohne Dank quiekend vor Freude ein lustiges Räubergesicht mit Zahnlücke im oberen Kiefer und dicken Augenbrauen seine weichen Knochen schmerzen nicht beim Aufprall der energische Kinderkörper weckt mich nur auf und bringt mich in die Wirklichkeit